Olgas Essen. Renate Wullstein

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Olgas Essen - Renate Wullstein


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Chance“, sagte ich. „Aber es macht trotzdem Spaß.“

      Der Kunsthistoriker kicherte wieder. Ich wünschte, er würde sich in Luft auflösen. Da das nicht geschah, ignorierte ich ihn. Der Dicke mit der Lederweste störte mich nicht im Geringsten, leistete allerdings auch keinen Beitrag. “Ich würde lieber sitzen, ich stehe nicht gern“, sagte ich. Alle blickten sich um. Nur der lange Balken an der begrünten Mauer hatte noch freie Plätze. Jonny wies mit ausgestrecktem Arm dort hin, und wir setzten uns in Bewegung. Ich platzierte mich neben ihn, und der Kunsthistoriker beeilte sich, auf meine andere Seite zu kommen. Mit einer halben Körperdrehung wandte ich ihm den Rücken zu, so dass er, wenn der Wind günstig stand, kaum noch etwas verstehen konnte. Er störte, obwohl er weiter nichts tat als die Ohren zu spitzen und andauernd zu grinsen.

      „Wie würdest du zum Beispiel gern von einer Frau angesprochen werden?“ fragte ich Jonny zu meiner Linken. „Keine Ahnung, darüber habe ich noch nie nachgedacht, kommt immer ganz auf die Situation an....warte mal einen Augenblick“, unterbrach er sich, stand auf, drängelte sich an Tischen und Bänken vorbei und begrüßte eine große junge Frau mit einem Kuss auf die Wange. Ich beobachtete den Vorgang, rückte bei dieser Gelegenheit noch ein Stück vom Kunsthistoriker ab und warf einen flüchtigen Blick auf den kleinen Dicken. Er saß breitbeinig wie der größte Gemütsmensch aller Zeiten auf seinem Platz und sah sich das Treiben an. Was nun? Es hatte den Anschein, dass Jonny Lehmann so bald nicht zurückkehrte. Ich sah niemanden, der einen Ortswechsel lohnte, also sprach ich den Dicken an.

      „Du bist nicht oft hier, oder?“

      „Selten“, sagte er.

      „Wie war noch mal dein Name?“

      „Christian.“

      „Christian“, murmelte ich. „Na ja, dafür kannst du ja auch nichts.“

      Das Resümee des Abends war niederschmetternd. Ich seufzte. Ohne meinen platonischen Freund kam ich einfach nicht mehr zurecht. Ich wollte aber trotzdem hier bleiben. Ich blies innerlich die Aktion ab. So ging es eben nicht. Langeweile beschlich mich. Ich saß nur so da und blickte in die Luft. Eine Stunde verging, vielleicht auch zwei, ohne dass es etwas Nennenswertes zu beobachten, zu reden oder zu denken gab. Ich wurde müde. Der Kunsthistoriker war tatsächlich verschwunden.

      „Willst du noch etwas trinken?“ fragte plötzlich Christian. Ich nickte, nahm einen Geldschein aus der Tasche und hob das leere Glas in die Höhe. „Einen Weißwein.“

      Christian erhob sich. Und auf einmal stutzte ich. Wieso saß er denn nun schon den ganzen Abend neben mir?

      „Sag mal, bist du vielleicht ein Mann für eine Nacht?“ fragte ich.

      Christian nickte.

      Erstveröffentlichung 1996, Elefantenpress, in der Anthologie „Lust und Frust der Verführung“

      1996, Lizenz, Heyne Taschenbuch, in der Anthologie „Schmetterlinge im Bauch“

      Die Freundin

      An seinem siebenunddreißigsten Geburtstag ging mein Mann zu einer anderen Frau. Es hätte mich unberührt lassen können, denn seit ich ihn kannte, hatte er Frauen neben mir, und ich hatte ihm diesbezüglich völlige Freiheit zugesichert. Darin, meinte ich, läge meine besondere Stärke. Im Gegenzug versicherte er mir, dass es sich lediglich um Sex handele, sonst nichts. Was immer ein Mann darunter verstand, unter nur Sex, ich verdrängte es. Ich legte Wert darauf, dass wir getrennt wohnten. Lewin wohnte bei seiner Mutter in Karlshorst mit Zentralheizung, Badewanne und Telefon, ich in einer Hinterhofbude im Prenzlauer Berg, mit Ofenheizung, ohne Telefon. Er hätte es allerdings gern gesehen, wenn ich mit Sack und Pack zu ihm und seiner Mutter gezogen wäre, wohin gelegentlich auch die anderen Frauen auf Besuch kamen, die er mir allzu gern vorstellte.

