Globale Körper. Taiya Mikisch

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Globale Körper - Taiya Mikisch


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in der engen Verknüpfung des atmosphärischen Spürens mit der eigenen Körpererfahrung im Sinne von Spannungs-, Erregungs-, Lust- oder Unlustzuständen.“{59}

      Die durch die Teilnehmende Beobachtung gewonnenen Eindrücke dokumentierte ich in Form von Feldnotizen. Die Feldnotizen bestehen aus einer Mischung deskriptiver Beschreibungen von Situationen, theoretischer Überlegungen und Tagebucheinträgen sowie aus Notizen organisatorischer und logistischer Art wie Beispielsweise Zeitplänen oder Regiebucheinträgen.{60} Als einen Bestandteil dieser Feldnotizen habe ich in den Forschungssequenzen ein somatisches Tagebuch geführt, in dem ich mich vor allem auf meine körperlichen und emotionalen Reaktionen und Empfindungen beziehe. Ich konnte so durch das Wahrnehmen einer Atmosphäre ein Gefühl für Arbeitsweisen der einzelnen ChoreographInnen entwickeln, sowohl bezogen auf die Auswahl des choreographischen Materials als auch bezogen auf wiederkehrende Situationen und Dynamiken. Diese Besonderheiten haben auch immer politische Implikationen: Sie stehen in Verbindung mit Hierarchien im Produktionsprozess, mit Erwartungen und mit Zugängen und Möglichkeiten der einzelnen Beteiligten.

      Damit geht immer auch einher, dass ich meine eigenen Annahmen, Stereotype, Interessen und auch meine eigene Körperpraxis und Rezeptionspraxis mitdenke und berücksichtige, dass meine Beobachtungen und Interpretationen immer auf der Grundlage meiner eigenen körperlichen Vorerfahrung und Rezeptionserfahrung geschehen. Ich begreife mich selbst als Forscherin immer auch als diskursives Gebilde. Meine persönlichen Interessen, Ziele, Erfahrungen, mein Vorwissen, meine Rolle im Gesamtgefüge der Produktionen spielen hier eine zentrale Rolle und müssen mitgedacht werden.{61}

      Kontaktflächen, Konstellation # 3

      Die dritte Konstellation an Kontaktflächen beziehe ich auf die Aufführung. Dabei greifen ästhetische Analyse der Stücke und Analysen des Raumes, der im Moment der Aufführung entsteht, ineinander. Im Zentrum steht der performative Raum der Aufführung,{62} in dem sich Konstellationen an Kontaktflächen aus ZuschauerInnen, dem Geschehen auf der Bühne und darüber hinaus auch aus Rahmungselemente wie Spielorte, Programmhefte etc. vernetzen.

      Oft geht es hier um Vorstellungen, Erfahrungen und Festlegungen von Teilen von Welt und somit auch um die Herstellung von Welt durch die spezifische Beziehung ihrer Bausteine. Als Ausgangspunkt für diese dritte Konstellation an Kontaktflächen beschäftige ich mich mit Positionierungen und Erfahrungen des Publikums. Hier spielen Prozesse der Wahrnehmung eine wichtige Rolle.

      Forschungsschritte und Datensätze

      Ich war selbst bei den Aufführungen der Stücke mehrmals anwesend und habe dadurch die Bühnenversionen sehr oft gesehen und unterschiedliche Publikumskonstellationen mitbekommen.

      Darüber hinaus habe ich nach allen untersuchten Projekten in Form standardisierter Fragebögen alle ZuschauerInnen, die sich zu dieser Befragung bereit erklärten, assoziativ nach ihrem Erleben des Stückes befragt. Diese Befragungen erfolgten schriftlich, so dass ich möglichst viele ZuschauerInnen befragen konnte. Das sample, also die Auswahl der InterviewpartnerInnen war zufällig ausgewählt.{63} Die Fragebögen glichen sich in ihrem inhaltlichen Aufbau, ich habe sie aber je nach Stück variiert und einzelne Fragen angepasst. Dabei verfolge ich nicht den Ansatz einer repräsentativen Publikumsstudie, die Aussagen darüber treffen möchte, wie ein Stück vom Publikum „allgemein“ wahrgenommen wird – liegt solchen Fragen doch ein Kunstbegriff wie auch ein Wahrnehmungsbegriff zugrunde, der sehr deterministisch gedacht ist. Vielmehr habe ich die Antworten einerseits dafür verwendet, Kategorien zu entwickeln und andererseits dahingehend ausgewertet, dass sie Ausgangspunkte für Fragen bilden. Denn durch die Befragung soll auch wiederum kein deterministischer Übersetzungsbegriff von Erfahrung zur Sprache verfolgt werden. Ich benutze die Äußerungen des Publikums um Ausgangspunkte zu finden, die auch in Hinblick auf die im Stück vorhandenen Inszenierungsstrategien fruchtbar gemacht werden können.{64}

      Als besonders fruchtbar haben sich die Fragen herausgestellt, die sehr assoziativ zum Erleben des Stücks gestellt waren oder solche, die nach Assoziationen zu einzelnen Begriffen in Bezug auf das Stück fragten, die z.B. ein Brainstorm zu den Stichworten Körper, Bewegung, Bühne, Musik forderten.

