Angstküsse der Träume. Bianca Wörter
Читать онлайн книгу.vorsichtig sein.
Ich hielt es zuhause nicht mehr aus, stürzte ins Freie, hastete schwer atmend die Straßen entlang, erkannte nicht mehr, wohin ich stürmte - den Blick nach Innen gerichtet, die Gedanken fuhren Karussell in meinem Kopf. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel stand der junge Mann vor mir, der bei den letzten beiden Mordfällen am Schauplatz war, meist sogar, bevor ich eintraf.
„Darf ich dich zu einem Kaffee einladen?“, seine angenehm tiefe Stimme verblüffte mich und ich nickte stumm.
Die nächsten Tage trafen wir uns regelmäßig und ich verfiel seiner sympathischen Ausstrahlung. Er brachte mich dutzende Male zum Lachen, unterhielt mich mit Geschichten und ich staunte über sein enormes Wissen auf allen Gebieten. Mein Misstrauen wich zurück, doch nie von mir. Vor allem, als ich bei unserem ersten Treffen nach seinem Namen fragte und er mir tief in die Augen, mir schien es bis auf den Grund meiner Seele, blickte und erklärte, dass Namen nicht wichtig sind und ich ihn Mike nennen konnte. Zudem erzählte er zu keiner Zeit Persönliches über sich. Ich kannte seine Ansichten und Meinungen zu fast allen Themen, aber nicht, wer dieser Mann war. Woher er kam, wo er wohnte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Und meine innere Stimme warnte mich davor, ihn danach zu fragen.
Diese Treffen stellten trotz allen Misstrauens mein Fels in der Brandung dar, denn die Morde endeten nicht und meist fiel ich erst morgens um drei, vier Uhr todmüde ins Bett, nur, um nach zwei oder drei Stunden unruhigen Schlafes voller Alpträume, völlig gerädert aufzuwachen. Es gelang mir keinen Fortschritt in der Ermittlung der Mordfälle, Nachforschungen bezüglich des Chemiekonzerns gestalteten sich schwierig, da der Maulwurf allzeit in vollem Einsatz war und ich mich nicht verraten durfte, dass ich über die Dinge Bescheid wusste.
Nach einem weiteren Mord hielt ich es nicht mehr aus.
Dieser Mord war der schlimmste von allen gewesen - das männliche Opfer lebte beim Eintreffen noch so lange, dass er mir röchelnd eine Nachricht übermitteln konnte: „'Schnitter', … der Mörder nennt sich 'Schnitter'...!“
Nach diesem Satz schloss er für ewig seine Augen.
Ich hätte schreien wollen, allein meine Professionalität verbot mir das. Ich biss mir so fest auf die Innenseite meiner Wangen, dass sie bluteten.
Anschließend saß ich um drei Uhr morgens zitternd auf meiner Couch, als es an der Haustür klopfte. Ich wusste, dass es Mike war.
„Du brauchst mich jetzt“, stellte er fest und erstaunt erkannte ich, dass er Recht hatte.
Nach einer wundervollen Liebesnacht musste ich mir eingestehen, dass ich mich in Mike verliebt hatte, indes die misstrauische Stimme in meinem Inneren war nicht verstummt.
Am darauffolgenden Mittag verabredeten wir uns zu einem Spaziergang am Strand. Wir liefen Hand in Hand barfuß am Wassersaum entlang, die Sonne stand hoch, wärmte meine nackten Arme und ich war ungewöhnlich schweigsam. Wie gerne hätte ich mich ihm anvertraut – ihm VERtraut! Ich konnte nicht.
Wir erreichten eine einsame Stelle am Strand, als ich es nicht mehr aushielt: „Mike, wie heißt du wirklich?“
Sein eiskalter Blick ließ mich frösteln: „Wieso kannst du mich nicht annehmen, wie du mich kennen gelernt hast?“
Ich wich seinem Blick nicht aus, wohingegen er die Frage in meinen Augen las: „Wieso vertraust du mir nicht? Ich habe dir nichts Böses getan und doch misstraust du mir.“
Ich hätte mir auf die Zunge beißen sollen, dem ungeachtet musste es heraus, endlich heraus: „Wie ist dein Name?“
Seine Augen überzog ein trauriger Schimmer: „Hans-Walter.“
Nach diesen Worten ließ er meine Hand los und verließ mich. Ich blickte ihm nach, bis er hinter einer kleinen Düne verschwand, da erst brach ich zusammen. Ich fiel auf die Knie, in den weichen Sand, konnte das Zittern in mir nicht mehr kontrollieren, weinte bittere Tränen der Angst, Wut und Enttäuschung, heiße Tränen eines zerbrochenen Herzens, indes musste ich eine Sache noch vollbringen.
