Clarissa und Fiete III. Hans Müller-Jüngst
Читать онлайн книгу.daran hatte sich in all den Jahren nichts geändert, man konnte sogar Junge sehen, die an den Zitzen ihrer Mütter tranken. In Osterhalen hielten sich am Strand auch viele Vögel auf, die sie aufgeschreckt hatten, sie brüteten aber in den Salzwiesen am Flugplatz, wohin sie später noch gelangten.
Es herrschte gerade Flut und das Wasser zwischen der Insel und der Seehundbank war mächtig in Bewegung, der an dieser Stelle der Insel doch recht starke Wind peitschte die Wellen hoch. Fiete erzählte Jasper:
„In der Rinne liegen einige gekenterte Fischerboote, deren Wracks nicht geborgen worden sind, die Fischer haben früher bei Sturm die Abkürzung durch die Rinne genommen und sind dort auf Grund gelaufen.“ Die Meereswellen liefen in langen Zungen am Strand aus, das Meer war aufgewühlt und die Vögel hatten Schwierigkeiten, sich in dem Wind über dem Wasser zu halten. Clarissa, Isolde, Jasper, Jan und Fiete liefen weiter, Jasper fragte nach den Ausmaßen der Insel und Isolde antwortete ihm:
„Süderland ist zehn Kilometer lang und an seiner breitesten Stelle zwei Kilometer breit.“ Sie liefen um die Südostecke der Insel und konnten die Rollbahn des Flugplatzes sehen. Isolde berichtete Jasper, wie sie vor beinahe zwölf Jahren auf der Rollbahn den Inseldieb Korten alias Kleppmann dingfest gemacht hätten, und Jasper staunte:
„Ihr seid doch noch Kinder gewesen!“ Sie erreichten auf der anderen Seite der Rollbahn, auf der Südseite der Insel, die Salzwiesen und sahen gewaltige Vogelschwärme, Clarissa und Isolde erinnerten sich, dass man sich vor den Angriffen der Lachmöwen in Acht nehmen musste, und Fiete sagte auch gleich, dass sich alle auf sein Kommando hinlegen und die Hände schützend über den Kopf halten sollten.
Vorsichtig liefen sie an den Salzwiesen entlang und sahen brütende Möwen, Seeschwalben und Austernfischer. Als sie das Ende der Salzwiesen erreicht hatten, rief Fiete plötzlich „hinlegen!“, und alle warfen sie sich in den Sand, die Hände über ihren Köpfen. Drei Lachmöwen flogen Angriffe auf sie und stürzten auf sie herab, wenn man sich nicht schützte, hackten sie einem mit ihren Schnäbeln in den Kopf. Als die Attacke vorüber war, sprangen alle auf und rannten Fiete hinterher, der an der Wasserlinie entlang stürmte und nach ungefähr hundert Metern stehenblieb. Außer Atem schlossen alle zu Fiete auf und schauten zurück zu den Vogelschwärmen, die sich wieder beruhigt hatten. Sie kamen langsam wieder zu Atem und liefen anschließend in Höhe von „Schüle´s Gasthaus“ ins Dorf, sie kamen an Peter Hansens Fahrradladen vorbei und gelangten zur Schule, bevor sie auf den Dorfplatz liefen und sich dort hinsetzten. Fiete sagte, dass Clarissa, Isolde und Jasper sich keine Räder zu leihen brauchten, wenn sie am Abend eine Tour machten, könnten sie die Räder seiner Eltern und das von Oma Stevens benutzen, nur wenn sie alle zur „Domäne Schlüter´s“ führen, müssten sie überlegen, aber vielleicht könnten sie sich ja auch ein Pferdefuhrwerk leihen! Sie schauten zu Anna Barkhusens Laden, sie hatte gerade Mittagspause und sie setzten sich vor die Eisdiele, alle bestellten das Übliche, gemischtes Eis mit Sahne und Krokantsplittern.
Der Gedanke an ein Pferdefuhrwerk beschäftigte Fiete, das hätten die Alten auch lieber, als mit dem Rad zur „Domäne“ zu fahren, und Oma könnte ohnehin kein Fahrrad fahren. Fiete beschloss, im Anschluss zur Pferdestation zu gehen und dort nachzufragen, ob er für den nächsten Nachmittag ein Fuhrwerk für zehn Personen leihen könnte. Sie aßen ihr Eis und liefen hinterher zur Pferdestation, dort trafen sie den Besitzer, einen alten Inselbewohner an, er organisierte Kutschfahrten aller Art und war mit seinen Fuhrwerken auch für den Transport von Personen vom Flugplatz zu deren Bestimmungsort zuständig. Fiete ging auf ihn zu und fragte:
„Kann ich mir bei ihnen ein Fuhrwerk für einen Nachmittag leihen?“, und der alte Mann sagte, dass das kein Problem wäre. Als Fiete ihm die Personenzahl nannte, meinte der Alte:
„Du brauchst ein Fuhrwerk, das von einem starken Pferd gezogen wird!“, und er zeigte Fiete einen großen Wagen, auf dem sie alle Platz hätten.
„Ich werde für dich meinen Friesen einspannen“, sagte er „und dir am nächsten Tag eine Kurzeinweisung geben, du kannst anschließend sofort losfahren!“ Fiete dankte ihm, über den Preis müssten sie noch verhandeln, aber sie würden sich schon einig werden, sagte der Alte.