      Hiermit habe ich im Auswertungsprozess mit verschiedenen Gruppierungs- und Codierungsmöglichkeiten experimentiert, jedoch nicht in Hinblick auf allgemeingültige Aussagen, sondern zur Generierung zentraler Kategorien und vor allem um Fragen zu entwickeln. {65} Dabei hat mich Folgendes interessiert: Welche Assoziationen häufen sich und lassen dadurch eine Grundstimmung entstehen? Jedes Stück bekommt dadurch – immer mitbedenkend, dass es sich um einen Ausschnitt des Publikums handelt{66}– eine bestimmte Aufladung. Diese Aufladung oder Grundstimmung setze ich wiederum in Bezug zum untersuchten Entwicklungsprozess der Stücke. Da ich die Gruppierung und Kategorisierung der Nennungen vornehme, ist immer auch meine Prägung durch meine Anwesenheit im Entstehungsprozess und meine Rezeption der Kritiken etc. mitzudenken. Insofern setze ich die Grundstimmung mit Diskursen und Mechanismen in Bezug, die mir für die jeweilige Produktion relevant erscheinen. Gleichzeitig hatte ich bei der Erstellung der Wortfelder, bei der Codierung selbst, den Anspruch, möglichst ohne Vorannahmen an das Material heranzugehen.

      Die entstehenden Stimmungsbilder dienten dann im nächsten Schritt als Folie, um Themen und Fragen zu generieren. Hier geht es mir zum einen darum, ob bestimmte Themen besonders häufig angesprochen wurden und andere selten oder gar nicht. Zum anderen habe ich mich hier auch auf den Wahrnehmungsmodus konzentriert.

      2.2 Selbstpositionierungen

      Eine ethnographische Vorgehensweise führt immer auch zu Problemen, Grenzerfahrungen und forschungsstrategischen Einschränkungen. Meine Forschung war explorativ angelegt und brachte deswegen immer auch ein hohes Maß an Unvorhersehbarkeit mit sich. Gleichzeitig bin ich als Ethnographin mit Menschen in Auseinandersetzung, die ganz verschiedene Vorgehensweisen und Persönlichkeitsstrukturen mit sich bringen. Konflikte und Missverständnisse können so im ethnographischen Prozess vorkommen. Außerdem ist die Problematik des Zugangs ein zentrales Thema, ging es in meinem Fall beispielsweise immer darum, dass ich Projekte finden konnte, die thematisch passend sind, die grob in meinen Zeit- und Finanzplan passten und bei denen die ProjektinitiatorInnen darüber hinaus auch noch offen dafür waren, mich in den Produktionsprozess mit zu involvieren.

      Aus der Unterschiedlichkeit der Projekte und unterschiedlichen Zugänglichkeiten ergaben sich deswegen auch Variationen in den Forschungssequenzen: Manche Projekte konnte ich von Anfang an begleiten, andere nur in der Phase der Endproben, bei manchen waren Zuschauerbefragungen schwierig, bei anderen wiederum sehr ergiebig. Solche Unterschiede führen zu Variationen in den Datensätzen. Hier habe ich versucht, die Unterschiede fruchtbar zu machen, indem ich beispielsweise herausarbeiten konnte, welche Fragen offenbleiben, wenn ich einen Probenprozess kaum mitbekommen habe im Gegensatz zu einem intensiv begleiteten Probenprozess.

      Ich war als Ethnographin und Teilnehmerin an den Projekten immer auch in die Mechanismen der Hierarchien verstrickt, in denen sich die anderen Beteiligten befanden. Bei meinem Mitwirken in den Produktionsprozessen hat mein Hintergrund eine Rolle gespielt. Die Rolle der „weißen“ Akademikerin, die sich in „ethnisch“ von sich unterscheidende Gemeinschaften von Menschen begibt, um mehr über ihr Leben zu erfahren, steht in der Kolonialtradition der Ethnologie. Diese Tatsache wurde mir sehr eindrücklich bei einer gescheiterten Forschungserfahrung gespiegelt. Im Rahmen der Forschung beim Festival Theater der Welt wollte ich gerne neben der Arbeit Pichet Klunchuns auch die des neuseeländischen/samoanischen Choreographen Lemi Ponifasio in meine Forschung mit einbeziehen. Ponifasio hatte wenig Interesse daran, eine beobachtende Instanz mit in den Prozess der Endproben hinein zu lassen. Als ich ihn fragte, ob es in Ordnung sei, nach der Vorstellung meine Fragebögen an das Publikum zu verteilen, antwortete er barsch „No, you can’t do that. That’s a strange thing to do. You would have to come to New Zealand first.“{67} Ponifasio, dessen Titel des „High Chief“ und dessen regionale Herkunft (Samoa) in seinem Lebenslauf oft hervorgehoben wird,{68} kann vermutlich auf zahlreiche Erfahrungen zurückblicken, in denen er oder seine Arbeit mit einem ethnographischen Ansatz „erforscht“ wurde. Mein Eindruck war,


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