Die Auferstehung des Oliver Bender. Hermann Brünjes

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Die Auferstehung des Oliver Bender - Hermann Brünjes


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Grab kann etwas Pflege vertragen.«

      Was sie meint, verstehe ich, als wir das Grab erreichen.

      Die Erde scheint nur flüchtig zu einem flachen Hügel aufgeworfen zu sein. Nichts ist geglättet oder geharkt. Ein Kranz mit verwelkten weißen Nelken und zwei Gestecke mit zum Teil abgeknickten Lilien liegen wie zufällig hingeworfen auf dem Erdhaufen. Dieses Grab wirkt verlassen, denke ich ...

      »Man munkelt, das Grab wurde Anfang letzter Woche wieder geöffnet!« Die alte Dame scheint gut informiert zu sein. »Dann wurde es wieder verschlossen, aber Sie sehen ja selbst, wie lieblos sie hier alles hingeworfen haben!«

      »Wissen Sie, warum es geöffnet wurde?«

      Die Alte sieht mich, der ich sie deutlich überrage, von schräg unten mehrdeutig an.

      »Hm. Ich weiß es nicht. Niemand hier weiß es. Aber es gibt Gerüchte.«

      »Was meinen Sie damit?«

      »Na ja, zwei unserer Nachbarn verbreiten seltsame Geschichten. Und Frau Bender lässt sich kaum noch sehen.«

      Ich bin richtig gerne Reporter, leide jedoch oft darunter, dass man manchen Menschen alles aus der Nase ziehen muss. Auch diese Alte ist alles andere als eine Tratschtante. Sie überlegt sich ihre Worte sehr genau und will offenbar niemandem etwas Übles nachsagen.

      »Was sind das für seltsame Geschichten?« frage ich.

      »Sie werden sie nicht glauben.«

      »Aber hören würde ich sie trotzdem gerne. Ich bin einiges gewohnt!«, ermuntere ich meine Gesprächspartnerin.

      Endlich scheint sie ihre Scheu verloren zu haben.

      »Die zwei Nachbarn behaupten, sie hätten Oliver Bender am Sonntag nach seiner Beerdigung gesehen.« Jetzt ist es raus. Die Frau schüttelt mit dem Kopf und lacht. »Aber ich sagte ja schon, das kann man nicht glauben!«

      »Aber Sie glauben doch an die Auferstehung der Toten – oder?« Ich versuche es einmal mit einer kleinen Provokation. »Es steht doch auch an Ihrer Kapelle dort hinten!«

      Die Alte folgt meinem Blick in Richtung Kapelle, nickt und lacht. »Sie sind ja gut! Stimmt. Wir Christen glauben das wirklich. Aber doch nicht hier auf dem Friedhof! Hier liegen die Toten. Die Auferstehung kommt erst noch.«

      »Woher wollen Sie denn wissen, dass sie nicht schon jetzt und hier auf Ihrem Friedhof passiert?«

      Die Frau schüttelt ihr graues Haupt.

      »Das weiß man eben. Wie genau das zusammenhängt, da müssen Sie unseren Pastor fragen.«

      »Das mache ich. Wissen sie, wer das Grab geöffnet hat und was sie gefunden haben?«

      Die Alte schüttelt mit dem Kopf. »Nein, damit kann ich nicht dienen. Der Pastor soll dabei gewesen sein, dann die Polizei und jemand aus der Stadt. Ich habe keine Ahnung – aber was sollen sie schon gefunden haben? Den Sarg und Oliver darin. Es war ja erst einige Tage her, dass sie ihn hineingelegt hatten.«

      »Und die Witwe? Sie war nicht dabei?«

      »Keine Ahnung.«

      Die Alte zuckt mit den Schultern und dreht sich von mir weg zum Grab.

      »Und jetzt machen Sie schon! Nicht reden, sondern handeln! Irgendwer sollte das wieder richten und schön machen. Und Sie haben die Harke in der Hand!«

      Zunächst will ich widersprechen, dann merke ich, dass es nichts helfen würde. Diese Alte strahlt so etwas wie eine natürliche Autorität aus. Trotzdem muss ich mich ihr widersetzen. Ich brauche noch Fotos!

      »Gut, ich mache ja schon. Aber bitte erlauben Sie, dass ich vorher noch ein Foto vom Grab mache.«

      Jetzt kommt der misstrauische Blick wieder durch.

      »Ich würde so gerne eine Erinnerung an Oliver haben, ganz so, wie ich ihn vorgefunden habe!« Etwas Besseres fällt mir so spontan nicht ein. Sie schüttelt mit dem Kopf.

