Schweigen = Tod, Aktion = Leben. Ulrich Würdemann
Читать онлайн книгу.Bürgerrechte sowie
medizinische Forschung und Versorgung
widmen.
Auf die New Yorker Gruppe folgen schon bald in zahlreichen Städten der USA weitere ACT-UP-Gruppen, dann auch außerhalb der USA in Kanada, Südamerika, Südafrika, Australien und Europa. Die erste deutsche ACT-UP-Gruppe entstand 1989 in Berlin, bald folgten weitere.
Motto und ikonografisches Logo:
Die „Marke“ ACT UP
„Silence = Death“. Zwei einfache Worte, mit einem Gleichheitszeichen in Beziehung gesetzt. Darüber ein auf den Kopf gestellter Rosa Winkel. Das Ganze auf schwarzem Hintergrund.
Das zentrale Signet von ACT UP wird zu dem Symbol für Aidsaktivismus überhaupt, zum „Markenkern“ von ACT UP.
ACT UP hat dieses Motto und Signet, das zu einem zentralen Identifikations-Symbol wurde und sehr lange Zeit blieb, von Beginn an verwendet. Entstanden allerdings ist es schon einige Zeit vor der Gründung der ersten ACT UP Gruppe.
Das SILENCE = DEATH Project
Überall in Manhattan hingen eines Morgens im Februar 1987 Plakate, die auf schwarzem Grund einen auf die Basis gestellten Rosa Winkel (mit der Spitze nach oben) sowie in großen weißen Buchstaben darunter den Schriftzug SILENCE = DEATH (Schweigen = Tod) zeigten.
Entworfen und auf eigene Kosten hergestellt hatten die Plakate Avram Finklestein (kurz darauf auch bei Gran Fury, siehe unten), Brian Howard, Oliver Johnston, Charles Kreloff, Chris Lione und Jorge Soccaras, sechs schwule Männer, die das SILENCE = DEATH Project gegründet hatten.
Der Rosa Winkel, Zeichen der Verfolgung schwuler Männer in den KZs der Nazis, war bereits in den 1970er-Jahren in Europa wie auch in den USA zu einem Symbol der politischen Schwulen-Emanzipations-Bewegung umgedeutet worden.
In Konzentrationslagern der Nazis wurden Homosexuelle mit einem auf der Spitze stehenden Rosa Winkel gekennzeichnet. Als Signet der politischen Schwulenbewegung in Europa und bald darauf in den USA wurde der Rosa Winkel als Zeichen der Transformation oft umgedreht, sodass die Spitze nach oben zeigte (nicht jedoch zum Beispiel im Logo des 1975 gegründeten und inzwischen erloschenen „Verlag rosa Winkel“).
Zu Beginn der Aidskrise war der Rosa Winkel in der Schwulenszene in den USA wie auch in Deutschland vergleichsweise weit bekannt. Es stand auch für die Errungenschaften der Schwulenbewegung, die es nun, in Zeiten der Aidskrise, zu verteidigen galt – für eine Kultur des Experimentierens, der (auch sexuellen) Freiheiten, der Promiskuität, die gewissermaßen „unter Generalverdacht“ geraten war und von Reagan in den USA bis zu Gauweiler und Praunheim in Deutschland angegriffen wurde.
Das SILENCE = DEATH Project griff den Rosa Winkel auf und verknüpfte ihn mit einer neuen Botschaft: Schweigen = Tod – um des Überlebens willen müsse heute das Schweigen gebrochen werden, wie es damals hätte gebrochen werden müssen.
Bei der Gründung von ACT UP kurze Zeit später waren alle sechs Männer des SILENCE = DEATH Project anwesend und stellten der Gruppe ihr Signet zur Verfügung, das bereits für die zweite ACT-UP-Demonstration am 15. April 1987 verwendet wurde.
Das Logo erwies sich als überaus symbolträchtig. Der ersten Verwendung auf Plakaten folgten schon bald Buttons, Aufkleber und T-Shirts, die zu einer wesentlichen Einnahmequelle von ACT UP wurden. Das Signet wurde schnell erfolgreich – und erwies sich als äußerst wirksam. Wer ACT UP kannte, wusste sofort, um was es ging. Und wer das Zeichen zum ersten Mal sah, kam kaum umhin zu fragen, was es mit dieser Gleichsetzung auf sich habe.
Vom „Silence=Death“-Logo gab es übrigens vereinzelt auch Versionen, in denen der Rosa Winkel mit der Spitze nach unten zu sehen war; ACT UP verwendete in der Regel aber die Version mit dem auf der Basis stehenden Rosa Winkel.
