Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 13. Frank Hille
Читать онлайн книгу.überwiegend in die Hände der Politkommissare gelegt hatte, die von militärischen Dingen naturgemäß keine Ahnung hatten. Insgesamt schätzte er die Situation so ein, dass es darum gehen musste, die russischen Streitkräfte so zu dezimieren, dass sie keine Gefahr mehr darstellten und vor allem selbst große Teile des Landes zu besetzen. Auch wenn die russischen Restkräfte weit nach Osten ausweichen würden könnten sie dort nicht mehr auf ausreichend neue Rekruten zurückgreifen, denn die potentiellen Soldaten würden dann im deutschen Herrschaftsgebiet leben. Günther Weber war keineswegs pessimistisch, aber wenn es nicht gelingen sollte die Russen jetzt aufzuhalten, würden für Deutschland eben die lebenswichtigen Rohstoffquellen außer Reichweite geraten und die Rüstungsproduktion ins Stocken geraten. Sie mussten alles tun, um die eroberten Gebiete zu halten.
„Auch der Iwan kann nicht endlos neue Einheiten aufstellen“ sagte er zu den Männern „erinnert euch daran, wie viele Gegner wir besonders in der ersten Zeit des Feldzuges einkassiert oder außer Gefecht gesetzt haben. Davon hat sich der Russe bis heute nicht erholt. Und ihr werdet nicht übersehen haben, dass neue Waffen jetzt in viel größeren Mengen an die Front kommen. Es gibt also keinerlei Grund, Trübsal zu blasen.“
Das SS-Panzergrenadier-Bataillon mit seinen drei Kompanien war auf zwei Züge verteilt worden. Die Schützenpanzerwagen hatte man auf Flachwagen verlastet und verzurrt. Für die Männer waren geschlossene Güterwaggons bereitgestellt worden, und während der Fahrt gab es keinerlei Möglichkeit, diese zu verlassen. Da nicht vorausgesagt werden konnte wann die Züge welche Haltepunkte erreichen würden hatten sich die Männer irgendwie auf den harten Holzböden eingerichtet. Lediglich eine dünne Lage Stroh war ausgebereitet worden, und dort hatten sich die Soldaten auf ihren Zeltplanen hingelegt. Jeder hatte die übliche Marschverpflegung erhalten und eine Art Wasserfass wurde bei den Halten immer wieder aufgefüllt. In einer Ecke der Waggons war ein größeres Loch in den Boden gestemmt worden: die Toilette. Ein Haltegriff an der Wagenwand sollte ein Wegrutschen verhindern, wenn der Zug über schlechte Strecken fuhr. Die Transporte hatten jetzt noch knapp 300 Kilometer Strecke vor sich. Unter normalen Bedingungen wäre der Weg schnell geschafft gewesen, aber die Russen hatten die zum Teil eingleisige Strecke gezielt bombardiert und es gab immer wieder ungeplante Aufenthalte. Am 27. Juli 1943 wurde die Einheit bei Snischne ausgeladen, sie war organisatorisch nunmehr in das II.-SS Panzerkorps eingegliedert worden.
Dieser schlagkräftige und erfahrene Großkampfverband sollte in den nächsten Tagen zum Gegenangriff gegen die russischen Truppen antreten.
Martin Haberkorn, 28. Juli 1943, bei Island
Am gestrigen frühen Abend war kurz vor dem üblichen Wegtauchen mit Beginn der Abenddämmerung noch ein Funkspruch des BdU eingegangen, den der Kommandant den Männern in der Zentrale vorgelesen hatte. Das Boot sollte sein momentanes Operationsgebiet bei den Färöern verlassen, und mit großer Fahrt auf südwestlichen Kurs gehend in den Atlantik verlegen, und dort Suchstreifen schlagen.
„Na bitte“ hatte der Kapitän gesagt „hat doch das tägliche Melden von leerer See doch was gebracht. So meine Herren, jetzt sind wir im Atlantik gefragt. Allerdings ist es noch ein ganzes Stück bis dahin. Fast 900 Seemeilen. Wie schnell ist das zu schaffen, Obersteuermann?“
„Schwer zu sagen, Herr Kapitän. Wir müssen im Norden an England vorbei, und dort ist die Seeüberwachung aus der Luft stark. Wir können also nicht damit rechnen, lange über Wasser laufen zu können. Ein Etmal von 200 Seemeilen könnte realistisch sein.“
„Wie bitte? 200 Seemeilen? Da sind wir ja Weihnachten noch nicht da. Das wären mehr als 4 Tage! Das nimmt uns der BdU nicht ab! Wir müssen schon n bisschen mehr Dampf aufmachen. Brennstoff haben wir noch mehr als ausreichend. Wie hat schon Guderian gesagt? Klotzen, nicht kleckern! Das gilt auch für uns. Also: wir nutzen jede Möglichkeit für die Überwasserfahrt, auch wenn es vielleicht riskant sein könnte. LI. Sind die Maschinen für Höchstfahrt klar?"
"Ja, Herr Kapitän. Aber wir werden ohnehin nicht allzu lange oben bleiben können."
"Hören Sie doch auf mit dieser ständigen Unkerei! Es ist weiter schlechtes Wetter angesagt, und das dürfte günstig für uns sein."
"Herr Kapitän, der Gegner hat elektronische Ortungsmittel in seinen Flugzeugen."
