Fräulein Quakis Versuche, ein Mensch zu werden. Otto W. Bringer
Читать онлайн книгу.Fräulein Quaki denkt sich ihr Teil.
Weil Menschen wie Tiere denken, kommt tierisches dabei heraus. Allzu Menschliches. Der große Hunger ließ Adam nicht ruhen. Auch Abwechslung sollte sein. Schlachtete ein Schaf statt Kürbis und Kokosnüsse. Und briet es über Holzkohlenfeuer, bis es gar war. Eva entzückt: „Die paradiesischen Früchte sind nichts gegen eine rosa gebratene Keule vom jungen Schaaf. Den Namen Lamm hatten sie noch nicht erfunden.
Frösche ließen sie leben, weil sie noch nicht her aus gefunden hatten, wo sie sich versteckten. Ihr monotones, rhythmisches Quaken erinnerte sie daran, dass sie nicht allein waren. Nach dem Rausschmiss durch – wie hieß noch mal der Erzengel?
Die größten Feinde aller Frösche sind die von oben kommen. Herabstürzen wie ein Blitz, entdecken sie ihr Opfer. Graureiher zum Beispiel. Nicht ganz so plötzlich Raben, Krähen. Typisch tückische Heranschleicher die Füchse. Sitzen und warten, beißen zu blitzschnell. Schnell ist auch der Iltis. Schwimmt im selben Gewässer, als könnte er kein Wässerchen trüben. Eh das Fröschlein sich versieht, schnappt er zu.
Einer der auch von oben kommt. Aus einem Abstand, der so groß ist wie ein gebogener Hals mit langem roten Schnabel: Der Weißstorch. Stakst durchs Wasser, die verlängerte Nase nach unten, ständig Beute suchend. Fräulein Quaki kennt das Geräusch der Füße im Wasser. So leise es auch ist. Strömendes Wasser staut sich an den Beinen, ein Geräusch, das sich anders anhört als ungehindert fließendes.
Störche treten vorsichtig auf, um niemanden zu verscheuchen, den sie zum Abendessen ihren Kindern präsentieren oder selber genießen wollen. Quaki bleibt an Land, verkriecht sich unter einen flachen Stein. Wer nicht gesehen, wird auch nicht gefressen.
Die schönen weißen Vögel, denkt der Mensch, und solche Räuber. Pfui. Jedes Ding hat zwei Seiten. Weiß sogar Quaki. Kennt den Storch Klappus. Stakst jeden Mittag ans Küchenfenster der „Auberge d ´Ill in Illhaeusern, Elsass. Der Dreisternekoch Paul Haeberlin mag es, wenn auch Störche seine hoch gelobte Küche goutieren. Kaum klopft der Klappus mit seinem roten Schnabel an die Scheibe, öffnet einer das Fenster und legt ein Stück vom Huhn in den weit geöffneten Schnabel. So machen sie es mittlerweile im vierten Jahr. Klappus und seine Familie brauchen vor dem Winter nicht mehr ins warme Afrika zu fliegen. Sie sind gut versorgt. Werden immer dicker. Und fluguntauglicher. Zum Glück für alle Frösche und Fische, für die das Flüsschen Ill Heimat ist.
Unser Fräulein Quaki zieht die Konsequenzen. Sie bleibt in der Gegend, wo sie geboren ist. Dann ist sie diesen Storch los. Kann ihre Ahornblätter ablegen und nackt in der klaren Ill schwimmen nach Herzenslust. Ein Glück, dass Tierfreund Paul keine Froschschenkel brät. Er überlässt diese Quälerei, wie er sagt, den Wirten, die nichts anderes können als Kleinkram braten. Aber man soll nicht den Tag vor dem Abend loben.
Nicht lange und drei neue Störche kommen jeden Tag zum Frösche oder Fische fangen. Etwa zur selben Zeit öffnet ein neues Lokal seine Pforten. Bietet zur Eröffnung gebratene Froschschenkel an zum Sonderpreis. Frisch gefangen, frisch gebraten sein Motto. Weiß auf schwarzer Tafel mit rotem Ausrufezeichen.
Als Fräulein Quaki dieses Angebot liest, bleibt ihr vor Schreck fast das Herz stehen. Natürlich leben im sauberen Wasser viele ihrer Artgenossen. Auch Frösche haben einen siebten Sinn. Der sie an die Stellen führt, wo Wein und Honig fließen. Bildlich gesprochen.
Bleiben ist zu gefährlich. Ortswechsel die einzige Chance. Umziehen ist auch für Frösche eine Prozedur, der sie sich nicht gerne unterziehen. Besonders verheiratete mit Kindern ein Problem. Viele lassen alles stehen und liegen. Ihr Froschgott wird es richten. Fräulein Quaki ist noch nicht gebunden, hat es also leichter als andere ältere, sich zu trennen von geliebten Dingen. Leicht aber fällt es ihr nicht.
Ist da diese sattgrüne Wiese mit vielen Büschen Tummelplatz und Versteck in einem. Nichts ist schöner als sich von der Abendsonne wärmen zu lassen. Von neugierigen Fliegen und Mücken umschwärmt. Zunge raus und das Abendessen ist gesichert. Zu einer Tageszeit, an der die meisten ihrer Feinde die Beute zuhause abgeliefert haben. Und keine Lust mehr, sich auf die Flügel zu machen, neue Beute zu jagen.