      Einige Male war ich unvermutet auf eine Lehrerin getroffen, von der Lewin mir begeistert erzählt hatte. Sie trug meinen Vornamen, das ärgerte mich besonders. Wenn sie da war, erkannte ich es bereits im Flur, wo sie ihren Schminkkoffer abzustellen pflegte. Ich hasste den Schminkkoffer. Zum Geburtstag hatte Lewin seine Mutter gebeten, eine Buttercremetorte zu machen, und zu einem Kaffeekränzchen lud er wie jedes Jahr seinen Freund Paul, mich, seinen Bruder und dessen Frau ein.

      Wir saßen um den Tisch herum, und der einzige der fehlte, war Lewin das Geburtstagskind. Niemand wagte, die Torte anzuschneiden. Meine Schwiegermutter goss Kaffee ein, und wir unterhielten uns. Unruhe kam auf, denn jeder der Anwesenden wusste, dass Unzuverlässigkeit zu Lewins Wesen gehörte wie die löchrigen Schuhe an seinen Füßen. Er kam grundsätzlich eine Stunde später als vereinbart. Nun war aber auch diese Stunde längst vorbei. Er würde es doch wohl kaum wagen, uns sitzen zu lassen?

      Dann klingelte das Telefon. Aha. Aber er war es nicht, sondern meine Freundin Johanna. Da ich oft in Karlshorst war, und Johanna gern telefonierte, probierte sie einfach jeden Tag ihr Glück. Sie hatte wie ich kein eigenes Telefon und benutzte die Zelle in der Nähe ihrer Wohnung. Ich sagte ihr, dass Lewin Geburtstag habe und wir mit einer Torte hier säßen und auf ihn warteten.

      Johanna lachte. „Typisch“, sagte sie.

      „Weißt du was“, setzte sie hinzu. „Ich sehe Lewin die Straße entlang kommen. Glaube ich jedenfalls.“

      „Nein.“ Ich lauschte einen Moment, sah die anderen an und wartete.

      „Ja“, sagte Johanna. „Er geht durch meine Haustür. Er hat mich nicht gesehen.“

      „Das kann doch nicht wahr sein“, sagte ich. Meine Schwiegermutter und die anderen sahen mich an. Ihr Gespräch war verstummt. Ich schüttelte, sie anblickend, den Kopf.

      Ich war baff, entsetzt, sprachlos. Aber im Grunde wusste ich schon: es ist wahr. Das ist Lewin, mein Mann.

      „Pass mal auf“, sagte Johanna. „Ich gehe jetzt hinterher und tue so, als wüsste ich nichts vom Geburtstag, und du kommst zufällig auch her. Das wird eine schöne Überraschung.“

      „Gut“, sagte ich, legte auf und erklärte, dass Lewin in Köpenick sei, die schlimmsten Befürchtungen sich erfüllt hätten, nämlich: Der kommt nicht mehr. Sie die Torte endlich essen könnten und sich einen schönen Nachmittag machen sollten. Ich mochte meine Schwiegermutter sehr, aber in solchen Momenten ihr gedemütigtes Wesen, die ganze Peinlichkeit anzusehen, war hart. Ich sah darüber hinweg und verließ die Feier.

      Lewin und Johanna hatten sich mehrmals gesehen, aber nur ein einziges Mal hatte ich ihn mit zu ihr nach Hause genommen, und schwupps, schon hatte sich der sonst so vergessliche Mensch ihre Adresse gemerkt.

      Als ich in Köpenick eintraf, war mir klar geworden, dass Lewin sich nun auch an Johanna heranmachen wollte. Sie würde darüber erhaben sein. Es machte mich trotzdem wütend, dass Lewin selbst vor meiner einzigen Freundin nicht zurück schreckte.

      Er saß auf Johannas rotem Plüschsofa, ein Glas Wein in der Hand, und erschrak leicht, als er mich in der Tür erblickte.

      „Oh! Irina“, sagte er und stellte das Weinglas ab.

      „Oh! Lewin“, sagte ich, „welche Überraschung, eine gute Idee, uns alle zu deiner Mutter einzuladen.“ Ich blieb in der Tür stehen und wollte eigentlich etwas besonders Bissiges hinzusetzen, aber mir fiel nichts ein. Ich hatte vergessen, mich vorzubereiten. Ich setzte mich, Johanna grinste und holte ein drittes Weinglas aus der Vitrine. Lewin lächelte gequält.

      „Ich hatte auf einmal keine Lust mehr. Jedes Jahr dieselbe Kaffeetafel. Immerhin ist es ja mein Geburtstag.“

      „Klar“, sagte ich. „Da hast du natürlich Recht.“

      Und da gab es dann nur die Möglichkeit, zu meiner Freundin zu marschieren, setzte ich gedanklich hinzu. Ich fürchtete wütend zu werden und eine Szene auszulösen, die mich hässlich, hysterisch, kreischend werden ließ. So wollte ich mich auf keinen Fall sehen. Ich blickte aus dem Fenster auf den Birkenbaum, dessen Blätter gefallen waren. Lewin goss Wein in mein Glas.

      „Welches Sternzeichen


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