      »Na, Sie sind ja ein komischer Vogel. Dann machen Sie schon, und danach die Harke!«

      Wie immer habe ich meine Canon EOS dabei. Ich hole sie aus dem Rucksack und fotografiere das Grab. Dann lege ich die Gestecke und den Kranz zur Seite, nehme ihre Harke und glätte den Grabhügel damit. Die Gebinde drapiere ich wieder sorgfältig und geordnet auf das Grab. Dabei lese ich noch einmal die Namen auf den Schleifen. Olivers Frau Maren hat den Kranz beigesteuert, die Gestecke kommen von den zwei Kindern Benni und Caren mit Sohn.

      »Das sieht doch schon viel besser aus!« Die alte Dame reicht mir die Hand. »Geben Sie mir noch die Harke, dann kann ich meinen Mann dort drüben weiter pflegen! Wenn Sie wollen, können sie den auch mal knipsen! Ich habe viel zu wenig Fotos von ihm!«

      Sie lacht. Humor hat sie.

      »Mein Herbert liegt nach fast vier Jahren immer noch dort und ist noch nicht auferstanden! Wenn Oliver Bender bereits nach drei Tagen wieder lebt, wäre das doch irgendwie ungerecht, oder?«

      Recht hat sie auch. Wenn nur einer zum Leben erweckt wird, wäre das tatsächlich ziemlich unfair ...

      Ich schaue ihr nach, als sie auf den Rollator gestützt gebückt zurück zu ihrem Herbert humpelt. Vermutlich ist sie weit über achtzig Jahre alt. Vielleicht weiß sie, dass sie das Grab nicht nur für ihren geliebten Mann, sondern auch für sich selbst in Schuss hält. Eine beeindruckende Frau.

      Ich mache noch zwei Fotos vom nun restaurierten Grab. So ähnlich sah es vermutlich direkt nach der Beisetzung aus. Hier also soll Oliver beerdigt und dann womöglich wieder lebendig aufgetaucht sein. Ich muss unbedingt herausbekommen, was die mehr oder weniger heimliche Öffnung des Grabes ergeben hat. Ich muss den Pastor sprechen. Der soll ja außer der Polizei und jemandem aus der Stadt dabei gewesen sein. Vorher allerdings will ich mir das Haus der Benders ansehen. Mit etwas Glück treffe ich vielleicht auch die Witwe.

      *

      Die Siedlung ist leicht zu finden. Es gibt nur ein Neubaugebiet im Dorf. Das Haus der Benders scheint eines der ersten darin zu sein, säumen doch Bäume und Büsche bereits üppig das Grundstück. Es ist ein freundliches rotes Backsteinhaus mit einem roten Krüppelwalmdach. Der weiße Carport passt gut zu den ebenfalls weißen Fenstern, Türen und Dachüberständen. Ein Fahrzeug steht nicht darin.

      Ich klingle. Es rührt sich nichts.

      Ich überlege, ob ich die Nachbarn aufsuchen soll, vielleicht diese Corinna. Mit Gerald Tönnies muss ich nicht noch einmal sprechen. Trotzdem klingle ich bei ihm, da er mein einziger Kontakt hier ist. Er wohnt direkt gegenüber den Benders. Seine Frau öffnet. Ihr Mann sei unterwegs. Ihre Nachbarin ist tagsüber in Lüneburg, informiert sie mich. Sie arbeitet dort im Krankenhaus, häufig auch am Wochenende. Aber Corinna, die müsste jetzt wegen der Kinder zu Hause sein. Es ist das nächste Haus, direkt an der Straße unten.

      Ich klingle am benannten Haus.

      Corinna ist eine junge Frau mit einem dezenten Tatoo am Hals, vermutlich ist sie noch unter vierzig. Im Hintergrund höre ich zwei Kinder streiten, vermischt mit Stimmen, vermutlich aus dem Fernseher. Ein kleiner grauer Hund, irgendeine Promenadenmischung, stürmt auf mich los, kläfft wie verrückt und scheint es auf mein Bein abgesehen zu haben. Die Frau packt ihn und hält ihn energisch fest. Ich stelle mich als Journalist vor und zeige meinen Ausweis. Die Frau bittet mich herein. Den Köter bindet sie im Flur an der Garderobe fest. Sein Kläffen kann sie nicht unterbinden.

      Als wir in der Küche sitzen und sie ein Glas Wasser serviert hat, entschuldigt sie sich wegen der Kinder und des Hundes.

      »Die streiten sich wieder mal, aber sonst sind sie meistens friedlich. Und Pupsi ist auch ganz harmlos.«

      Es fällt mir auf, dass sich Eltern häufig für ihre Kinder entschuldigen. Sie streiten sich. Sie machen Dreck. Sie werfen das Getränk um. Sie weinen. Aber sonst sind sie nicht so. Ähnlich viele Entschuldigungen höre ich wegen der Hunde. Sie haaren und sie beißen nicht, sie haben so was noch nie gemacht und sind eigentlich ganz lieb. Aber was, wenn


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