Installation Let the record show
Inmitten der Hoffnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit stellte ACT UP einen Schritt der Selbstermächtigung dar. Die zentralen Slogans „Schweigen = Tod“ und die bald hinzugefügte Ergänzung „Aktion = Leben“ wurden zum Markenkern von ACT UP. Die einfachen Gleichungen waren weit mehr als Reaktion auf den reaktionären Aidsdiskurs und die Bedrohung schwuler Lebensstile – sie halfen Lähmung zu überwinden und zeigten Auswege aus Passivität und Perspektivlosigkeit.
Von Beginn an spielte auch die Kunst eine wichtige Rolle für den Aidsaktivismus von ACT UP in den USA. Schon im Juli 1987, also kurz nach dem ersten öffentlichen „Auftritt“ des Logos „Silence = Death“, lud Wiliam Orlander, Kurator am New Museum of Contemporary Art in New York und selbst ACT-UP-Mitglied, die Aktivist_innen dazu ein, ein zum Broadway gelegenes Schaufenster des Museums für eine Arbeit zum Thema Aids zu nutzen. Die daraufhin innerhalb von ACT UP New York gegründete Gruppe entwickelte innerhalb weniger Wochen ein Konzept für eine Installation, die vom 20. November 1987 bis zum 24. Januar 1988 unter dem Titel „Let the record show“ (auf Deutsch etwa „Die Geschichte wird es zeigen“; U. W.) zu sehen war. Das Signet „Silence = Death“ erschien dort als Neon-Schriftzug mit dem Rosa Winkel, ergänzt um ein großformatiges Foto des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses. Hineinmontiert worden waren Silhouetten von sechs Personen des öffentlichen Lebens der USA, die sich besonders durch homophobe Äußerungen oder Politik hervorgetan hatten (darunter US-Präsident Ronald Reagan wegen seines sechs Jahre währenden Schweigens zu Aids sowie Senator Jesse Helms mit dem Zitat „The logical outcome of testing is a quarantine for those infected“, auf Deutsch etwa „Die logische Konsequenz des Testens ist eine Quarantäne für die Infizierten“; U. W.). Auf einem LED-Band wurden in einer zehn Minuten dauernden Textschleife die Untätigkeit und das Versagen der US-Regierung in der Aidskrise angeprangert.
Die an der Gestaltung des Fensters beteiligten etwa zwölf ACT-UP-Mitglieder beschlossen, auch über die Aktion hinaus zusammenzuarbeiten, und formierten sich als „autonomes Kollektiv“. Es nannte sich nach dem Plymouth Gran Fury, einem PKW, der von der Polizei New Yorks als Zivilfahrzeug benutzt wurde, „Gran Fury“ – und wurde bald ACT UPs „inoffizielles Propaganda-Ministerium“.
Gran Fury und General Idea:
Zwei Beispiele für die künstlerische Auseinandersetzung mit Aids
Bereits seit den Anfangsjahren der Aidskrise setzten sich Künstlergruppen kritisch mit Aids, der Aidspolitik und den Auswirkungen von Aids auf Kunst, Kulturbetrieb und Communities auseinander. Zwei der am weitesten reichenden und gerade auch im Kontext des Aidsaktivismus bedeutendsten Beiträge stammten von den Künstlergruppen Gran Fury und General Idea.
General Idea, ein 1969 von den kanadischen Künstlern Felix Partz, Jorge Zontal und AA Bronson gegründetes Kollektiv, wandelte 1987 das 1964 von Robert Indiana geschaffene Buchstaben-Emblem „LOVE“ (das ursprünglich für eine Weihnachtskarte des Museum of Modern Art entwickelt worden war), für eine Fundraising-Aktion der American Foundation for AIDS Research zu „AIDS“ um. Da die Künstler selbst dies als „geschmacklos“ empfanden, wandelten sie das Emblem in einer Reihe von Gemälden ab, die unter anderem in Posterreihen in New York, San Francisco und später auch Berlin zu sehen waren – Auftakt für eine Kampagne namens IMAGEVIRUS, die unter anderem Skulpturen, Videos, Poster und Ausstellungen in verschiedenen, auch europäischen Städten umfasste. Das Emblem wurde vielfach aufgegriffen, etwa auf Postkarten und Briefmarken, und ist bis heute Bestandteil des Logos der Deutschen AIDS-Stiftung.
Allerdings war das