Kultur oder Rasse und die zweigeteilte Welt. L. Theodor Donat

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Kultur oder Rasse und die zweigeteilte Welt - L. Theodor Donat


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ich gelesen habe, gibt es einen politischen, wirtschaftlichen oder philosophischen Egalitarismus. Die bekannteste Form ist wahrscheinlich die Theorie des Kommunismus, der möchte, dass jeder Mensch (Frauen und Männer) über einen gleichen Lohn, über einen gleichen Lebensstandard und über einen gleichen Anteil an Produktionsmitteln verfügt. Das Recht auf Privateigentum wird aberkannt. Die Führungsstruktur einer solchen Gesellschaft kann in der Realität durchaus totalitär sein, jedenfalls war sie es in der UdSSR. Mir scheint, dass der Ausdruck „egalitär“ oft etwas Gleichschaltendes hat, indem eine Person fast ausschliesslich als austauschbares Element gesehen wird. In meiner Gastkultur wird aber dem Alter, der Erfahrung und überhaupt der ganzen Person Rechnung getragen. Privates Eigentum kann man in einem vernünftigen Rahmen haben, jedoch als „Mieter“, nicht als Besitzer. Der Ausdruck „Konsensdemokratie“ bezeichnet in der politischen Philosophie etwas einseitig die Art der Entscheidungsfindung im Gegensatz zu einer Abstimmung oder zu einem autoritären Akt. Ein Beispiel von Konsensdemokratie indigener Völker:

       In der Versammlung ergreifen alle das Wort und diskutieren; am Ende der Diskussion interpretiert und resümiert ein Älterer die Entscheidung, zu der man gelangt ist. Er verkündet: „Wir denken und sagen ...“ ... Man ist zu einem Konsens gekommen, der sich im Wort „wir“ ausdrückt. Diese Art von Versammlung zeigt uns die verwirklichte Intersubjektivität. Es ist eine Gemeinschaft, die dank der Teilnahme aller und eines jeden lebt.“(Carlos Lenkersdorf in wiki[Konsensdemokratie] )

      Aber ein so verstandener Konsens beinhaltet nicht ausdrücklich die Absage an jede Konzentration von Macht, die ein Priester, Heiler, Diskussionsleiter oder Chef auf sich vereinen könnte. Der Konsens im Palaver (s.u.) hingegen benötigt keine Zusammenfassung durch einen Ältesten oder einen Leiter der Diskussion. Das Ziel des Palavers ist, gemeinsame Haltungen zu finden (heute würde man vielleicht grossspurig von Strategien sprechen), um Konflikte der ganzen Wirklichkeit gerecht zu lösen. Die Harmonie untereinander und die Harmonie mit dem Unsichtbaren muss eventuell angepasst oder wiederhergestellt werden. Auf diese Weise wird ein Zusammenleben ermöglicht, in dem alle Institutionen von jedem Mitglied der Gemeinschaft mitgetragen werden. Ich meine, dass die Tradition meiner Gastkultur wesentlich auf den Pfeilern „Konsens“ und „egalitär“ ruht und jede Konzentration von Macht vermeidet.

      Der besondere Blick der Tradition auf unsern „Vater-Gott“ führt zum Wissen, dass alle Menschen gleich sind, dass sich niemand über andere als Chef erheben darf. Leider wurde mit der Kolonisation die „Chefferie“, das Häuptlingswesen, in meiner Gastkultur eingeführt. Die Befehls-Übermittlung vom Kolonisator zu den „Einheimischen“ sollte gewährleistet werden.

      Aber das Wort, mit dem der „Chef“ in meiner Gastkultur bezeichnet wird, bedeutete in der Tradition „Wohltäter“. Man brauchte die Bezeichnung für jemanden, der auf seinem Boden etwas mehr angepflanzt und geerntet hatte, als unbedingt nötig gewesen wäre. So konnte er einem Dorfbewohner helfen, dessen Vorräte, einer schlechten Ernte oder einer Krankheit wegen, vorzeitig aufgebraucht waren. Der „Wohltäter“ war gewissermassen Teil der sozialen Vorsorge. Aber er beanspruchte deshalb keine Vorrechte. Schön, dass sich meine Gastkultur damals gar keinen Häuptling vorstellen konnte, der nicht Wohltäter war!

      Um Werte zu vermitteln, werden sehr oft Märchen erzählt. Das folgende lautet abgekürzt etwa so: Es war einmal ein kleines Kind, das zum Chef geführt wurde, damit dieser ihm einen Namen gibt. Doch wie der Chef dem Kind einen Namen geben will, stirbt es. Zuhause angekommen, wird es wieder lebendig. So geschieht es mehrere Male, bis man auf die Namensgebung beim Chef verzichtet. Das Kind nannte sich dann später selbst: „Die-Weisheit-des-Chefs-ist-nicht-grösser-als-die-meine “.

      In der Sprache der Tradition, können bei Namen Silben zusammengeführt oder ausgelassen werden, wenn der Sinn für Eingeweihte erhalten bleibt.

