Nesthäkchen im Kinderheim. Else Ury

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Nesthäkchen im Kinderheim - Else Ury


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hübsch Puppe Gerda wieder aussah! Neue glänzend braune Augen hatte sie bekommen. Die blonden Zöpfchen, die sich Annemarie vor Jahren mal selbst abgeschnitten hatte, damit ihr Puppenkind nicht als Kahlkopf herumlaufen sollte, waren zu niedlichen Schnecken über jedem Ohr aufgesteckt. Genau wie Ilse Hermann in ihrer Klasse! Ein wunderhübsches weißes Matrosenkleid hatte Fräulein ihr genäht, und die grüne Sportjacke hatte sicherlich Mutti ihr gehäkelt. Und wieviel Kleider und Hüte konnte Annemarie ihrer Gerda aus der neuen Puppenschneiderei noch selbst anfertigen. Schwester Elfriede versprach, ihr beim Zuschneiden behilflich zu sein. Annemarie wurde nicht müde, die Zusammenstellung der Farben zu überlegen und hübsche Macharten ausfindig zu machen.

      Als Schwester Elfriede endlich Nacht machen konnte, da schlief die große, jetzt zehnjährige Annemarie ein wie früher das kleine Annemariechen – ihre Puppe Gerda fest im Arme. Noch im Einschlummern dachte sie dankbar: »Eigentlich war mein Geburtstag auch ohne Kindergesellschaft sehr schön – nur zu Hause bei Mutti möchte ich ihn im nächsten Jahr wieder feiern.«

      4. Kapitel

      Genesung

      Die Tage kamen und gingen. Die kahle Birke, deren violette bräunliche Zweige gegen das Fenster von Annemaries Krankenstübchen rauschten, bekam kleine Knospen. Und eines Tages waren sie alle nach einem linden Regen aufgesprungen, und winzige goldgelbe Blättchen wagten sich zaghaft an das Licht.

      Von einem Tage zum andern beobachtete das kranke kleine Mädchen, wie die Birkenblättchen, die ihr Frühlingsgrüße brachten, größer und größer wurden. Mit lichten Schleiern überrieselt, wie eine Braut, stand die junge Birke jetzt schon da. Und immer noch mußte Doktors Nesthäkchen im Bett liegen.

      Aber Langeweile hatte es nicht mehr. Dafür sorgte getreulich Puppe Gerda. Annemarie wurde während ihrer Krankheit wieder ein eifriges Puppenmütterchen. Nur wenn die Sonne gar zu lustig durch das Fenster hineinblinzelte und hinaus ins Freie lockte, kam sich Annemarie wie ein gefangenes Vögelchen vor. Ach, jetzt spielten Hans und Klaus wieder Fußball draußen auf den Wiesen in Treptow, und ihre Freundinnen konnten jeden Nachmittag in dem frühlingsgrünen Tiergarten umhertollen. Nur sie durfte nicht aus ihrem Käfig heraus. Täglich quälte sie den Vater: »Vatchen, liebes einziges Vatichen, darf ich denn noch immer nicht aufstehen?«

      Aber Vater vertröstete seine Lotte von einer Woche zur andern.

      So ging der April hin, und der Lenzmonat, der Mai, hielt seinen Einzug in die Welt. Da sagte Doktor Braun endlich eines Tages zu Schwester Elfriede: »Ich denke, Schwester, wir können unsern Wildfang morgen auf ein Stündchen aufstehen lassen.«

      »Hurra!« – selig jauchzte es aus dem Bett. Die ernsten weißen Wände blickten ganz erstaunt drein. Oft kam es nicht vor, daß hier im Hause der Krankheit solch ein Jubel erschallte.

      War denn noch immer nicht morgen? Heute verging der kleinen Patientin die Zeit wieder schrecklich langsam.

      Und als der nächste Tag endlich herangekommen war, da hieß es für Fräulein Ungeduld immer noch warten. Kaum hatte Annemarie die Augen aufgemacht, rief sie auch schon: »Schwester Elfriede, bitte meine Strümpfe, heute darf ich aufstehen!«

      »Aber vorläufig doch noch nicht, mein Herz. Das erste und zweite Frühstück bekommst du noch im Bett. Gegen Mittag nehme ich dich dann ein Stündchen auf.«

      »Ich bin doch kein Baby mehr, das aufgenommen werden muß, ich ziehe mich schon seit zwei Jahren allein an. Und Vater hat gesagt, ich darf heute aufstehen«, ungezogen rief es die enttäuschte Annemarie.

      Aber bei Schwester Elfriede konnte man nie lange unartig sein. Die hatte dann eine so besondere Art, einen anzusehen, halb überlegen und halb erstaunt, daß solch ein großes Mädchen sich noch so ungehörig benehmen konnte. Obwohl Annemarie sich fest vorgenommen hatte, nun ihren Milchkaffee überhaupt nicht zu trinken, wenn sie ihn noch in dem »ollen Bett« bekam, mochte sie Schwester Elfriede, die so gut für sie sorgte, schließlich dann doch nicht ärgern.

