Zuckermausalarm. Ute Dombrowski

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Zuckermausalarm - Ute Dombrowski


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meinst du das?“, fragte Luna und hatte ein ganz merkwürdiges Gefühl.

      „Wenn jemand sich an Schwächeren vergreift, vergesse ich mich. Und ehe es herum getratscht wird: Ich bin von meiner alten Schule geflogen, weil ich einem Kerl beide Arme gebrochen habe, nachdem er ein dickes Mädchen fast in den Selbstmord getrieben hat. Sie ist meine Cousine.“

      Luna hatte große Augen bekommen und rang mit sich. Sollte sie ihn bewundern oder sich distanzieren? André ahnte, was das Mädchen dachte.

      „Ich weiß, Gewalt ist keine Lösung, aber Tina ist fast gestorben und dieses Arschloch hatte es verdient. Jetzt trage ich halt die Konsequenzen. Und umziehen mussten wir auch, denn der Alte von dem Kerl hat uns überall angeschwärzt.“

      „So ein Arsch, sein Sohn hat doch den Fehler gemacht!“

      Luna hatte sich entschieden, zu André zu stehen und ihn zu bewundern. Der Junge lächelte jetzt und zog seine Jacke an.

      „Danke für die Nachhilfe. Wenn du magst, können wir morgen bei mir Französisch lernen. Mir fehlt ein bisschen der Anschluss. Ich durfte eine Weile nicht zur Schule, als das alles noch ein offenes Verfahren war.“

      „Gern, dann komme ich morgen um vier zu dir.“

      Luna begleitete André zur Tür und sah ihm hinterher, als er zum Nachbargrundstück ging. Sie seufzte. Ach, er ist ein Held und er sieht super aus, dachte sie.

      Sie lief in den Keller und erledigte die ihr aufgetragenen Aufgaben. Zufrieden sah sie sich anschließend um. Es war gerade mal sechs Uhr, also konnte sie noch eine knappe Stunde zu Lia, die um die Ecke wohnte. Luna klingelte Sturm. Als die Tür aufgerissen wurde, floss laute Musik heraus und dumpfe Bässe ließen den Boden zittern.

      „Komm rein, Luna!“, rief Lia und zog die Freundin hinter sich her in ihr Zimmer im Obergeschoss.

      Dort schloss sie dir Tür und verdrehte die Augen.

      „Ich dachte, du hörst diese krasse Musik“, sagte Luna laut.

      „Nein, das ist mein Vater, er hat das Wohnzimmer zu einem Atelier umgebaut und malt verrückte Bilder. Das geht schon eine ganze Woche so. Ich muss mit Kopfhörern Hausaufgaben machen, sonst werde ich bekloppt. Papa sagt, er ist kreativer mit lauter Musik. Dabei ist das auf den Bildern Kinderkram. Nur Kreise. In allen Farben. Ich hoffe, es geht bald vorbei.“

      „Wann will er denn wieder arbeiten?“

      „Keine Ahnung. Kreative Auszeit – so ein Blödsinn. Dem ist sicher schon langweilig, aber er zieht das echt durch, nur um Recht zu behalten.“

      In diesem Moment verstummte die Musik, der Boden hörte auf zu beben. Die Mädchen atmeten auf.

      Lia setzte sich mit einer elfenhaften Bewegung auf den Teppich vor dem großen Balkonfenster und klopfte auf den Platz neben sich. Sie strich ihre glatten braunen Haare zurück, drehte sie zusammen und sah Luna mit ihren rehbraunen Augen an. Luna mochte die Freundin und fand sie atemberaubend schön. Sie beneidete Lia um die schlanke Figur, die reine, leicht gebräunte Haut und die ebenmäßigen weißen Zähne.

      „Du glaubst nicht, wer eben bei mir war“, begann sie und Lia horchte auf.

      „André?“

      „Woher … ach so. Du hast mitbekommen, dass wir uns verabredet haben. Wir haben Englisch gelernt.“

      „So nennt man das also. Du stehst doch total auf den Kerl mit den schönen grünen Augen. Erzähl! Was habt ihr wirklich gemacht?“

      Luna sah die Freundin böse an.

      „Wir haben Englisch gelernt.“

      „Du bist verknallt.“

      Nun wurde Luna das Gespräch noch unangenehmer, denn Lia stichelte weiter.

