Sternengeflüster. Mara Janisch

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Sternengeflüster - Mara Janisch


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ja, ein Fünkchen Wahrheit ist darin verborgen. Der Umgang mit dem Ohr und der Gebrauch der Stimme beim handynieren ist doch ein sehr fragwürdiger geworden. Den Stimmklang am Handy mit dem des Festnetzes zu vergleichen ist eine höchst interessante Beobachtung, weil die technischen Gegebenheiten am Handy den Stimmklang auf eine Art und Weise verschärfen, dass das Gesetz „Wie man in den Wald hineinruft, so hallt es heraus“ beängstigende Formen für die Kommunikation annimmt. Das Ohr wird unangenehm mit Miss-Klängen bedrängt. Es gibt Menschen, und zu denen gehöre ich auch, die kein Handy verwenden, weil sich das Ohr unwohl bei dieser Klangqualität fühlt. Es wäre bei der Vielfalt der technischen Möglichkeiten ein Leichtes die Klangqualität anzuheben und erträglich zu machen. Aber die Ohren wurden durch die Zumutung des „Fernsehklanges“ bereits so korrumpiert, dass der Schritt zur Ohrenbeleidigung durch die Ausblendung bestimmter Frequenzen durch das Handy nur ein kleiner war. Und so befindet sich das Ohr in einer Situation, dass es dem Hören nicht mehr gewachsen ist. Eine beängstigende Tatsache, dass der Verlust des „Wohlklanges“ so weite Kreise zieht, dass die Stimme sich nicht mehr an einer gewissen Hörqualität heranbilden kann. Die Stimme kann nur das wiedergeben, was das Ohr hört. Wenn das Ohr stirbt, stirbt die Stimme!

      Aber Umberto ist ein hörender junger Mensch, der die Wertschätzung für das Ohr nicht verloren hat. Im Gegenteil, er pflegt sie bewusst, weil er ein Sänger werden möchte, und er verweigert sich konsequent dem missklangschulenden Handyton. Jetzt sehe ich ihn von weitem mit elastisch federnden Schritten kommen. Sein offenes, dunkelbraunes, lockiges, schulterlanges Haar glänzt in der Sonne. Seine Biographie könnte von einem Kitschfilm abgeschrieben sein. Sein Vater ist Venezianer – ein Instrumentenbauer, und Umberto wird in Venedig als Sohn einer Wienerin geboren – und darf sich einer musischen Bildung hingeben.

      „Hallo Bella!“, tönt seine weiche Stimme mir entgegen.

      „Hallo Umberto, wir haben uns einen schönen Tag ausgesucht“, sage ich und wir umarmen uns herzlich.

      „Lydia wollte unbedingt mitkommen, jedoch ich habe sie überzeugen können, dass sie auf dich nicht eifersüchtig sein muss.“

      Ich lache.

      „Auf deine Gesangslehrerin muss sie wirklich nicht eifersüchtig sein, eher auf deine große Liebe zum Gesang. Sie kann dich ja das nächste Mal von der Gesangsstunde abholen, dann können wir einander kennenlernen“, füge ich hinzu.

      „Ja, das ist eine gute Idee“, stimmt er zu.

      Schon steht die Serviererin vor uns und er bestellt einen Capuccino und einen Apfelstrudel mit Schlagobers.

      „Heute schlägst du wieder zu“, scherze ich.

      „Ja, ja, du weißt ich brauche Kraft zum Singen“, sagt er und seine vollen kräftigen Lippen geben seine regelmäßigen und wohlgeformten Zähne frei.

      Umberto scheint die schöne Umgebung heute gar nicht zu beachten. Hat er etwas auf dem Herzen?

      „Wie geht es dir, Umberto?“, frage ich.

      „Weißt du, ich habe wieder versucht, in keine Mechanik beim Üben zu verfallen. Die Scalen verleiten dazu sehr, aber plötzlich war eine bedeutsame Frage auf meinen Lippen. Die Frage, was bedeutet es überhaupt zu singen. Es interessiert mich im Moment weniger, was es bedeutet ein Sänger zu sein, nein, was heißt überhaupt singen? Ein Mensch, der das Bedürfnis hat zu singen, was heißt das?“. Umbertos Augen werden ganz groß und fragend.

      „Ich habe mich beobachtet, wenn ich ein Lied singe. Will ich gefallen? Nein, ein Gefühl in mir sucht den Ausdruck im Klang. Das Gefühl, das ich in mir verspüre, ist so beglückend oder so traurig, dass ich andere Menschen daran teilhaben lassen möchte“, schwärmt er.

      „Ja, der Klang will in die Welt hinaus zu anderen Menschen“, stimme ich zu.

