Miriams Baby. Hermann Brünjes

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Miriams Baby - Hermann Brünjes


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würde eine lange Ermittlung werden, das war Martens klar. Die eigene Mutter, Familie oder Angehörige – damit würde er nach der Identifizierung beginnen müssen.

      Montag, 2.12.

      »Jens, bei allem Respekt, du hast sie ja nicht mehr alle!«

      Die Meinung meines Chefs Florian Heitmann zu meiner Person ist mir bekannt. Respekt und Kopfschütteln zugleich. Jetzt offenbart er sie auch gegenüber dem Redaktionsteam. Na schön. Die Ressortchefs, unsere Mediensprecherin und zwei verdiente Journalisten sitzen zur regelmäßigen Konferenz zusammen. Einer der beiden Journalisten bin ich, wobei ich meiner Meinung nach nicht verdiene, was ich verdiene.

      »Chef, das habt ihr bei Oliver Bender auch gesagt.«

      Alle nicken. Ja, die letzte Story um den auferstandenen Bender hat großen Wirbel gemacht. Es war die Story – leider konnten wir sie nicht ganz zu Ende schreiben.

      »Jens, so etwas passiert nur einmal im Journalistenleben. Du kannst jetzt nicht plötzlich fromm werden und Jesusgeschichten schreiben. Das überlass mal schön den Kirchenfuzzies! Die haben ja auch eigene Medien – auch wenn die Nutzerzahlen vermutlich lächerlich niedrig sind.«

      Ich hätte natürlich ahnen müssen, das Florian Heitmann meinen Vorschlag ablehnen würde. Er ist manchmal geradezu ein Kirchenhasser. Vielleicht liegt das daran, dass er früher einmal selbst Theologie studiert hat. Im dritten Semester hat er abgebrochen. Warum, habe ich auf der betrieblichen Weihnachtsfeier am letzten Wochenende auch nach diversem Sekt-, Bier- und Whiskygenuss nicht herausgefunden. Er hat nur etwas davon gelallt, dass man ihn ausgenutzt und manipuliert habe. Jedenfalls ist er dann auf Journalismus umgestiegen und hat später sogar bei der Bildzeitung in Hamburg Karriere gemacht.

      »Aber lass ihn doch erst einmal ausreden!«

      Der Ressortleiter unserer Online-Redaktion und ich verstehen uns gut. Er ist stellvertretender Chef und hat auf die Kollegen großen Einfluss. Wäre er nicht hier, hätte unser Kreisblatt vermutlich längst sowohl Buchstabenformate, Schriftbild und Aufmachung der BILD, als auch das inhaltliche Niveau dieses schönen, bunten Bildungsblattes übernommen.

      »Okay, Jens. Rede weiter, aber mach es kurz!«

      »Viel gibt es da nicht mehr zu sagen.« Ich finde, meinen Vorschlag gut. »Es sind nur noch drei Wochen bis Weihnachten. Wir berichten über Adventsfeiern bei der Feuerwehr oder im Sozialverband. Wir drucken romantische Fotos von Weihnachtsmärkten und tollen Lichtinstallationen am Bahnhof und in der Stadt. Wir machen Live-Übertragungen vom alten Rathaus mit den Kunstfenstern als Adventskalender. Aber worum geht es Weihnachten wirklich?«

      Ich schaue mich um und sehe viele nicken.

      »Es geht um Schokolade, Licht, Frieden und Geschenke!«

      Florian grinst. Ich vermute, er meint es ernst und sagt es aus tiefster Überzeugung, auch wenn es sich wie eine ironische Provokation anhört. Der BILD-Reporter steckt eben noch tief in ihm drin.

      »Richtig Chef, und was ist das größte Geschenk zu Weihnachten?«

      Eine Kollegin kichert: »Die freien Tage!«

      Florian grinst: »Du meint, dein Jesus?«

      Ich merke zum Glück rechtzeitig, wie sich mir die Haare aufstellen und bemühe mich um freundliche Sachlichkeit.

      »Ja, Chef. Es ist natürlich nicht mein Jesus, sondern genauso auch dein Jesus. Ohne die Geburt Jesu würde es Weihnachten nicht geben. Folglich geht es um seinen Geburtstag!«

      »Den haben wir ja am Wochenende deftig gefeiert. Was meinst du, was mich das gekostet hat?«

      In den Gesichtern der Kolleginnen und Kollegen spiegeln sich Missbilligung und Widerspruch. Elefanten sind gleichzeitig sensible Geschöpfe, zumindest außerhalb von Porzellanläden. Unser Chef hat nicht nur die Statur jener sensiblen Tiere, er teilt auch ihre Klugheit. Also macht er schnell einen Rückzieher. »Oh sorry. Ich meine natürlich nicht mein Geld, sondern das der Redaktion. Und natürlich habt ihr alle diese üppige Weihnachtsfeier unbedingt verdient. Das habe ich ja auch am Samstag in meiner Dankesrede zum Ausdruck gebracht.«

      Die Kollegen schauen nun etwas wohlwollender. Florian entspannt sich.

