Leichenfund im Lausehügel. Marion Romana Glettner

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Leichenfund im Lausehügel - Marion Romana Glettner


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Frau, wohlgestaltet und schlank. Ihre Haare fielen offen in leichten Wellen über ihre Schultern, wobei sie diese natürlich geflochten tragen musste, um nicht als hoffärtig zu gelten oder gar als unsittliche Frauenperson aufzufallen. Sie hatte ein zartes, vornehm blasses Gesicht. Bei der geringsten Erregung überflutete Hitze ihre Wangen und brachte diese ganz liebreizend zum Glühen.

      Als Emma das Fenster öffnete, verschlug ihr die Kälte fast den Atem. Gegenüber ihrem Fenster stand die alte Tanne, die das Pfarrhaus von weit her sichtbar überragte. Die schneebedeckten Äste hingen schwer zu Boden und hoben sich matt leuchtend von der Dunkelheit ab. Der Schnee lag seit Tagen knöcheltief und dämpfte die frühmorgendlichen Geräusche. Rasch schloss Emma das Fenster wieder, nahm ihre Lampe und verliess leise ihr Zimmer.

      Die Öllampe vermochte nicht alle Winkel auf ihrem Weg zur Küche zu erhellen. Emma zog unwillkürlich den Kopf ein. Hinter jeder Ecke schien heute eine dunkle Gestalt zu lauern. Eilig lief sie auf die Küchentür zu und blieb dann abrupt stehen, als sie ein seltsames Geräusch hörte. Sie wagte kaum mehr zu atmen. Ein Kratzen. Stille. Ein vorwurfsvolles Miauen riss Emma aus ihrer Erstarrung.

      «Jesses Tigi!», flüsterte Emma erleichtert.

      Rasch ging sie zur Hintertür und schob den schweren Riegel zurück. Ein Schwall trockener Winterluft wehte den hungrigen Kater in die Küche. Es störte ihn nicht, dass der Rest der Milch vom Vortag in seiner Blechschüssel gefroren war. Er leckte gierig, als hätte er seit Tagen nichts mehr gefressen.

      Als die ersten Flammen im Herd aufloderten und sich langsam Wärme ausbreitete, verschwanden die letzten Irrlichter des Alptraumes aus Emmas Gedanken.

      Die rohen Bretter der Kellertreppe knarzten unter Emmas Füssen, als sie hinabstieg, um frische Milch zu holen. Sie hörte oben im Haus Schritte. Vermutlich begab sich Frau Pfarrer auf den Abort. Seit sie in anderen Umständen war, litt sie am Morgen oft an Übelkeit. «Ganz recht», dachte Emma schadenfroh.

      Emmas Freundin Anna hatte ihr kürzlich erzählt, dass diese Übelkeit so drei oder vier Monate dauern könne. Ihre grosse Schwester Kathrin hatte das einmal erzählt. Von der älteren Generation durfte man derlei Erklärungen nämlich kaum erwarten. Emma hatte vor Jahren einmal ihre Mutter gefragt, wieso sie denn einen so dicken Bauch habe. Die Mutter hatte beschämt geantwortet, sie hätte eben viele Taschentücher vorne in ihrer Schürze. Erst als der kleine Bruder auf der Welt und die Mutter wieder schlank war, begann Emma langsam zu begreifen, dass das ein ganz heikles Thema war.

      Emma ging die Treppe wieder hoch und schloss die quietschende Tür. Zurück in der Küche schnitt sie Brot in Scheiben und setzte Kaffee auf. Glücklicherweise gab es im Pfarrhaus nicht auch noch jeden Tag zum Frühstück Rösti wie bei so vielen Leuten im Dorf. Obwohl Emma Rösti nicht ungern mochte. Das Wasser war inzwischen heiss geworden. Emma goss es vorsichtig in die pfarrherrlichen Waschkrüge. Doch ehe sie das Schlafzimmer erreichte, hörte sie Schritte.

      5. Strenge Sitten

      «Oh! Guten Morgen, Herr Pfarrer.» Eine verlegene Röte schoss Emma ins Gesicht.

      Pfarrer Karl Wartmann war ein sehr schlanker, gross gewachsener Mann von einunddreissig Jahren mit dichten, dunklen, welligen Haaren und einem modischen Schnauz. Seine Brille sass immer etwas schief auf der Nase. In Emmas Augen war er der attraktivste Mann weit und breit. Er war ein bisschen ein Schussel und oft etwas zerstreut. Aber das fand Emma herzig. Nicht, dass sie etwa keinen Respekt vor ihm gehabt hätte, das nicht, er war schliesslich der Pfarrer und ihr Herr. Aber sie lebte bald fünf Jahre mit ihm unter einem Dach. Sehr viel länger, als Frau Pfarrer mit ihm zusammenlebte.

      «Komm, gib mir das Wasser, ich möchte es meiner Frau bringen.»

      Kurz darauf setzte sich der Pfarrer mit einem Blick ins Leere an den Küchentisch. Gewiss war er in Gedanken schon wieder bei seinen geistlichen und diakonischen Pflichten. Tigi miaute inzwischen schon ziemlich gereizt und strich Emma auffordernd um die Füsse. Er war eindeutig der Meinung, dass das Restchen gefrorene Milch für einen hungrigen Kater nicht reichte, besonders nach einer langen und kalten Winternacht.