      „Aber nicht nur das, das Gefühl, das in mir ist, möchte sich mit anderen Menschen verbinden“, fährt er fort.

      „Ein Cappuccino und ein Apfelstrudel mit Schlag.“

      „Danke“, sagt Umberto.

      „Nur für sich allein singen – ausgenommen beim Üben – hat wirklich nichts mit Singen zu tun“, antworte ich.

      „Genauso empfinde ich es, “ Umberto schaut seinen Kaffee gar nicht an und fährt fort „doch der Klang, der in mir entsteht, wieso hat er solche sozialen Bedürfnisse? Welches Geheimnis verbirgt sich im Klang?“, fragt er weiter.

      „Wie alle Geheimnisse, so verbergen sie sich, aber ich denke der Klang kommt aus einer Welt, der der Mensch in seinem tiefsten Inneren angehört. Einer Welt, die ihm entglitten ist, einer Welt, deren Zutritt ihm mehr verschlossen als geöffnet ist. Und jedes Mal ist es ein Wunder, wenn sich dieser Zutritt ereignet. So wie ein scheinbar verbotener Garten, das Paradies, das man zufällig entdeckt“, antworte ich.

      Umberto gerät in eine Erregung.

      „Und dieses Wunder der Paradiesöffnung soll Abend für Abend mit einer bestimmten Gesangstechnik sichergestellt werden“, stellt er in Frage.

      „Eine unverbildete Gesangstechnik ist die Grundlage dafür“, füge ich hinzu.

      „Aber mit dieser Grundlage öffnen sich noch nicht die Pforten des Paradieses“, schließt er an.

      „Nein, das nicht.“

      „Und wer öffnet diese Pforten?“, will Umberto wissen.

      Zunächst lächle ich angesichts dieser schweren Frage.

      „Ja, wenn man das wüsste; die Gesangstechnik macht sicher den kleinsten Teil, ich schätze 40 Prozent von diesem Wunder aus“, sage ich.

      „Wenn ich bedeutende Sänger beobachte und höre, glaube ich diesem Wunder näher zu kommen!“, sinniert Umberto.

      „Zum Teil, ja“, gebe ich zu.

      „Zum Beispiel, mein großes Vorbild, Giuseppe di Stefano, er hat seine Gesangsausbildung nicht fertig gemacht, aber – oder gerade deshalb hatte er dieses Charisma“, schwärmt er.

      „Ja, weil er mit höchster Hingabe und Liebe gesungen hat – mit Enthusiasmus – mit Begeisterung. Und die Liebe des Publikums hat ihn getragen, er durfte auch Fehler machen und ist nicht verstoßen worden. Ein Phänomen, das heute undenkbar wäre. Umberto, willst du noch schöner werden, dein Kaffee wird kalt.“ Er lacht und fährt erregt fort ohne Kaffee und Strudel zu beachten.

      „Ich merke jetzt schon an der Musikhochschule, dass ich diesen verbissenen Ehrgeiz einfach nicht mitmachen will, ich kann nur lachen darüber, das hat doch nichts mit Singen zu tun. Einen angemessenen Leistungsgedanken aus der Werktreue heraus zu verwirklichen – das kann ich noch verstehen. Auch, dass ein gewisser Grad an Genauigkeit dazugehört, um zu musizieren – das alles kann ich verstehen. Aber nur diese kalte Perfektion, das lehne ich ab. Das Geheimnis des Singens, es wird ganz entzaubert, profanisiert“, sagt er traurig. „Und wenn ich dich nicht als Privat-Lehrerin hätte, würde ich ganz verzweifeln. Ich überlege mir allen Ernstes, ob ich das nächste Jahr noch mache. Ich habe dort wenig gelernt – im Gegenteil, ich muss aufpassen, dass ich dort nichts verlerne“, antwortet er.

      „Umberto jetzt übertreibst du aber ein wenig. Die Hochschule für Musik ist eine ausgezeichnete Schule. Dass deine Individualität eine andere Art der Ausbildung braucht, ist wieder eine andere Sache.“

      Umberto schaut sehr traurig aus, aber plötzlich hellt sich sein Gesicht auf und er sagt: „Wir wollten doch unser Lied singen.“

      „Schon wieder?“, frage ich.

      „Du hast ja gesagt, immer wenn ich traurig werde, soll ich es singen.“

      „Aber hier?“, wende ich ein.

      „Ja, hier.“

      „Na gut“, stimme ich zu.

      Wir wiegen uns in den Takt ein und an den Nebentischen sitzen Menschen in ihre Zeitungen vertieft. Wir beginnen „Que serat, serat, whatever will be, will be ...“ zu singen. Wir singen nicht


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