Terrorismus in Deutschland und Italien: Theorie und Praxis der RAF und der BR. Kai Berke

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Terrorismus in Deutschland und Italien: Theorie und Praxis der RAF und der BR - Kai Berke


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wieder in das Gesellschaftssystem reintegrierte. Trotzdem soll nicht verschwiegen werden, dass die Zugangschancen zu weiterführenden Schulen und zur Universität durch die Brandt- Regierung nicht zuletzt durch Einführung des BAföG für Kinder aus Arbeiterfamilien erhöht wurden.

      Die Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition

      Als bleibende Leistung der Amtszeit Willy Brandts gilt (zu Recht) die Entspannungspolitik gegenüber den Staaten des Ostblocks. Nach der von den Vorgängerregierungen vollzogenen Westintegration der Bundesrepublik war es das große Verdienst des Sozialdemokraten und späteren Friedensnobelpreisträgers Brandt, die europäische Nachkriegsordnung anerkannt und die Aussöhnung mit den Staaten Osteuropas vorangetrieben zu haben. Grundlage hierfür waren die Verträge von Moskau und Warschau von 1970, die einen Gewaltverzicht und die Anerkennung der bestehenden Grenzen –einschließlich der Aufgabe des Anspruchs auf die deutschen Ostgebiete- umfassten und der Grundlagenvertrag mit der DDR von 1972, der ein geregeltes Nebeneinander auf friedlicher Basis ermöglichte.

      Diese Abwendung von der Ideologie des „Kalten Krieges“, die die USA und die UdSSR schon in den 60‘er Jahren im Rahmen der „friedlichen Koexistenz“ begonnen hatten, fand die Zustimmung sehr großer Teile der deutschen Bevölkerung, wie die zum Plebiszit über die Ostverträge stilisierten vorgezogenen Bundestagswahlen von 1972 eindrucksvoll bestätigten. In dieser Phase, in der die Regierung ihre ganze Aufmerksamkeit der Entspannungspolitik und der Sicherung des Friedens widmete, war eine Mobilisierung der breiten Massen für den bewaffneten Kampf mit dem Argument der angeblich „aggressiven imperialistischen Politik“ nicht möglich.

      Innenpolitische Reformen

      In der Innenpolitik ist eine systematische Bestandsaufnahme schon schwieriger, da hier auf den verschiedenen Themenfeldern nicht so konsequent ein „roter Faden“ verfolgt wurde wie in der Außenpolitik. Es wird aber oft zwischen zwei Phasen der sozialliberalen Koalition unterschieden. Einer Reformphase von 1969 bis ca. 1972/73 unter dem Kanzler Brandt und eine pragmatische oder technokratische Phase von 1973/74 bis 1982. Die Politik bis 1973 hat durch ihren Akzent auf der Liberalisierung und Demokratisierung des Staates zur gesellschaftlichen Isolation der RAF beigetragen, die den Staat faschistisch reden wollte; die Folgejahre waren eher bestimmt von der juristischen Isolation der RAF, deren Wirkung im fünften Kapitel beschrieben werden wird und die in ihrem willkürlichen Charakter eher zur Verlängerung des Phänomens RAF beigetragen haben.

      Ich habe schon ausgeführt, dass es sich bei der 68‘er- Bewegung in Deutschland- anders als in Italien- nicht um eine am Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital orientierte Bewegung handelte, sondern dass es um postmaterielle Werte ging. Dieses Streben nach individueller Freiheit und nach Partizipationsmöglichkeiten und „echter“ Demokratie wurde z. T. schon mit dem Regierungswechsel als solchem befriedigt. Die Tatsache, dass ein Regierungswechsel zu einer Regierung jenseits der CDU überhaupt möglich war, bewies das Funktionieren der Demokratie und es war mehr als nur ein Symbol, dass die neue Regierung im Mai 1970 eine Amnestie für Straftaten im Zusammenhang mit der APO erließ und zugleich das Demonstrationsrecht liberalisierte. Auch der Forderung nach Lockerung der Moralvorstellungen, die am vehementesten von der Kommune 1 vertreten wurde, kam die Koalition mit der Streichung des Kuppelei- Paragraphen und der Entschärfung der Pornographie- Vorschriften nach. Die sozialliberale Koalition ging auf beinahe allen Politikfeldern mit einem solchen Elan an die Arbeit, dass es als Ironie des Schicksals zu werten ist, dass sie gerade in dieser demokratischsten Periode der Bundesrepublik durch das Verschrecken der neuen Mittelschichten den Grundstein für spätere Wahlniederlagen legten.

