Frankreich mit allen Sinnen. Otto W. Bringer

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Frankreich mit allen Sinnen - Otto W. Bringer


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kennen wir: ‚Espérance’ in Vézelay, Burgund. ‚Abbay la Pommeraie’ in Selestat, Elsass. ‚Moulin de l´Abbay’ in Brântome, Dordogne. ‚Château de la Chèvre d´Or’ in Éze Village, Côte Azur. ‚Loiseau’ in Saulieu, Burgund. Madame Loiseau lächelt uns besonders freundlich zu. Ihr Mann erhängte sich letztes Jahr, als er seinen zweiten Michelin-Stern verlor. Mittlerweile gibt es Köche, die ihren freiwillig zurückgeben. Was ist ein Stern? Druck loswerden ist mehr. Mehr Freiheit für die Kunst, ihre Motivation.

      ‚Le Cardinal’ mit jungen Leuten aus Paris. Nicht unsympathisch. Erzählen uns, alles sei besser jetzt als früher. Wir naschen vom Amuse Bouche. Machen grosse Augen und sagen zu. Ein halbes Jahr später sind wir dort. Äusserlich alles beim Alten. Die Küche strengt sich an: Hummersüppchen unter Blätterteig. Lecker. Vom Rest schweigen wir. Nur soviel: Statt Purpurdecken weiße. Der Swimmingpool ohne Wasser. Der gute Geist des Hauses ausgefahren. Denken traurig an Madame de la Motte. Und ihre kleinen Topfgärten mit purpurfarbenen Astern auf purpurfarbenen Tischdecken. Wie geht es ihr wohl? Rose wischt eine Träne weg.

       „Zwischen Calamari und den gelben Schlucken aus dem Achtelglas beiße ich die Worte – um sie in den Vers zu bringen der sie wiederholbar macht – duftend nach Öl und Knoblauch – schmeckend nach Meer und Traube und Sand – für den Fall, daß ich eines Tages meine Freuden nur noch aus Erinnerungen pflücken kann – weil mich meine Füße nicht mehr zu den Orten tragen die ich liebe“

      ST.RÉMY-DE-PROVENCE – Nachtigall singt.

      „Höre die Nachtigall!“ Rose hellwach nach zwölf Uhr Mitternacht. Meine Hörmaschinen registrieren entfernte Töne nur sehr ungenau. Wir stehen am offenen Fenster der ‚Hostellerie du Vallon de Valrugues’. Abseits der Straße. Waldnah. Strenge mich an. Konzentriere mich auf das Wort Nachtigall. Da, höre ich etwas? Leise, leise flöten. In die Nachtluft gehauchte Töne eines unirdischen Wesens. Rose schließt ihre Augen. Um ganz Ohr zu sein. Dann nichts mehr. Aufgestiegen aus einem Traum. Abgetaucht in die Nacht. Vielleicht bis morgen. Vielleicht.

      St. Rémy ist ein idealer Standort, die Provence ringsum zu erkunden. Die Landschaften zu erleben. Mit ihren charakteristischen Weingärten. Olivengärten. Pinien. Lavendelfeldern. Wasserläufen. Immer wieder Graufelsiges. Die Alpillen am Horizont. Einsprengsel im Grün aus graulöcherigem Kalkstein. Gescheckte Platanen beiderseits der Straßen Wegweiser zu allen wichtigen Orten und Ereignissen. Wir folgen ihnen blind. Es sei denn, wir haben ein festes Ziel. Les Beaux. Sénanque. Die römischen Reste der Spätantike in Glanum am Rande der Stadt.

      Freund Alois konnte sie aus fünfzig Meter Distanz den ganzen Tag bestaunen. Und in den Resten nach Details suchen. Wir hatten ihnen eine Ferienwohnung besorgt, die ich aus der Zeit vor Rose kannte. Praktisch und billig. Gut für Leute, die mit der Nase nah dran sein wollen.

      Zuerst also zu den Römern. Von weitem sehen wir den Kenotaph der Julier. Hochgeachtete Familie in Rom. Im Turm oben Reliefs von Vater, Mutter und ihren drei Söhnen. Sie müssen irgendwas mit Caesars Gallischem Krieg zu tun gehabt haben. Begraben liegt hier keiner. Der Turmbau wahrscheinlich eines der vielen Zeichen römischer Macht. In den eroberten Gebieten. Wie der Triumpfbogen, der Caesar im Kampf mit den Galliern zeigt. Siegreich, wie wir aus ‚de bello gallico’ wissen. Wo waren die Römer nicht die Herren? Übrigens typisch römische Architektur der Spätantike. Die Steinreliefs. Ich habe nichts daran zu kritisieren. „Könnten auch in Rom stehen“ meint Rose. Sie kennt sich dort aus. Ich nicht.

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      An der Landstraße nach Les Baux Platanen rechts, Platanen links. Zahlreiche Häuser mit großen Schildern an der Fassade: ‚Brocantes’. Bei uns sagt man Trödler. Ladenbesitzer, die altes Geschirr mit Neuem, auf Alt gemachtem so raffiniert miteinander mischen, dass alles antik aussieht. Zum Kauf anreizt. Verständlich, Menschen suchen im Urlaub nichts Perfektes. Lieben Kupferkessel, die eine Beule haben. Einer unbekannten Grossmutter Truhe. Nachttopf. Kerzenleuchter. Pfannen in rauen Mengen.

