Meconomy. Markus Albers
Читать онлайн книгу.Unternehmensmotto „Don’t be evil“. Je mehr die Interaktion zwischen Marktteilnehmern über das Internet explosionsartig zunimmt, desto weniger lohnt es sich, unmoralisch, unkollegial oder ausbeuterisch zu handeln, denn die Kosten überwiegen zunehmend die Vorteile. Jarvis: „Wenn Menschen offen mit Ihnen, über Sie und um Sie herum sprechen können, ist es keine zulässige Geschäftsstrategie mehr, Sie übers Ohr zu hauen.“
Wir müssen uns unterscheiden und positionieren wollen. „Unser Online-Schatten wird zu unserer Identität“, sagt Jarvis: „Um aus der Masse herauszuragen, brauchen wir unterscheidbare Identitäten.“ Wir müssen eine Marke werden, ein Experte, müssen für etwas stehen. Dazu müssen wir nicht Quantenphysiker werden oder Opernstar. Man kann auch für kleine Dinge bekannt sein oder ein Experte innerhalb einer kleinen Gruppe. Denken Sie an den Nachbarn, der für alle anderen die Heizung reparierte. Den VHS-Lehrer, der allen beibrachte, Briefe am Computer zu schreiben. Den Töpfer- und den Trommelkurs, die Baby-Krabbelgruppe und die Freundin, die immer die besten Partys organisierte – alles Experten. Wir sollten uns aber sehr wohl überlegen, ob wir lieber für unsere berufliche Qualifikation oder eine private Leidenschaft bekannt sein wollen. Möglicherweise können wir das online trennen – seriöses Banker-Profil bei Xing, Rock-Gitarrist auf MySpace. Glückliche Menschen schaffen es, beides zu verbinden. Was uns zum letzten Punkt bringt.
Wir müssen Dinge machen. Als Sachbearbeiter Vorgänge sauber abzuschließen macht uns weder für etwas bekannt, noch schärft es unser Profil als Experte, noch erweitern wir dadurch ein Portfolio, das uns von anderen unterscheidet. Wir wissen nicht, welche Akten Franz Kafka als Versicherungsangestellter bearbeitet hat. Wir kennen seine Romane, Erzählungen und Briefe. Standard-Arbeiten werden zum Glück heute automatisiert oder outgesourct. Deswegen muss nicht plötzlich jeder Romane schreiben. Aber die Frage, was Sie am Ende Ihres Lebens geschaffen haben wollen, was Ihr – wie es im Englischen so schön heißt – „body of work“ sein soll, muss erlaubt sein. „Das Internet macht uns nicht kreativer“, schreibt Jarvis: „aber es erlaubt unseren Kreationen, gesehen, gehört und benutzt zu werden. Es ermöglicht jedem Kreativen, ein Publikum zu finden, das er oder sie verdient.“ Bevor wir uns mit diesem letzten Punkt näher befassen, soll klargestellt sein: Kreieren kann man nicht nur Bilder, Musik oder Tanz. Auch eine Unternehmensgründung, eine Ingenieursleistung oder eine Wissensvermittlung können immens kreative Akte sein. Es kommt zunächst einmal nicht darauf an, wie „wertvoll“ ein Produkt oder eine Idee ist. Es kommt darauf an, dass wir sie schaffen.
Werden Sie der Anführer Ihres eigenen Stammes
Seth Godin ist ein Advokat des neuen Denkens. Wie wenige bringt der amerikanische Marketing-Experte, Unternehmer und Buchautor knackig auf den Punkt, was genauso anders ist an der neuen Wirtschaftsordnung, die wir Meconomy nennen wollen. Godin prägte im Jahr 2009 den Begriff der „Tribes“, zu Deutsch „Stämme“, um die neuen Beziehungsgeflechte zwischen Menschen zu beschreiben. Stämme gab es schon immer: Die Einwohner einer Kleinstadt waren ein Stamm, alle Leichtathleten in Thüringen bildeten einen Stamm oder die Hamburger SPD-Mitglieder. Bei diesen alten Stämmen spielte die Geografie eine zentrale Rolle.
Das Internet hat diesen Geografiebezug eliminiert. Heute existieren unendlich viele Stämme nebeneinander, große und kleine, horizontale und vertikale. Wir alle sind Mitglied in viel mehr Stämmen als früher: Stämme, mit denen wir gemeinsam arbeiten, reisen, einkaufen. Stämme, mit denen wir über Politik diskutieren, denen wir unsere Fotos zeigen, die dieselbe Musik mögen wie wir oder die uns ihre Kochrezepte verraten. Wir haben immer mehr Werkzeuge zur Verfügung, um die Mitgliedschaft in diesen Stämmen zu organisieren und um uns mit den anderen Mitgliedern zu verbinden: Facebook und Xing, Twitter und Basecamp, E-Mail und Websites.
Alle diese Stämme, so Godins Theorie, suchen Anführer. Und der Anführer, das können Sie sein. Am besten, Sie gründen selbst einen Stamm. Was der Gegenstand sein könnte, das Thema, das Produkt? Da horchen Sie am besten tief in sich hinein und fragen sich, wozu Sie am allermeisten Lust hätten. Was ist Ihre Leidenschaft? Wofür brennen Sie? Genau das sollte Thema Ihres Stammes werden.
