Miriams Baby. Hermann Brünjes

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Miriams Baby - Hermann Brünjes


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Antwort ist kurz und eindeutig. Da werde ich nicht mehr weiter bohren. Muss ich auch nicht, denn Maren sorgt für Details.

      »Er hat sie sitzen lassen, weil sie Jüdin ist! Stellen Sie sich das einmal vor. Zuerst zeugt er ein Kind, dann lässt er seinen Sohn im Stich und die Mutter dazu!«

      Wieder legt sie den Arm um Miriam. Ich vermute, auch diese Geschichte war ein Grund, die Frau mit Kind aufzunehmen und einzustellen. Schuldlos mit Kind in Hartz IV gelandet – das ist wirklich übel.

      »Aber der Vater zahlt Unterhalt, oder?«

      Miriam lacht. »Wo leben Sie? Jeder Kontakt ist abgebrochen. Seit klar war, dass ich ein Kind von ihm kriege, war Funkstille. Aber Peter kann eigentlich nichts dafür.«

      Der Vater heißt also Peter. Wenig jüdisch, dieser Name.

      »Sein Vater steckt dahinter. Der ist totaler Antisemit. Als er hörte, dass sein toller deutsch-arischer Sohn eine Jüdin geschwängert hat, hat er seinem erwachsenen Sohn zuerst einen Schlag ins Gesicht verpasst und ihm dann jeden Kontakt mit mir verboten.«

      Ich hätte nicht gedacht, heute Abend noch solch gemeine Geschichte zu hören. Dass es das überhaupt noch gibt! Wahrscheinlich übertreibt die junge Frau.

      »Aber Sie sind doch sicher zur Polizei gegangen?«

      Miriam schweigt. Maren nicht.

      »Nein. Miriam hat sich in Hamburg eine Wohnung genommen und niemandem erzählt, wo sie lebt. Ihr Kind hat sie dann in der Klinik Barmbek bekommen. Miriam, hol doch mal die Fotos!«

      Die junge Frau geht hinaus und ich höre sie auf der Treppe.

      »Jens, wenn irgend möglich, helfen Sie bitte meiner Untermieterin. Keine Ahnung, was da im Hintergrund läuft, aber es ist nichts Gutes. Der Vater des Kindes ist nicht das Problem, der ist wohl eher ein Weichei. Aber dessen Vater macht Schwierigkeiten. Der ist ein richtiger Nazi oder zumindest etwas in die Richtung.«

      Ich komme nicht dazu, Maren weitere Fragen zu stellen. Miriam ist zurück. Sie hält eine Mappe mit vier Fotos von dem ganz kleinen Baby Jeschu in der Hand. Es sind wirklich niedliche Bilder.

      »Schauen Sie. So sah Jeschu mit zwei Wochen aus. Da war eine richtig nette und tolle Fotografin in Barmbek. Wie eine Babyflüsterin hat sie den kleinen Jeschu geradezu verzaubert. Schauen Sie, wie er lacht!«

      Tatsächlich. Der Kleine lacht auf dem Foto, als liebe er das Leben jetzt schon überschwänglich. Hoffentlich hält sein Lachen an.

      »Na, das ist ja ein richtiger Wonneproppen!«

      Nun lacht Miriam.

      »Stimmt. Genauso hieß die Firma der Fotografin. ›Wonneproppen‹. Ist doch niedlich.«

      »Aber warum sind Sie aus Hamburg weg?«

      Nun verschwand ihr Lachen. Eine Mischung aus Wut und Angst trat an seine Stelle.

      »Mein Ex-Freund Peter rief an. Meine Handynummer hatte er noch, wo ich wohnte wusste er nicht.«

      »Und was wollte er?«

      »Er wollte mich warnen. Sein Vater hat wegen der Geburt seines Enkels recherchiert. Er hat herausbekommen, in welcher Klinik ich war. Nun hatte Peter Angst um mich und um seinen Sohn.«

      »Und da sind Sie nicht zur Polizei gegangen?!«

      »Die kann und wird mich nicht schützen. Ich habe vielmehr meine Koffer gepackt und bin hier untergetaucht. In meiner Wohnung fühlte ich mich nicht mehr sicher.«

      Als Profi muss ich Geschichten beurteilen können. Diese ist sowohl wahr, als vermutlich auch von Interesse für Polizei und Öffentlichkeit. Ein politisch ultra-rechter Großvater sucht sein jüdisches Enkelkind. Wozu wohl? Die Tochter flieht und versteckt sich in einem kleinen Dorf. Warum wohl? Es riecht nach Bedrohung für Leib und Leben.