      Dafür mußte die Schwester ihr versprechen, sie noch etwas länger als bloß ein Stündchen aufzulassen. Sie wollte doch nach dem langen Stilliegen wieder mal ordentlich herumspringen.

      »Ach, Annemiechen,« meinte die Schwester lächelnd, »mit dem Herumspringen wirst du dir wohl noch etwas Zeit lassen müssen. Wenn man so viele Wochen im Bette gelegen hat, ist das nicht so einfach.«

      Annemarie sah Schwester Elfriede verständnislos an.

      Herumspringen – das war doch das Einfachste von der Welt. Nun war's endlich so weit. Die Schwester hatte Annemaries Sachen auf den Stuhl ans Bett gelegt und ging noch einmal hinaus, eine warme Decke für sie zu holen.

      Hast du nicht gesehen, war der Wildfang aus dem Bett. Annemarie wollte Schwester Elfriede überraschen und ihr zeigen, daß ein zehnjähriges Mädchen kein Baby mehr war und sich ohne Hilfe ankleiden konnte.

      Aber was war denn das? Die Beine knickten ja förmlich unter ihr zusammen. Und als Annemarie jetzt nur einen kleinen Schritt machen wollte, da lag sie auch schon auf der Nase.

      Schwester Elfriede, die nach wenigen Sekunden wiederkehrte, fand ihre kleine Patientin weinend an der Erde. Erschreckt sprang sie herzu.

      »Um Himmelswillen, Annemariechen, bist du aus dem Bett gefallen?« sie spedierte das so leicht gewordene Dingelchen schnell wieder hinein.

      Annemarie weinte bitterlich. Sie konnte gar nicht sprechen vor Schluchzen.

      »Herzchen, hast du dich gestoßen, tut es dir irgendwo weh?« forschte die Pflegerin ängstlich.

      Da kam es endlich stoßweise heraus:

      »Ich – ich kann nicht mehr laufen. Ganz – ganz lahm bin ich durch die Krankheit geworden wie der – wie der alte Bettler mit der Harmonika im Tiergarten.«

      »Aber Annemiechen, wenn das dein einziger Kummer ist, dann kannst du deine Tränen ruhig trocknen. Du wirst bald wieder laufen und herumspringen können wie früher. Nur wird's noch ein Weilchen dauern. Habe ich dir das nicht gleich gesagt?«

      Ja, Schwester Elfriede hatte recht behalten. Auch damit, daß sie Annemarie wie ein Baby aufnehmen und anziehen mußte. Die Kleine war so schwach, daß sie nichts allein machen konnte. Das hatte sie im Bett gar nicht gemerkt. Zu guter Letzt wickelte sie Schwester Elfriede in die warme Decke und trug sie in den großen Sessel am Fenster mitten in die lachende Maisonne.

      Aber das sonst ebenfalls stets lachende Mädelchen schaute gar nicht vergnügt drein. Das hatte es sich eigentlich doch ganz anders vorgestellt, das Aufstehen. Es hatte geglaubt, daß es nun vollständig gesund wäre und gleich wieder herumlaufen könnte wie damals nach den Masern. Eigentlich – wenn Annemarie ehrlich war – hatte sie sich im Bett viel wohler gefühlt als im Lehnsessel.

      Als Doktor Braun kam, machte er: »Puh, Lotte, wie siehst du aus! So darf ich dich der Mutti nicht nach Hause bringen. Dich müssen wir erst wieder tüchtig herausfüttern. Aber ich denke, für heute ist es nun genug.«

      Und Annemarie, die sich vorgenommen hatte, den Vater recht sehr zu bitten, sie doch noch wenigstens über das Mittagbrot aufzulassen, machte gar keine Einwendungen. Ordentlich froh war sie, als sie wieder in ihrem Bette lag.

      Aber das blieb nicht so. Junge Kräfte kehren schneller zurück als alte; jeden Tag fühlte sich die kleine Genesende ein wenig frischer. Freilich mit dem Laufen wollte es noch immer nicht recht gehen. Wie ein ganz kleines Kind mußte sie es erst wieder lernen, ein Schrittchen nach dem andern, auf Schwester Elfriedes Arm gestützt.

      »Heute habe ich eine Überraschung für dich, meine Lotte,« sagte Doktor Braun an einem besonders warmen, wonnigen Maitage. »Du darfst ein bißchen in den Garten hinunter.«

      »Ja – wirklich?« Aber das glückselige Leuchten in den strahlenden Kinderaugen erlosch gleich wieder. »Ach nee – lieber nicht – ich hab' keine Lust.«

      »Nanu?« verwunderte sich der Vater, der aus seinem Nesthäkchen nicht klug wurde.

      »Ich kann ja doch nicht


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