      Aber Emma hatte jetzt nur Augen für den Pfarrer. «Das Frühstück ist fast parat, Herr Pfarrer … äh … kommt Frau Pfarrer auch?»

      «Nein. Sei so gut und bring ihr nachher ihren Tee und zwei Scheiben Brot ans Bett.»

      «Selbstverständlich.» Emma senkte den Blick. Sie hasste es, die Schlafkammer der Herrschaft zu betreten, und noch mehr widerstrebte es ihr, die holde Lina im Bett zu bedienen.

      «Hast du es heute früh auch gehört, Emma? Irgendjemand hat geschrien.» Der Pfarrer schaute sein Mädchen fragend an.

      «Äh, nein … nein, ich habe nichts gehört.»

      «So so so. Na, dann habe ich wohl geträumt. Oder es war am Ende gar nur ein Käuzchen …»

      Der Pfarrer sass wieder schweigend am Tisch und starrte Löcher in die Luft. Emma beobachtete ihn verstohlen, während sie die heisse Milch in einen Krug goss.

      Der Pfarrer war sich ihrer Verehrung bestimmt nicht bewusst, wenngleich Emma mit ihrer Schönheit und Anmut fast jeden Mann in Altikon in Versuchung hätte führen können.

      Pfarrer Wartmann hatte nicht besonders viel Erfahrung mit Frauen, er war nämlich erst seit ein paar Monaten verheiratet. Er betete seine Lina an, obwohl sie weder Schönheit noch Anmut zu bieten hatte und auch keine Ahnung von Haushaltsführung hatte. Dafür war sie gebildet. Pah! Als ob das zählte. Vor der Eheschliessung wohnte die Mutter des Pfarrers noch im Haus und leitete den Haushalt. Dass eine junge Frau sich nach ihm verzehrte, durfte sich Pfarrer Wartmann ganz einfach nicht vorstellen. Die häufige Verlegenheit seiner Dienstmagd fiel ihm gar nicht auf. Und da es sich nicht gehörte, dass die Herrschaft mehr als das Nötigste mit ihren Bediensteten sprach, wusste er auch kaum etwas Persönliches über sie.

      Der Tisch war fertig gedeckt und Emma legte noch ein Scheit ins Feuer. Als sie den dampfenden Krug mit dem Milchsieb obendrauf auf den Tisch stellte, wäre sie fast über Tigi gestrauchelt, der immer noch um ihre Beine strich. ­«Go­­pfridstutz Tigi!», schimpfte Emma unterdrückt.

      «So so so! Komm, setz dich doch heute zu mir an den Tisch. Du hast ja auch noch nichts gegessen, nehme ich jedenfalls an.»

      «Aber Herr Pfarrer … Ich kann doch nicht …», stotterte Emma verlegen.

      «Keine Ausreden Emma, setz dich zu mir und iss etwas!»

      Emma wagte nicht mehr zu widersprechen. Insgeheim freute sie sich sogar über diesen Erfolg. Wenn das Frau Wartmann wüsste! Normalerweise ass Emma frühmorgens zuerst und bediente dann ihre Herrschaft. Mittag- und Abendessen trug sie im feinen Esszimmer auf, sodass sie in Ruhe in der Küche essen konnte. Sie war jeweils ganz froh, ungestört zu sein.

      Das Frühstück verlief schweigend. Emma brachte vor Verlegenheit kaum eine Scheibe Brot hinunter. Tigi hatte sich inzwischen damit abgefunden, dass es vorläufig nichts mehr zu fressen gab und putzte sich nun ausgiebig. Nach dem Essen zog sich Herr Wartmann in sein Studierzimmer zurück. Emma räumte den Tisch ab. Dann richtete sie das Frühstück für Frau Wartmann auf einem Holztablett, ging damit zu deren Kammer und klopfte zögerlich.

      «Herein», kam es gedämpft von drinnen.

      Emma hielt den Atem an und öffnete die Tür. «Guten Morgen Frau Pfarrer.» Der gewohnt penetrante Duft von Rosenparfüm schlug ihr entgegen.

      Frau Wartmann sass aufrecht in ihrem Bett und schaute missbilligend drein. Ihr Gesicht war bleich, die Nase wirkte noch spitzer als sonst und ihre Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst. Aber ihre Nachthaube sass ordentlich auf dem Kopf, darunter lugte ihr langes braunes Haar hervor. Wortlos verfolgte sie Emmas Bewegungen, die ein kleines Holztischchen über ihren Beinen platzierte. Als sie etwas zögernd das Tablett mit dem Frühstück daraufstellen wollte, entglitt ihr der Teller mit den Brotscheiben. «Oh, Entschuldigung», stammelte sie. Eilig legte sie das Brot wieder zurück auf den Teller, doch blieben auf der Decke ein paar Brotkrümel zurück. Frau Pfarrer sagte keinen Ton, schaute dem nervösen Treiben nur abschätzig


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