      »Also Jens, du willst moderne Jesusgeschichten schreiben? So was wie die letzte Auferstehungsgeschichte?«

      »Vermutlich gibt es so etwas nicht noch einmal. Ansonsten stimmt es: Ich will schreiben, was Menschen hier und heute von Jesus halten, wie sie Weihnachten als seinen Geburtstag feiern und was ihr christlicher Glaube für ihr alltägliches Leben austrägt.«

      Alle nicken jetzt zustimmend, bis auf den Chef.

      »Und du meinst, das interessiert unsere Leser?«

      »Allerdings. Wir müssen den Hype um Jesus nach der Geschichte um Oliver Bender ausnutzen. Noch immer sind die Gerüchte um den Auferstandenen nicht abgeklungen.«

      Ich mache eine kleine Pause und trinke einen Schluck Wasser, bevor ich meine letzten Karten auf den Tisch lege. Vielleicht stechen ja die touristischen Trümpfe.

      »Chef, außerdem liegt in unserem Landkreis ein bisher verborgenes Juwel: Himmelstal. Die Dörfer Himmelstür und Himmelpforten kriegen massenhaft Post in diesen Wochen und sind allein wegen ihres Namens weltberühmt.«

      Florian grinst. »Ja, weil der Nikolaus und der Weihnachtsmann dort ein- und ausgehen. Und nun willst du deinen Jesus bei uns im Landkreis ansiedeln? Himmelstal statt Bethlehem.«

      »Noch mal Chef, es ist auch dein Jesus! Ja, warum denn nicht. Der Name des Dorfes hat enormes Potential, berühmt zu werden. Gott kommt vom Himmel ins Tal. Weihnachten in Himmelstal!«

      »Ich weiß nicht. Mir kommt das alles viel zu fromm und gleichzeitig zu alltäglich vor, langweilig und sensationsfrei. Ja, wenn es Tote gäbe! Wir haben ja gerade gesehen, wie die Lüneburger Konkurrenz die Geschichte von den zwei toten Babys ausgeschlachtet hat. So etwas wollen die Leute lesen, etwas mit schaurigem Gruselgefühl und der gleichzeitigen Freude, selbst nicht betroffen zu sein. Aber Jesus heute? Weihnachten und Gott in Himmelstal? Wen interessiert das schon?«

      »Mich zum Beispiel!«

      Unsere Medienbeauftragte sagt das erste Mal etwas und sofort sind alle Augen auf die hübsche Blondine aus Ostfriesland gerichtet. Elske ist erst zweiundzwanzig und seit wenigen Monaten beim Kreisblatt.

      »Chef, vergiss die vielen Frauen unter unseren Lesern nicht. An ermordeten Babys haben die mit Sicherheit keinen Gefallen. Das geht allemal den Müttern viel zu nahe. Aber wie es etwa in Himmelstal weitergeht, oder wie andere Familien Weihnachten feiern, oder ob Glaube, Beten und die religiöse Seite von Weihnachten für Menschen heute überhaupt noch eine Rolle spielen – das interessiert uns Frauen!«

      Die anderen drei Frauen in der Runde nicken zustimmend.

      »Und wie hoch ist der Anteil der Frauen bei unserer Leserschaft?« Der Online-Chef unterstützt Elske und mich auf seine sachliche Art. »Bei den Zeitungen die Hälfte und Online sogar weit darüber!«

      Florian bleibt nichts anderes übrig, als mir den Auftrag zu geben. Gegen Frauenpower hast du als Mann keine Chance.

      »Also Jens, dann bringst du in den Adventswochen jeweils einen Artikel mit Fotos von deiner Jesus-in-Himmelstal-Serie. Du kriegst in den Dienstagsausgaben jeweils eine ganze Seite, natürlich inklusive Werbung. Heiligabend wäre dann dein letzter Beitrag dran. Beginnen kannst du meinetwegen schon morgen.«

      Wenn schon, denn schon! Unser Chef ist ein Mann der Tat. Allerdings ist mir das zu rasant.

      »Chef. Bis Morgen habe ich nichts. Sagen wir, meine Beiträge stehen immer an den Advent-Samstagen drin. Der letzte kommt dann am Heiligen Abend, pünktlich zum Geburtstag des Christkindes.«

      »Okay, berede das mit dem Setzer. Wir rechnen also mit dir! Aber untersteh dich und sülze zu viel frommes Zeug


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