• Sie interessieren sich so sehr für Schokolade, dass Sie alles darüber wissen und das Wissen weitergeben wollen? Holger In’tVeld ging es genauso, also gründete er in Berlin den „Schokoladen“, in dem er hochpreisige Kakaoprodukte verkauft. Ein Café hat er ebenfalls eröffnet, eine eigene Schokolade produziert er bereits und an einem Buch zum Thema schreibt er gerade. Früher war In’tVeld Musikjournalist – heute hat er einen Stamm von Schoko-Connaisseuren um sich geschart. Ein Beispiel dafür, dass dieses Denken keineswegs nur mit Online-Geschäftsmodellen funktioniert – allerdings per Definition besser, wie der nächste Fall zeigt.
• Ihre Oma häkelt toll, und Sie hätten ein paar schräge Designideen, die die alte Dame umsetzen könnte? Damit verdient Manfred Schmidt jetzt sein Geld, auf dessen Website „Oma Schmidt’s Masche“ es Topflappen mit Totenkopfmotiv, ungewöhnliche Häkelmützen, T-Shirts und Eierwärmer zu kaufen gibt. Vorher war Schmidt Architekt. Heute hat er online einen bundes- oder sogar weltweiten Stamm für seine Produkte gegründet, was ihm angesichts der spitzen Zielgruppe mit einem Laden an der Ecke wohl nicht gelungen wäre.
• Andreas Stammnitz’ große Leidenschaft war immer schon, Menschen etwas beizubringen. Als Marketingchef eines großen deutschen Buchverlages war er zwar erfolgreich – aber in ihm brannte immer der Gedanke: Am liebsten wäre ich selbstständig und würde irgendwas mit Erwachsenenbildung machen. Jetzt hat Stammnitz seinen festen Job auf halbtags reduziert und baut nebenbei eine Onlinecommunity für Coaching und berufliche Fortbildung auf.
Nur drei Beispiele für Seth Godins Kernthese, dass die neue Wirtschaftsordnung Leidenschaft belohnt. „Bei Stämmen geht es um Glauben“, so der Amerikaner: „Glauben an eine Idee, an eine Gemeinschaft. Glauben Sie an das, was Sie tun? Jeden Tag? Es stellt sich heraus, dass glauben eine brillante Strategie ist. Immer mehr Menschen merken gerade, dass sie sehr viel arbeiten und dass es sehr viel befriedigender ist, an etwas zu arbeiten, an das sie glauben, und Dinge zu bewegen, als einfach nur jeden Monat sein Gehalt zu bekommen und darauf zu warten, gefeuert zu werden (oder zu sterben).“
Geht es nach Godin, ist das Leben zu kurz, um zu hassen, was man den Tag über tut. Zu kurz, um Mittelmäßiges zu produzieren. Und fast alles, was heutzutage Standard, gängig oder durchschnittlich sei, gelte den Menschen als mittelmäßig, also langweilig. „Das Resultat ist, dass viele sehr gute Leute den Tag damit zubringen, zu verteidigen, was sie tun“, so der Autor, „damit, das zu verkaufen, was sie immer verkauft haben, und zu verhindern versuchen, dass ihr Unternehmen von den Mächten des Neuen aufgefressen wird. Es muss sie sehr anstrengen. Mittelmäßiges zu verteidigen ist aufreibend.“ Wer bei Opel arbeitet, bei Karstadt oder bei einer Tageszeitung, weiß, was gemeint ist.
Aber was, wenn man befürchtet, dass die eigene Leidenschaft, das Hobby, das Interessengebiet zu exotisch ist? Oder zu gängig? Kurz: was, wenn man Angst hat, die Sicherheit des Mittelmäßigen einzutauschen gegen das Abenteuer des Unberechenbaren? Dann sollte man es erstens machen wie Andreas Stammnitz und die neue Geschäftsidee, die Website, den Laden, seinen Stamm ganz langsam nebenbei aufbauen. Man merkt dann schon, wann es Zeit ist, das Alte aufzugeben und sich ganz ins Neue zu stürzen. Aber man muss auch bereit sein, konstruktiv zu scheitern und daraus zu lernen: „Nutzen Sie die Kraft, die darin liegt, nicht recht haben zu müssen“, so John Naisbitt, renommierter Zukunftsforscher, Autor des Weltbestsellers „Megatrends“ und Berater mehrerer US-Präsidenten in seinem letzten Buch „Mindset“: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wenn Sie Angst davor haben, nicht recht zu behalten, werden die Gelegenheiten, die diese evolutionäre Ära zu bieten hat, an Ihnen vorbeiziehen.“
Zweitens sollte man an die „1000-Fans“-Regel von Kevin Kelly, Internet-Legende und Mitgründer des Magazins Wired, denken. Sie besagt, dass in der Regel 1000 wahre Fans reichen, um einen Künstler oder ein kleines Geschäft zu ernähren. Ein wahrer Fan laut dieser Definition bringt drei Freunde mit zum Konzert. Kauft die teure Hardcover-Ausgabe eines Buches, statt nur auf der Website des Autors herumzuklicken. Fährt quer durch die Stadt, um in genau diesem Laden jene Schokolade zu kaufen. Und vor allem verstärkt er die Wirkung des Stammes, erzählt weiter, wie großartig es ist, Fan zu sein von: genau – von Ihnen.