      Der Chef ärgert sich jedes Mal, wenn dieser Name im Dorf ertönt. Er stellt dem inzwischen zum jungen Mann Herangewachsenen eine Reihe zum Teil tödlicher Fallen. Im allerletzten Versuch sendet er seinen miserabel gekleideten Sohn mit dem prächtig ausstaffierten „Die-Weisheit-des-Chefs-ist-nicht-grösser-als-die-meine“ zu einem befreundeten Chef mit dem Auftrag, den gutgekleideten zu töten. Natürlich tauscht der „Die-Weisheit-des-Chefs-ist-nicht-grösser-als-die-meine“ seine Kleider mit denen des Sohnes mit der Begründung, dass es sich nicht zieme, wenn der Sohn des Chefs so ärmlich gekleidet sei. So ist es der Chef, der mit dem Tod seines Sohnes seine Zukunft verliert. Die Moral des Märchens: Seit jener Zeit führt man die Kinder zur Namensgebung nicht mehr zum Chef. Doch der Sinn ist viel tiefer. Der Name des Kindes charakterisiert, wie in der Bibel, gewissermassen seine ganze Person. Er kann nur von der Familie ausgehen, aus der die Person, mit Gottes Willen, hervorgeht. Die Menschen müssen Gleichheit oder Komplementarität der Gaben (s.u.) gegenseitig respektieren. Es ist tödlich, ja es zerstört die Zukunft, sich eines andern Menschen bemächtigen zu wollen. Ob der Ursprung des Märchens in einer egalitären Konsens-Kultur zu suchen ist, bleibe dahingestellt. Das Märchen aber wurde in meine Gastkultur aufgenommen, als Waffe gegenüber Missbräuchen des Häuptlings, so konnte man immer wieder über den Häuptling lachen. Und das schon als Kind.

      Ein Märchen wird man als Kind, als junger Mensch und im Erwachsenenalter von mehr oder weniger begabten Erzähler/innen mehrmals zu hören bekommen.

      Natürlich ist die Gleichheit in der Tradition nicht undifferenziert. Die Lebenserfahrung und die Weisheit eines 20- oder eines 60-Jährigen sind nicht dieselben. Deshalb gibt es die sogenannten Altersklassen. Die Achtung, die man älteren Menschen entgegenbringt, kommt beim Servieren des Hirsebiers zum Ausdruck. Zuerst werden die erwachsenen Frauen und dann die Männer der Altersklasse nach bedient. Die Altersklasse und damit das Alter des Menschen entspricht der Anzahl der mitgefeierten Hauptfeste, welche nur alle fünf Jahre stattfinden. Sie sollen den Tod vertreiben und neues Lebens ermöglichen.

      Wenn also jemand drei ist, dann ist er über dreissig Jahre alt, denn man beginnt die Teilnahmen am Hauptfest erst vom Erwachsenenalter an zu zählen, welches wiederum durch die bestandenen Initiationsriten bestimmt wird.

      Die Gesellschaft ist zwar egalitär, so wird ein junger mit einem älteren Mann scherzen können, aber wenn z.B. Hirsebier verteilt wird, ist die Ordnung vorgegeben.

      Eine ziemlich ausserordentliche Seite unserer egalitären Konsens-Kultur war der Ritualmord, d.h. ein Mann konnte vergiftet werden, wenn er sein Haus zu gross baute. Denn sobald man sich über andere erhebt, hört man auf, Mensch zu sein, so einfach ist das. So könnte man doch das Problem der Manager mit den übertriebenen Salären und den Skandal der zu grossen Vermögen lösen!

      Zu Beginn dieses Jahrtausends las ich von einem frisch ausgebildeten Piloten aus einem anderen afrikanischen Land, der vor seinem ersten Flug starb, weil er sein Heimatdorf nicht genügend unterstützt hatte. Jene Leute, die ihm den sozialen Aufstieg ermöglicht hatten, damit er ihnen dann seinerseits helfen würde, haben ihn umgebracht. Dies ist zwar nicht genau der Mechanismus unserer Tradition. Beim Ritualmord in meiner Gastkultur ging es um das Sein, um das Gleichsein mit den anderen. Im Beispiel des Piloten hingegenging es wahrscheinlich mehr um eine Nichterfüllung eines Kontrakts, der mit den Leuten zu Hause geschlossen wurde.

      ---- das Palaver

      Das Palaver ist die hauptsächlichste Institution der Tradition, um die egalitäre Gesellschaft und die Harmonie zu bewahren. In französischen Wörterbüchern wurde es als langes, unnützes Geschwätz definiert, weil es sehr oft lange dauerte und der Kolonialherr nichts davon verstand. Dabei ist es für mich die höchste Form der Demokratie. Wenn sich ein Problem ergibt, kann ein Betroffener ein Palaver einberufen. Meistens treffen sich Männer zum Palaver, manchmal nehmen Frauen ebenso teil. Die Teilnehmer nehmen Platz, ohne dass speziell dazu eingeladen wird, dabei setzen sie sich mehr oder weniger in einem Kreis, alle auf gleicher Augenhöhe. Es ist wichtig, dass niemand einen erhöhten oder zentralen Platz besetzt.

      Die lokalen Gegebenheiten können wegen der Architektur des Hauses oder der Topografie vom


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