"Aber doch nicht in allen! Obersteuermann, wir drehen nach Norden ein, passieren die Insel also weiter nördlich und dampfen mit großer Fahrt Richtung Osten zum Atlantik hin. So viele Flugzeuge haben die Tommies doch gar nicht, um den gesamten Seeraum ständig überwachen zu können. Also meine Herren, das ist der Plan. Ich gehe jetzt mit der II. Wache hoch und werde eine Weile oben bleiben und mir ein Bild von der Situation machen. Falls sich etwas anderes ergeben sollte, verschwinden wir eben in den Keller."
Martin Haberkorn missbilligte den Plan des Kommandanten, unter allen Umständen möglichst schnell in das Einsatzgebiet zu kommen. Natürlich konnte er sich nicht offen gegen dessen Befehle stellen, das ließ der Komment einfach nicht zu. Er würde aber bestimmte Vorkehrungen treffen, die nur die Maschinenleute verstehen konnten und dazu zählte, dass er das Boot zwei Tonnen schwerer als üblich fuhr. Damit wäre es möglich, die Tauchzeit nochmals um einige wertvolle Sekunden zu reduzieren. Er würde sich auch während der Überwasserfahrt ständig in der Zentrale aufhalten, um sofort reagieren zu können, falls sich eine Bedrohungslage ergeben sollte. Es war raue See und das Boot krachte von den Wellengipfeln deutlich spürbar in die Täler, so dass der ganze Schiffskörper vibrierte. Der Schmutt hatte eine Kanne Tee in die Zentrale gebracht und der Zentralemaat hatte sie wegen der heftigen Bewegungen des Bootes kurzerhand an den Tannenbaum auf die Flurplatten gestellt, so dass sie nicht über Stag gehen konnte. Haberkorn trank den Tee aus einer Aluminiumtasse und hatte alle Mühe, sich in dem stampfenden und rollenden Boot auf den Beinen zu halten. Zur Sicherheit wurde mit offenem Luk gefahren und die kühle Abendluft stürzte nach unten in die Zentrale. Bei solcher Fahrtweise merkte Haberkorn eindringlich, welcher Mief eigentlich im Boot herrschte. Genau wie die anderen hatte er sich aber daran gewöhnt und nahm diese Mixtur aus Diesel, Bilgenwasser und Schweiß sowie vergammelnden Lebensmitteln gar nicht mehr wahr. Durch die Temperaturunterschiede im Boot und der Außenluft bildete sich schnell Kondensat, und wie abwesend wischte er den dünnen Wasserfilm vom Tiefenmesser. Das Lärmschott zum Dieselmotorenraum war absichtlich offen gelassen worden, die Maschinen saugten die Luft jetzt aus dem Boot, um etwas Frische zu schaffen. Das würde nicht lange vorhalten, denn wenn er über die Handräder am Tannenbaum strich waren auf seiner Hand schwarze Abgaspartikel zu sehen. Das hatte ihn noch nie gestört, er war ein Maschinenmann und daran gewöhnt, sich die Hände schmutzig zu machen. Sobald sie getaucht waren würden die beiden Diesel noch eine ganze Weile Wärme ausdunsten und die dann dort zum Trocknen hängenden nassen Sachen der Brückenwache die Luftfeuchtigkeit wieder erhöhen. Es gab einen ständigen Wechsel des Raumklimas, aber die Unterdecksmannschaft war wenigstens nicht gezwungen, im Rhythmus der Wachwechsel auf den Turm zu entern, und dort dem Wetter fast schutzlos ausgesetzt zu sein. Warum so viele junge Männer zur U-Boot-Waffe kommandiert worden war Haberkorn schon lange klar: dieser mehr als ungesunde Lebensrhythmus ließ sich nur mit einer guten Konstitution durchstehen. Es war eigentlich nur bei Unterwasserfahrt möglich, einige Stunden am Stück zu ruhen, ansonsten ließen die Wachwechsel kaum ruhigen Schlaf zu. Traditionell wurde in den Freiwachen gereest, und nur auf dem Lokus hatten die Männer ein paar Minuten Ruhe. Diese war aber nur von kurzer Dauer, denn vor dem Ort bildete sich öfter eine Warteschlange, insbesondere vor und nach den Wachwechseln. Der vielfach aus Angst und Unsicherheit geborene Umgangston der Mannschaften untereinander war auch nichts für zarte Seelen. Die Maate hatten in dieser Hinsicht die Aufgabe, das richtige Gespür dafür zu entwickeln, wann sie einschreiten mussten, um ernsthafte Konflikte zu vermeiden. Das Schlimmste was einer Besatzung passieren konnte war das Riskieren einer nicht geschlossen auftretenden Gemeinschaft. Jeder an Bord war auf seine Art und Weise, und je nach Verantwortung, ein Spezialist. In normalen Zeiten konnte man einen Fehler an Bord eines Bootes irgendwie immer wieder ausbügeln, hier könnte er das Leben von 50 Männern kosten. Haberkorn war sich ziemlich sicher, dass die jungen Besatzungsmitglieder noch gar nicht begriffen hatten, wie enorm hoch die Bedrohung durch den Gegner täglich war, auch wenn sie noch nicht vordergründig sichtbar wurde. Bis jetzt hatte das Boot noch keinen Feindkontakt gehabt,