      „Das sieht doch ein Blinder, wie du ihm auf dem Schulhof hinterher starrst. Hat er dich geküsst?“

      „Was denkst du denn von mir?“, fragte Luna eingeschnappt und beschloss, André nicht mehr so offensiv anzuhimmeln. „Wir haben Englisch gelernt, wirklich! Und wir haben uns nicht geküsst. Der ist mir viel zu arrogant. Du kannst ihn haben. Wir lernen zusammen, weil meine Mutter seine kennt.“

      Lia grinste, wusste sie doch, dass es eine glatte Lüge war. Sie selbst konnte in der letzten Zeit an keinen anderen mehr denken als an André. Die beiden waren sich einmal auf dem Nachhauseweg begegnet und sie hatte sich Hals über Kopf verliebt, als er mit sanfter Stimme zu ihr sprach. Dabei hatte er sie mit diesen wahnsinnig grünen Augen angesehen.

      „Mal sehen, vielleicht versuche ich es bei ihm und verdrehe ihm den Kopf.“

      Luna war zusammengezuckt. Oh nein, dachte sie, wenn Lia in ihn verliebt ist, dann habe ich keine Chance, sie ist viel schöner. Sie war traurig, ließ sich aber nichts anmerken. Später machte sie sich auf den Weg zu ihrem Vater ins Restaurant, wo sie fast jeden Tag um sieben Uhr zusammenkamen und zu Abend aßen.

      „Hallo Papa!“

      „Na, meine Prinzessin, wie war dein Tag?“

      Luna küsste ihren Vater auf die bärtige Wange. Er trug seine Arbeitskleidung, die weiße Kochjacke und eine schwarze Hose, dazu eine rote Schürze, und wedelte mit einer Serviette herum. Das italienische Restaurant war fast voll und Luna setzte sich an den einzelnen runden Tisch, der für die Familie reserviert war. Joago kam gleich nach ihr, grinste fies, sparte sich aber jeden Kommentar, als Piet Bergis eine große Pizza auf den Tisch stellte.

      „Guten Appetit, Kinder. Wo ist Mama?“

      „Vielleicht kauft sie noch ein“, vermutete Luna und schnitt sich ein kleines Stück Pizza ab.

      Jetzt setzte sich Piet zu ihnen und Mick Gröllpert, sein Partner, winkte ihnen von der Theke zu. Sein Sohn Samuel ging in die Klasse von Giannas Freund Marvin. Er sah Luna immer merkwürdig an, aber sie beachtete ihn gar nicht, denn er war unscheinbar, wenn auch hübsch, und er sprach so gut wie nie. Endlich eilte Doretta mit schnellen Schritten herein, küsste ihren Mann innig, winkte Mick zu und setzte sich zwischen ihre Kinder. Herzhaft biss sie in das Stück Pizza, das ihr Piet auf den Teller gelegt hatte.

      „Bist du schon satt, mein Engel?“, fragte er Luna, die den Teller fortschob.

      Sie nickte und schaute böse zu Joago, der bereits das dritte Stück verschlang.

      „Ich bin schon satt, Papa. Kannst du morgen mal einen Salat machen?“

      „Warum das denn?“, fragte Joago mit vollem Mund. „Nur weil du fett bist, sollen wir Kaninchenfutter essen?“

      „Du Arsch!“, rief Luna.

      „Aber Joago! Was soll denn das? Luna ist nicht fett. Sei nicht so gemein.“

      Piet hatte seinen Sohn ernst angesehen. Es ärgerte ihn maßlos, dass sich der Sechzehnjährige überhaupt nicht für sinnvoll Dinge interessierte, sondern jeden Tag mit seinen merkwürdigen Freunden im Fitness-Studio und nur noch auf Äußerlichkeiten fixiert war.

      „Ist doch wahr, schau dir das Pummelchen doch an. Wenn sie ein bisschen Sport machen würde, dann könnte sie das viele Essen abtrainieren. Ich muss mir schon immer auf dem Schulhof sagen lassen, dass Luna fett geworden ist.“

      Luna war aufgestanden und auf die Toilette verschwunden, damit niemand ihre Tränen sah. So bekam sie nicht mit, dass Piet seinen Sohn zurechtwies und sich mal richtig Luft machte. Daraufhin verließ Joago wütend das Restaurant und Doretta schüttelte den Kopf.

      „Was ist nur mit den Kindern los?“, fragte sie voller Sorge.

      „Ach, lass mal, mein Schatz, Pubertät nennt man das. In fünf bis zehn Jahren sind sie wieder normal.“

      „Oh mein Gott.“

      4

      Luna war von der Toilette direkt nach Hause gegangen und hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen.


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