       B: ITALIEN

      DIE ENTWICKLUNG BIS 1968

      Traditionen

      Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Italien eine lange antistaatliche Tradition. Die Zusammenführung zweier so unterschiedlicher Landesteile wie des industrialisierten, reichen Nordens und des halbfeudalen, armen Südens hat seit der Einigung immer wieder für Spannungen gesorgt. Im Süden gibt es aufgrund der Abwesenheit staatlicher Institutionen, die das Gewaltmonopol durchsetzen könnten, zudem eine Tradition nichtstaatlicher Gewalt. Bis in die Nachkriegszeit existierte in Süditalien ein gesellschaftliches Subsystem aus Clientelismus, Familismus, mit dem die Mafia ihre Herrschaft begründete. So war es bis in die 60‘er Jahre üblich, dass man sich bei Problemen nicht an die – ohnehin machtlose- Polizei wandte sondern an den örtlichen Capo. Auch Arbeitsplätze und andere gesellschaftliche Notwendigkeiten wurden über solche informellen Strukturen vermittelt, da der staatliche Apparat gar nicht die Ressourcen hatte, die vielfältigen Probleme des Südens zu lösen.

      Ebenfalls im Süden existiert eine Tradition der gewalttätigen Revolte, die im Agrarrebellismus und Banditentum ihren Ausdruck findet. Das dem Banditen anhaftende Robin- Hood- Image ist jedoch umstritten. Genannt werden müssen aber noch die zahlreichen lokalen Aufstände der Tagelöhner, Pächter und Kleinbauern, sowie die Landnahmebewegung von 1943 bis 1950, an der Zehntausende Bauern beteiligt waren. Auch die große anarchistische Bewegung brachte einige Aufstandsversuche hervor, wie im Jahre 1877, als die Bauern Campaniens von den Anarchisten Cafiero und Malatesta zu einem Aufstand aufgestachelt wurden.

      Auch wenn der geschätzte Umfang mit 30.000 Anhängern bei rund 4000 bis 5000 in Gruppen organisierten Anarchisten 1969 der größte in Europa war, spielen Anarchisten für den bewaffneten Kampf der 70‘er Jahre keine Rolle, wenn sich auch immer wieder für faschistische Bombenanschläge verantwortlich gemacht wurden. Die Brigate Rosse berufen sich aber auf andere historische Wurzeln.

      Resistenza

      Das Schlüsselereignis, auf das sich die linken bewaffneten Gruppen auch immer bezogen haben, war die Resistenza im Zweiten Weltkrieg. Im Gegensatz zu Deutschland leisteten die Italiener einen relevanten Eigenanteil zur Befreiung vom Faschismus. Der gemeinsame bewaffnete Widerstand von Kommunisten und Sozialisten, Katholiken und Liberalen ist als Gründungskonsens der Nachkriegsrepublik anerkannt. Wenn bewaffnete Gruppen der 70‘er Jahre meinen, sie müssten vollenden, was damals abgebrochen wurde, so ist darin Kritik an der Politik der Arbeiterparteien enthalten, die eine genauere Betrachtung erfordert.

      Der Zweite Weltkrieg ging für Italien zweimal zu Ende. Zum einen kapitulierte Italien am 8. September 1943 vor den Alliierten, die von Süden vordrangen. Vorausgegangen war der Sturz des Duce Mussolini nach 20- jähriger Herrschaft durch den faschistischen Großrat am 25. Juli 1943 als Reaktion auf die unerfüllten Hoffnungen, die an den Krieg gestellt worden waren. Die neue Regierung unter dem Generalstabschef Badoglio stand allerdings eindeutig in faschistischer Kontinuität und versuchte Zeit zu gewinnen, um sich den Alliierten als Verbündeter gegen die „kommunistische Gefahr“ anzudienen. Einen Tag nach der Kapitulation befreiten deutsche Fallschirmjäger Mussolini und errichteten in Norditalien die „Soziale Republik von Salo“, die noch über anderthalb Jahre unter faschistischer Besatzung blieb, bevor am 28./ 29. April 1945 der Krieg auch für Norditalien zu Ende ging.

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