Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945. Winfried Wolf
Читать онлайн книгу.manchen Menschen der Sinn dafür, das Private im Umgang mit Fremden auszuschalten. „Seien wir also“, empfiehlt er, „bei Anreden lieber etwas zu formell als familiär, schließlich haben es die älteren Menschen verdient, dass man ihnen mit Respekt entgegenkommt“.“(vgl. 5/59/407)
Im Umgang mit dem anderen Geschlecht wird den jungen Mädchen geraten „jene weibliche Zurückhaltung“ zu zeigen, „die einen Spaß fröhlich mitmacht, aber immer weiß, wo er seine Grenzen hat.“ (vgl. 11/54/487)
Der Ratgeber verweist auf „das Gefühl für weibliche Würde und Selbstachtung, das nicht herausfordert, sondern leise an die wohl in jedem anständigen Mann schlummernde Bereitschaft, Schwachen zu helfen, appelliert....“ (11/54/487)
Seine Grenzen kennen, Zurückhaltung wahren und Respekt zeigen im Umgang mit älteren Menschen – das sind die Haltungen in den Formen des Umgangs mit anderen, die der Ratgeber seinen Lesern ans Herz legen will.
Freizeitverhalten:
Wie soll bzw. kann der Jugendliche seine Freizeit gestalten? Ein Thema, welches dem Ratgeber angesichts der ausgemachten Gefährdungen für Jugendliche als besonders brisant erscheint. Mit der Einführung der 5-Tage-Woche und dem damit verbundenen Zuwachs an Freizeit gewinnt dieser Problembereich für den Ratgeber zusätzlich an Bedeutung. „Gefährdet sind in dieser Hinsicht“, schreibt der Ratgeber 1957, „vor allem die heranwachsenden jungen Menschen, denen es vielleicht noch an Einsicht über den Wert oder Unwert der Dinge mangelt oder an seelischem Halt in der Familie und nicht zuletzt an den mancherlei Möglichkeiten der Erwachsenen ihre Freizeit auszufüllen durch die Pflege und Betreuung etwa eines Gartens... Wenn solche jungen Menschen erst einmal Gefallen gefunden haben an seichter oder sinnloser Unterhaltung, wird es nicht leicht sein, sie für andere, bessere Dinge zurückzugewinnen.“ (vgl. 6/57/377)
Was ist also zu tun? Der Ratgeber meint: „Je eher eine kluge, unmerkliche Lenkung nach dieser Richtung (Erziehung zum guten Geschmack und „sinnvoller“ Freizeitbeschäftigung, d. V.) einsetzt, desto größer wird der Erfolg sein“ (vgl. 6/57/377). Doch was ist unter einem „sinnvollen“ Freizeitverhalten zu verstehen oder anders gefragt, wie sollen sich Jugendliche in ihrer Freizeit nicht verhalten?
Sehen wir uns dazu ein Beispiel zum Thema „Feste feiern“ an. Im Februarheft vom Jahre 1956 nimmt der Ratgeber den Fasching zum Anlass für einige kritische Bemerkungen: „Der moderne Mensch sieht in der Faschingszeit nur eine Zeit des Übermuts, der Tollheit und gibt sich mit dem Narrenbrief selbst einen Freibrief für das, was er vielleicht des Guten zu viel tut“ (vgl. 2/56/74). Den Eltern wirf vorgehalten: „Der junge Mensch wird heute viel zu früh in den Trubel der Faschings-veranstaltungen hineingezogen... Der erste Ball, der früher für eine 17jährige erster Höhepunkt ihres jungen Lebens war, ist heute für sie vielfach längst ‚kalter Kaffee’! Sehr oft“, weiß der Ratgeber zu berichten, „enden diese vorzeitigen Ausflüge... mit einer Katastrophe, vor der dann die verantwortlichen Erzieher fassungslos stehen.“ (s. o.) Hier nützt „eine kluge Lenkung des jugendlichen Vergnügungsdranges und der Versuch, den Heranwachsenden zu Hause das zu geben, was sie sonst außerhalb des Hauses suchen würden.“(s. o., S. 76) Allerdings sei dieses Problem nach Meinung des Ratgebers nur schwer zu lösen, würden doch die Erwachsenen vom „Hetztempo“ und den Anforderungen der Zeit mehr in Anspruch genommen, als dies bei früheren Generationen der Fall gewesen sei. Doch gibt es „Auswüchse der Lustigkeit, denen schon eine vernünftige Erziehung im Elternhaus vorbeugen kann“ (vgl. 2/56/76). Mit besonderem Hinweis auf die Rolle des Alkohols dürfe überdies nicht vergessen werden, dass dieser „die verhängnisvolle Eigenschaft hat, unsere Selbstkritik einzuschläfern und sehr schnell vom ‚schwingengebenden’ Zauberer zum bösen Teufel zu werden“ (s. o.).
Dass es die Elterngeneration der 50er Jahre mit den Heranwachsenden unter den gegebenen Umständen besonders schwer hat, wird immer wieder im Ratgeber hervorgehoben und allzu oft werde vergessen, „dass eine genussgierige Umwelt heute mehr Reize an die Heranwachsenden heranträgt, als das früher der Fall war. Wenn wir aber bedenken“, fährt der Ratgeber fort, „dass unsere eigenen Töchter und Söhne zu den Gefährdeten gehören, weil wir daheim vielleicht versäumten, ihren noch schwankenden Willen rechtzeitig zu schulen und zu stützen, dann ahnen wir die Größe der auf uns liegenden Verantwortung.“ Und zusammenfassend fordert der Ratgeber: „Kinder müssen maßhalten lernen auch in den erlaubten Genüssen... Schon das Schulkind muss lernen... auch auf das Erlaubte freiwillig zu verzichten“ (vgl. 10/56/667).