      Miriam und Jeschu.

      Plötzlich kribbelt es. Jenes Kribbeln, wenn mich eine Story findet, durchzieht meinen Körper. Ja, genauso passiert es gelegentlich. Nicht ich finde die Story, sondern umgekehrt. Die Geschichte findet mich. So gesehen hat mein Beruf auch etwas mit Berufung zu tun. Ich will nicht nur, ich muss recherchieren und aufdecken, was geschehen ist.

      Trotzdem merke ich jetzt, dass Miriam nicht noch mehr erzählen will. Auch Maren Bender scheint es zu spüren. Sie wechselt das Thema.

      »Jens, werden Sie nun öfter nach Himmelstal kommen, ich meine wegen der Weihnachts-Story?«

      »Vermutlich schon. Ich will noch Interviews machen, einen Gesprächsabend mit der Hausgemeinde erleben, vielleicht auch diese legendäre Samstag-Andacht mitmachen und mal sehen, was sich so ergibt.«

      Maren freut sich. Das Gespräch ebbt jedoch ab. Vermutlich sind die Frauen auch von einem langen Arbeitstag müde. Dann der Wein ...

      Als wir uns verabschieden meint Miriam:

      »Bitte behalten sie das von mir und Jeschu für sich. Niemand darf wissen, wer wir sind und wo wir sind.«

      Ich verspreche es ihr.

      »Aber bitte sagen Sie mir noch den Namen des Großvaters. Vielleicht sagt er mir etwas.«

      Miriam zögert. Wieder ist es Maren, die mir ihr Vertrauen schenkt.

      »Er heißt Heinrich Schlüter. Ich bin sicher, dass er in der Gegend bekannt ist. Ich sage nur: Rechts außen.«

      *

      Ich habe den Namen noch nie gehört. Die Geschichte von Miriam und Jeschu bewegt mich. Auf dem Heimweg muss ich mich wegen schlechter Sicht und feuchter Straße zwar extrem konzentrieren, aber auch immer wieder an Maria und Jesus denken. Die Personen unterscheiden sich, die Namen und ein Teil der Geschichte nicht.

      Ich trete voll in die Bremse und schleudere quer über die Straße. Ein Aufprall bleibt aus. War das da eben ein Wolf?

      Ich muss vorsichtig sein.

      Donnerstag, 5.12.

      Der Artikel für Samstag macht mir mehr Mühe als gedacht. Nicht, dass mir nichts einfällt. Ich habe genug Stoff über das »Tagungshaus mit Herz« in Himmelstal. Es wird eine anrührende, informative und neugierig machende Geschichte um junge Menschen, die vom Kind in der Krippe inspiriert und motiviert werden. Mangelnder Stoff oder fehlende Ideen sind es also nicht, die mich blockieren.

      Es sind vielmehr ablenkende Gedanken. Wenn man nicht bei der Sache ist, wird es schwierig. Und ich bin nicht bei der Sache mit dem Artikel. Ich werde vielmehr die Gedanken um Miriam und ihren Sohn nicht los. Die Geschichte dahinter zu entdecken, erscheint mir spannender als das, was ich vordergründig in Himmelstal gesehen und gehört habe.

      Ich schließe das Fenster meines Weihnachtsartikels und gehe ins Internet. »Heinrich Schlüter« gebe ich in die Suchmaschine ein.

      Es gibt wie erwartet mehrere Einträge mit diesem gängigen Namen. Einen Viehhändler, einen CD-Shop, einen Lufthansa-Manager und ein paar andere Schlüters mit Vornamen Heinrich. Erst auf der zweiten Seite werde ich fündig. »Erneuerte Heimat, H. Schlüter.«

      Klingt das nach rechter Gesinnung? Vermutlich. Allerdings ist weder Heimat noch die Erneuerung derselben aus meiner Sicht verwerflich. Ich lande zunächst auf einer reinen Adressseite, die nichts weiter hergibt.

      Ich gebe also nur »Erneuerte Heimat« ein.

      Bereits auf der ersten Seite erscheinen die »Neue Heimat«, eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft und die »Alte Heimat«, ein Stadtteilquartier in München. Diverse Seiten von Heimatvereinen werden beworben. Ganz vorn, direkt nach »Tracht und Heimat« finde ich einen hoffentlich brauchbaren Eintrag mit vollem Namen. »Erneuerte Heimat – Honig aus eigener Imkerei.«

      Wieder komme ich auf eine Adressseite. Eine Homepage gibt es nicht. Was immer dieser Heinrich Schlüter treibt – ans Licht der Öffentlichkeit


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