Die jungen Leute gingen wieder zu Kleens und beschlossen, noch einmal zum Strand zu gehen, sie wollten sich noch für zwei Stunden dort aufhalten. Die alten Kleens, Bubenhäusers und auch Oma Stevens saßen bei einer Tasse Kaffee im Hof und wollten von ihnen hören, wie es auf ihrer Wanderung gewesen wäre. Fiete erstattete kurz Bericht, die jungen Frauen sagten, das alles noch so wäre wie vor über zehn Jahren, sie hätte ihre Wanderung sehr schön gefunden, sie wollten am nächsten Morgen nach Westerhalen laufen. Clarissa und Isolde verrieten nichts von ihrem Nachmittagsvorhaben, Fiete hatte sie angesehen und einen ernsten Blick aufgesetzt, sie wussten gleich, was er damit zum Ausdruck bringen wollte und sagten nichts. Sie liefen auf ihre Zimmer und holte ihre Schwimmsachen, Fiete nahm seinen Ball mit zum Strand. Als sie auf den Strandweg liefen, stand die heiße Luft im Windschatten der Dünen, die Luft war beinahe zu heiß, um sie einzuatmen, der Duft der Hagebutten und der Heckenrosen konnte sich voll entfalten. Auf dem Strand rissen sie sich die Kleidung vom Leib und zogen sich ihr Badezeug an, sie rannten ins Wasser und genossen die Erfrischung. Sie bildeten sofort einen großen Kreis und warfen sich Fietes Ball zu, sie ließen den Kreis immer größer werden und legten sich nach einer Zeit in die Sonne. Fiete sagte, dass er sich schon auf die Gesichter der Alten freute, wenn er am nächsten Tag mit dem Pferdefuhrwerk vor dem Haus stünde, er glaubte, dass sie sich darüber freuten, mit ihm zur „Domäne Schlüter´s“ zu fahren und dabei gemütlich auf dem Wagen sitzen zu können.
Sie gingen alle noch einmal ins Wasser und tollten herum, bevor sie ihre Sachen nahmen und wieder zu Kleens liefen. Sie hängten ihre nassen Badesachen über die im Hof gespannte Leine und setzten sich zu den Alten an die beiden Tische, die sie inzwischen zusammengeschoben hatten. Frau Kleen hatte ihre Damasttischdecke aufgelegt. Sie sagte, dass sie zusammen mit Frau Bubenhäuser Kartoffelsalat machen wollte, Clarissa und Fiete sollten doch noch einmal ins Dorf laufen und ausreichend Würstchen kaufen. Also nahmen die beiden den Handwagen und liefen zum Supermarkt, sie wollten auch noch eine Kiste Bier mitnehmen. Auf dem Rückweg hielten sie sich an der Hand und Fiete zog den Wagen, sie schauten sich an, und Clarissa lächelte Fiete ins Gesicht, das war ein Lächeln, wie es Steine erweichen konnte, Fiete schmolz dahin. Im Hof waren mittlerweile von Isolde, Jasper und Jan die Tische gedeckt worden und alle saßen, bis auf Frau Kleen und Frau Bubenhäuser die in der Küche mit dem Kartoffelsalat beschäftigt waren. Clarissa lief mit den Würstchen zu ihnen und schüttete sie in einen großen Topf, wo sie sie eine Zeit lang ziehen ließ. Fiete kümmerte sich um das Bier und legte davon reichlich in den Kühlschrank, sein Vater hatte schon am Nachmittag den Kühlschrank aufgefüllt und auch Wein hineingestellt.
Frau Kleen und Frau Bubenhäuser kamen mit dem Kartoffelsalat heraus, Clarissa hatte die Würstchen auf eine Schale gelegt und auf die Tische gebracht. Der Kartoffelsalat war hervorragend und hatte aus unerklärlichen Gründen in den letzten Jahren völlig an Beachtung verloren, es gab kaum noch jemanden, der ihn aß, vielleicht war er vielen zu mächtig. Frau Kleen hatte die Majonäse selbst hergestellt und ihre eigene Rezeptur für den Salat, Frau Bubenhäuser steuerte ihre Rezeptur bei. Als jeder davon probiert hatte, gab es allgemeines Lob und die beiden Damen fühlten sich geschmeichelt, Fiete goss den Frauen Wein ein und prostete allen zu, sein Vater sagte laut „guten Appetit!“, und sie begannen, ruhig vor sich hin zu essen. Die Kartoffelsalatmenge hätte vielleicht für weitere zehn Personen ausgereicht, als jeder zweimal genommen hatte, war es genug, mehr schaffte niemand, Frau Kleen wollte den restlichen Kartoffelsalat verwahren und später noch einmal servieren. Nach dem Essen wurde wieder gesungen, das Singen hatte bei Kleens Tradition, nicht nur zu Weihnachten wurde gesungen, sondern auch zu allen möglichen Treffen, Frau Kleen tat sich dabei immer besonders hervor, sie hatte das von ihrer Mutter, die für ihr Leben gerne sang und die Strophen fast aller gängigen Lieder kannte. Herr Kleen summte seit jeher die Melodien mit und setzte beim Refrain immer ein, wie es auch die anderen taten, er kannte die Liedtexte nicht, obwohl sie ihm schon x-mal vorgesungen worden waren.
Sie unterhielten sich an dem Abend noch lange über alles Mögliche, Herr Kleen hatte die Gaslampen angemacht, der Abend war angenehm, es wehte ein sanfter Wind und es war warm. Um 23.30 h gingen sie alle ins Bett, in jedem Zimmer standen