Geraume Zeit später holte ich mein Handy hervor, wählte seine Nummer und stellte ihm eine letzte Frage, als er meinen Anruf entgegennahm: „Wie ist dein Nachname?“
Er antwortete nicht, ich hielt das Handy vor meine Augen, blickte es stumm an, als ich im Display, das mein Gesicht widerspiegelte, entsetzt erkannte, dass sich hinter mir eine große Person aufbaute. Ich drehte halb meinen Kopf, erkannte Mike, der „Mein Nachname ist Schnitter“ antwortete, mir mit seinem Messer die Kehle aufschlitzte und ich tot auf dem Sand aufschlug.
Mörder
Ich hielt mich in einer Küche auf. Es war ein großer und freundlicher Raum. In der Mitte stand ein Tisch, mehrere Gläser befanden sich darauf, so, als ob sie jemand kurz zuvor benutzt hatte. Die Arbeitsplatte rechts von mir war groß und hell. Weiße Fließen rundeten das Gesamtbild ab. Ich stand mit dem Rücken zum Fenster, die Sonne wärmte mich. Doch sie wärmte lediglich meinen Körper, denn ich spürte eine eisige Kälte in mir. Verzweiflung! Vor mir saß ein Mann in einem Rollstuhl und sagte mir, dass er mich umbringen würde. Er und ich wussten nicht wieso, aber wir wussten beide, dass es geschehen würde. Es war die Gewissheit, dass es geschehen würde, die die eisige Kälte in mir verursachte. Es war grotesk. Ich hätte versuchen können zu fliehen, auch die Tatsache, dass er zwischen mir und der Tür stand, die meine letzte Rettung gewesen wäre, hätte mich nicht mutlos werden lassen sollen. Ich hätte es versuchen sollen, aber ich tat es nicht. Etwas in seinen Augen, die nicht irre aufblitzten, ließen mich dieses Vorhaben gar nicht erst weiter in Gedanken fassen.
Er sagte einfach: "Komm her."
Nicht drängend, nicht böse, nur sanft und sachlich. Ich ging langsam zu ihm, kniete vor ihm nieder. Er hielt ein gewaltiges Messer in der Hand und setzte es vorsichtig an meiner Kehle an.
Ich flehte ihn an: "Nein."
Er nickte traurig, ernst. Ich sprang schnell auf, warf mich zurück an die Wand, spürte die kalte, raue Oberfläche des Putzes, drückte mich Hilfe suchend daran. Der Mann bewegte sich nicht. Er wusste, dass ich kommen würde, wieder zu ihm kommen würde. Ich kannte ihn nicht, dennoch wusste ich, dass er mein Mörder werden würde.
Er sprach erneut zu mir: "Komm her."
Ich fing an zu weinen: "Nein. Bitte! Tu es nicht. Ich habe solche Angst vor den Schmerzen."
Ich ging erneut zu ihm, wandte mich wieder ab. Obwohl er mich noch nicht verletzt hatte, spürte ich Schmerzen an meiner Kehle. Meine Angst vor dem Tod war gering, aber die vor den Schmerzen, die das gewaltsame Hinübergleiten in den Tod begleiten würden, war immens. Dann atmete ich ganz ruhig, hatte mich gefasst. Ich ging auf dem Mann zu, kniete vor ihm nieder, war bereit. Er setzte die kalte Klinge an meiner Kehle an, als ob er versuchte, mir so wenig Schmerzen wie möglich zuzufügen. Dann schnitt er meine Haut leicht an. Jetzt war ich auf den endgültigen Schnitt vorbereitet – der Schmerz konnte kommen. Ich blickte ihm in die hellgrünen Augen, dann schloss ich meine langsam, spürte den ziehenden, tiefen Schmerz, als er mir von rechts nach links die Kehle durchschnitt.
Lügen
Von einem Ort aus, in dem ich wohnte, beschloss ich durch die Berge zu einer kleinen Stadt zu laufen. Ich begann meine Wanderung, es war ein heißer Sommertag und ich war nur mit kurzen Hosen und einem leichten Shirt bekleidet. Fröhlich zog ich los und bewunderte die reine Natur, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte. Links und rechts von mir thronten zwei riesige Berge, die von dichten, dunkelgrün belaubten Bäumen bewachsen waren und über mir prangte ein azurblauer Himmel, dessen herrliche Pracht keine einzige Wolke trübte. Die Sonne brannte heiß auf mich herab, doch ich spürte die Hitze als angenehm, denn neben meinem Weg, der aus weichem Moos und vielen kleinen, bunten Blumen bestand, floss ein klarer Bach. Nirgendwo begegnete mir eine Menschenseele, ich fühlte mich nicht allein, diese herrliche, unberührte Natur füllte mein Herz, meine Seele aus. Ich wanderte stundenlang, wurde nicht müde und fühlte mich wie in einem nur von mir entdeckten Paradies. Ich hoffte, dass dieser Weg nie