Es ist ruhig an solchen Abenden. Ab und zu eine Bachstelze, die Körner pickt oder Würmer. Kleine Vögel scheinen immer fleißig zu sein. Sie müssen es. Ihre Schnäbel sind klein. Fassen ein winziges Würmlein. Können es gerade noch mit schnellen Flügelschlägen transportieren. Ins Nest zu den Jungen. Oftmals am Tag. Meist hin und her und hin und her. Bis das Gelände leer ist von Würmern und die Kleinen satt.
Wieviel Stunden können sie wohl schlafen in der Nacht? Fragt sich Fräulein Quaki. Sie selbst hat es sich gut eingeteilt. Die Sonne ist ihre Uhr. Sobald sie hinter die Kante geplumpst ist, sucht sie sich einen sicheren Schlafplatz. Schlammloch, Stein, ein Strauch. Schläft bis zum Sonnenaufgang zumeist traumlos.
Eines schönen Morgens macht sie sich auf in Richtung Autostraße. Dahin, wo sie geboren wurde. Der Weg von zahllosen Frosch- und Krötenfüßen platt getreten. Es ist ein beliebter Weg, weil viele Büsche sich als Versteck anbieten. Und am Ende ein Gewässer ist. Nach etwa einem Kilometer trennt eine Autostraße das wasserreiche Gebiet auf der gegenüberliegenden Seite ab. Mutige Kröten und unerfahrene Frösche wagen die Querung. Viele werden überfahren. Liegen lange noch wie Plattfische auf dem Asphalt. Und werden immer platter, platt wie ein Papier. Opfer der Zivilisation.
Sagten die von der Grünen Partei. Und wollten die Autos verbieten. Als das verständlicherweise nicht gelang, bauten sie einen Tunnel unter der Fahrbahn. Fräulein Quaki hatte von alle dem keine Ahnung. Sie beteiligte sich bisher nie an Massenveranstaltungen. Heute Morgen aber war sie schon bald nach ihrem Weggang umgeben von wandernden Artgenossen. Die ganze Froschlurchsippschaft unterwegs. Frösche und Kröten der verschiedensten Art. Fröhlich scheinen sie zu sein. Als ginge es zu einer Hochzeit. Geht es ja auch. Im gegenüber liegenden Gewässer wollen sie die Frucht ihrer Liebe ablegen. Damit der Nachwuchs gesichert ist.
Fräulein Quaki ist bald auch soweit. Spürt Geschlechtsreife wie eine Lust. Käme jetzt ein Jüngling, ging sie mit ihm ins Laub. Sie weiß, in ihrem Leib werden hundert Eier und mehr reifen. Dann wird sie wird sich mit anderen auf die Wanderschaft begeben, die ihr eingeimpft ist seit Geburt. Dahin zu gehen, wo sie selbst geboren ist. Immer ist es dasselbe Gewässer.
Quaki wundert sich an diesem Morgen über die große Zahl der Wanderer. Es fließt wie ein richtiger Strom in Richtung Autostraße. Rücken neben Rücken, alle Köpfe in eine Richtung. Quaki, in katholischer Gegend aufgewachsen, hat den Eindruck einer Fronleichnamsprozession. Wo ist die goldene Monstranz? Etwas, das höher ist als die Menschen.
Auf dem Rücken von Kröten sieht sie nur Männchen sitzen. Sie sind kleiner als ihre dickrundlichen Krötenfrauen. Zu schwach, den langen Weg auf ihren kurzen Beinen zu schaffen. Um größer zu erscheinen als sie sind, setzen sie sich auf den Rücken ihrer Frauen. Wer ist wohl der größere? Fragt sich Fräulein Quaki und beschließt eine Frau zu bleiben.
Zwischen den nicht gerade schönen, warzigen Krötenweibern entdeckt sie schwangere Froschfrauen. Ein wenig aufgedunsen mit so viel Eiern im Bauch. Aber immer noch schön anzusehen. Es treibt sie zum selben Gewässer, in dem sie geboren wurden. Um dort ihren Laich abzulegen.
Quaki ist neugierig. Es muss einen Grund haben, dass so viele denselben Weg gehen. Zum Wasser jenseits der Autostraße. Irgendeine schlaue Kröte hat es sicher entdeckt. Und weiter gesagt. Dass es sich wie ein Lauffeuer ausbreitete in der ganzen Region. Die Grüne Partei hat die Autostraße ganz einfach untertunnelt. Röhre, die breit genug ist, auch die dickste Mamsell hindurch zu lassen. Auf der anderen Seite ihre Eier abzulegen. Auf dass die Welt der Lurche dem Rest der Welt erhalten bleibt.
Quaki ist neugierig, bleibt in der Schlange der Pilgerinnen. Will sehen und erleben wie es sich anfühlt durch einen Tunnel zu kriechen. Was aber, wenn der einstürzt unter einem dicken Laster?
Was ist, wenn er zugeschlammt ist? Verstopft von Zweigen und Wurzeln? Fräulein Quaki weiß nicht, dass Tunnel aus Stahl oder Beton nicht einstürzen können. Aber sie ist ein kluges Kind und kalkuliert den Ernstfall. Zurück an die Ill kein Problem. Noch muss sie nicht an ihren Geburtsort, zu laichen. Noch nicht. Denkt und weiß nicht, ob sie sich darüber freuen oder ärgern soll. Für