      Ausnahme neue Löffel aus schön gemasertem Olivenholz. Das Stück ist in der letzten Woche der Drechselbank entsprungen. Aber das Holz ist alt. Sehr alt wie der Baum, der sterben musste. „Rose, Du glaubst nicht, was so an alt gewordenem Zeug zusammenkommt. Wahrscheinlich fahren die Händler über Land. Und sammeln alles, was nicht mehr gebraucht wird. Für läppisches Geld.“ „Touristen zahlen hohe Preise für ein Souvenir aus Frankreich. Nicht für das alte Stück an sich.“ Originalton Rose.

      Im selben Urlaub kaufen wir ein Paar ausrangierte eisenschwarze Kaminholzträger. Mit zwei gusseisernen Grenadieren vorne statt Eisenstützen. Aus dem neunzehnten Jahrhundert. Bei einem Antiquaire. „Holzscheite brauchen beim Brennen Luft von unten.“ Rose lacht. Ich finde eine andere Begründung. Relikt der Ära Napoleon III. Antiquität mit praktischem Nutzen. Kein Anlass zu spotten.

      Hügelrauf, hügelrunter, auf einer Brücke die Seiten gewechselt. Langsam geht es abwärts. Im Gegenlicht breitet sich Ebene aus. Bäume werden selten. Rebstöcke vervielfachen ihre Reihen. Bis an den Rand der Alpillen. Karstiger Gebirgszug. Die Straße eilt darauf zu. Sie muss sich ganz schön winden, wenn sie oben ankommen will. Auf dem höchsten Plateau des Gebirgszuges. Da, wo sich das Städtchen Les Baux mit Müh und Not hinaufgebaut hat. Das rissige Gestein bietet wenig Platz für repräsentative Bauten. Ich hatte mich schlau gemacht.

      „Seit dem siebzehnten Jahrhundert ist kein größeres Haus mehr dazu gebaut worden. Besitzer sind die Grimaldis. Richtig gehört, Rose. Sie halfen den Franzosen, die Spanier zu vertreiben. Spanien konfiszierte aus Rache Grimaldigelände in seinem Land. Die Franzosen bedankten sich bei den Rettern aus Monaco und schenkten ihnen St. Rémy und Les Baux.“ Caroline, Prinzessin von Monaco lebt in St. Rémy mit ihren Kindern. Sie ist uns nie begegnet. Vielleicht weil sie abtaucht, mich für einen Paparazzi hält. Mit der Kamera herum laufender Irrer. Gleich sind wir oben. Sehe schon den großen Parkplatz auf dem vorletzten Plateau.

      Rose fährt fantastisch. Kurvt um Olivenbäume. Felsblöcke. Findet auf dem Parkplatz rasch eine Lücke. Wir zotteln los. Steigen die steile Straße hinauf. Vorbei an meist zweigeschossigen Häusern. Vergrauten Ruinen mit schön gebliebenen Portalen. Buckeliges Pflaster. Meterweise asphaltiert. Und immer wieder Stufen. Krumm und schief aus dem Fels geschlagene Tritte. Ich muss aufpassen. Rose mir voran. Meine Bandscheibe schreit Vorsicht. Leicht abrutschen kann Krankenbahre bedeuten.

      Nur alte Autos mit langen Federbeinen könnten hier fahren, wenn sie dürften. Steil, steiler, am steilsten. Schräg links. Schräg rechts. Stammten wir nicht vom Affen ab, könnten wir nicht so gut klettern.

      Vor einem Hoftor vier Jutesäcke mit Blütenblättern. Kräuterzweiglein. Beeren. Typisches Provencekolorit. Rose geht in die Hocke. Nimmt einen Zweig, riecht. Lächelt. Schaufelt eine Handvoll Lavendelblüten. Hält sie mir entgegen. Der Duft ist bei mir, bevor ich meine Nase hineinstecke.

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      Fotografiere die Szene. Rose im plissierten Seidenjäckchen. Provencebunt. Knieend vor naturgebleichten Säcken mit allen Farben der Provence. Mensch und Natur in harmonischer Eintracht. Ein Bild, das mich rührt. Tief innen.

      Einige Schritte weiter ein Haus im Renaissancestil. Mit kleinem Innenhof. Ein Quadratmeter Garten. Der Olivenbaum windet sich wie eine Schraube, um schlank zu bleiben. Und geduldet zu werden. Auf kleinstem Raum. Verzichten will niemand auf dieses Symbol der Provence. Zwei Stufen, wir sind in einem feinen Souvenirlädchen.

      „Schau diese schönen Schalen.“ Rose entdeckt die mit stilisiertem Blattwerk bemalten, kaum sind wir drinnen. Könnten von Picasso sein. Oder hat der Meister es den Töpfern abgeguckt? Gehe näher. Hebe eine Schale hoch, sehe unter den Boden. Signatur? Nicht lesbar.

      In Regalen Kleinteiliges. Eierbecher. Deckeltöpfchen. Blumenvasen. Gläser. „Hier“ ruft Rose vor der Schmuckvitrine. „Diese Kette gefällt mir“. Ihr Zeigefinger ist eindeutig. Ihre Augen glänzen, als besäße sie sie schon. Lasse mir die Kette aus dreifarbiger Keramik geben. Nehme sie in die Hand. Sehe ein harmonisch geformtes Kunstwerk. Befühle die


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