Lassen wir zum Schluss dieses Abschnittes eine Mutter im Ratgeber noch ihre besondere Sorge mitteilen. Die Tochter will in die Tanzstunde gehen. Ihre Mutter berichtet: „Mir wurde etwas bange. Ich dachte an die wilde Horde junger Leute, die wir kürzlich in einem Lokal tanzen sahen und die sich so in das Vergnügen hineinwarfen, dass das nicht gutgehen kann. Man spürte förmlich“, erzählt uns die Mutter weiter, „die vielerlei Gefahren. Mir ist mein Mädel zu schade für so etwas“. Die ängstliche Frage der Mutter: „Soll die Tanzstunde der Anfang sein zu einem schlechten Weg?“ (vgl. 8/57/572).
Ein Verbot der Tanzstunde würde jedoch nach Meinung des Ratgebers möglicherweise dazu führen, dass das Mädchen in der Jugendgruppe in eine „Außenstellung“ gedrängt würde, gegen die ‚altmodischen’ Eltern einen Groll hegt und das Verbot für sie erst seinen „Reiz“ bekommt. Die von der Mutter gesehenen Gefährdungen mag nun aber auch der Ratgeber nicht leugnen, wenn ihnen auch der Junge „wesentlich mehr ausgeliefert“ ist als das Mädchen. Denn es liegt „in seiner Natur, durch aufreizende Musik und eine schwüle Atmosphäre leicht erregt und in seinen Sinnen entzündet zu werden“ (s. o.). Dies kann „schwere Konflikte“ für ihn bringen. Im Vergleich zum Jungen sei dagegen das Mädchen „wesentlich kühler und weniger gefährdet“. Den Eltern aber empfiehlt der Ratgeber „doch ein bisschen mehr Vertrauen in unsere Erziehung und zu dem Guten in unserem Sohn oder unserer Tochter“ zu haben. Die Eltern sollten vielmehr ihren Kindern Gelegenheit bieten, „sich in den mannigfachen Versuchungen... zu bewähren“. Sie sollten ihrem Kind helfen „auf dem rechten Weg zu bleiben, indem sie ab und zu gemeinsam mit ihm zu solchen Veranstaltungen gehen.“ Sie haben dann auch Gelegenheit die Gefährten ihrer Kinder kennenzulernen (vgl. 8/57/572).
Umgang mit den Medien – Medienerziehung:
Mit großen Vorbehalten steht der Ratgeber der 50er Jahre den Medien in ihrer Wirkung auf Kinder und Jugendliche gegenüber. Vor allem Film und Fernsehen stehen in Verdacht zu verführen, falschen Vorbildern zu dienen und im schlimmsten Falle zu „Raub und Mord“ anzustiften. Worin aber lauert nun eigentlich die vielbeschworene Gefahr? „In der Scheinwelt des Films und in der Nachahmung der Schauspieler“, klärt der Ratgeber seine Leser auf. (vgl. 6/56/348) „Da wir aber in einer harten und unbarmherzigen Alltagswelt leben, muss der junge Mensch mit seinen falschen Vorbildern und seiner fehlgeleiteten Schau vom Leben in Schwierigkeiten und Konflikte geraten.“ (s. o.) Nach Meinung des Ratgebers gehöre bis zum 8. Lebensjahr kein Kind in ein Kino, denn es sei weder „geistig in der Lage“ dem Geschehen auf der Leinwand zu folgen noch könne es „körperlich“ die Wirkung der „flimmernden Bilder“ mit den Tönen verarbeiten. Verantwortungsbewusste Eltern sollten sich auch nicht durch kindliche Bitten erweichen lassen die Kinder in einen Märchenfilm zu schicken. Bei älteren Kindern empfiehlt der Ratgeber: „Lass dein Kind nicht zu oft ins Kino und möglichst nicht allein.“ (s. o., S. 350)
Natürlich gibt es auch sehenswerte Filme, die „fördernd“ wirken können. Gedacht ist vor allem an Kulturfilme, an Landschafts- und Tieraufnahmen. „Soll man den Kindern wirklich die Illusion nehmen?“, fragt der Ratgeber am Schluss seines Beitrages. „Ja, man muss es sogar – will man die schädigenden Einflüsse bannen und die jungen Menschen für ihr Leben nicht unglücklich machen.“ (vgl. 6/56/350)
Eine neue Gefahrenquelle und ein Angriff auf das Familienleben wird im Fernsehen gesehen, das Mitte der 50er Jahre in der Bundesrepublik seine Ausbreitung begann. Auch hier bezieht der Ratgeber eindeutig Stellung: „Wenn wir versuchen“, so lesen wir in Heft 11 vom Jahre 1954, „unseren Kindern ein ruhiges, glückliches und geborgenes Leben in ihrer kleinen Welt zu erhalten, so lange das nur möglich ist, so werden wir, zumindest für sie, das Fernsehen ablehnen müssen.