Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56. Klaus Perschke

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Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56 - Klaus Perschke


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und die Mannschaft anrichten, jeder machte es sich so bequem wie möglich bei diesem Chaos. Anschließend kurz Backschaft machen und das Mittagessen vorbereiten. Unsere Steuerleute und der Kapitän beobachteten die Ladearbeiten von der Brücke aus, denn an Deck konnte sich keiner für längere Zeit aufhalten, so sehr staubte es an Deck über den Luken durch die Greiferschüttungen. Das Beladen vollzog sich dabei sehr schnell. Nach einem vorgezogenen Mittagessen warteten wir, bis die polnischen Hafenarbeiter zu ihrer Mittagspause an Land gingen. In diesen Moment hieß es für uns: Rein in die Laderäume und die Briketts in die Seiten trimmen. Da der Kran während des Schüttens zwischen der vorderen und der achteren Ladeluke verholte, damit die Ladung gleichmäßig verteilt wurde, entstanden im Laufe der Zeit Schütthügel, die sich langsam der Lukenöffnung näherten. Wir, die Jan Maaten einschließlich des Moses, mussten durch die Einstiegsluken jetzt in die Laderäume einsteigen und jeweils mit Sonnenbrennern und Schaufeln ausgerüstet an der Backbord- und der Steuerbordseite der Schiffsaußenhaut entlang die verbliebenen Freiräume mit der nachrutschenden Schüttladung auffüllen. Der Trick dabei bestand darin, sich rückwärts zu den Einstiegsluken zurück zu arbeiten. Gut gedacht, es verlief ja auch alles anfangs gut. Doch als die Mittagszeit der Polen zu Ende war, ging die Schütterei wieder los. Ein Greifer nach dem anderen ließ seinen Inhalt in die Laderäume rauschen. Und die Briketts rutschten gemäß dem Gravitationsgesetz schnell wieder nach, so dass, jedenfalls ich im Bereich meines Trimmplatz zum Schluss kaum noch Bewegungsfreiheit hatte. Und so kam es, dass ich plötzlich von der nachrutschenden Schüttladung von der achteren Einstiegsluke abgeschnitten war. Ich geriet in echte Panik, schrie aus Leibeskräften und schlug mit der Schaufel gegen das Schott. Der 2. Steuermann hatte meine Signale wahrgenommen und den Kran gestoppt. In der Tat war ich der letzte Briketttrimmer, der aus der achteren Einstiegsluke heraus gekrochen kam. Alle wollten sich über den schwarzen Moses totlachen. Nur ich fand das überhaupt nicht zum Lachen, denn am Ende hatte ich schon gar nicht mehr damit gerechnet, noch lebendig aus dem Laderaum heraus zu kommen.

      Die beiden Laderäume waren bis oben hin voll geschüttet und glatt getrimmt. Mit Ach und Krach wurden die Scherstöcke mittels Greifer in ihre Positionen eingesetzt, anschließend wurden die Holzlukendeckel zwischen die Scherstöcke eingelegt und auf jeder Luke jeweils drei Perseninnge ausgerollt und an den Seiten durch hölzerne Lukenkeile verschalkt. Zum Schluss wurden lange Holzplanken auf die Perseninnge in Längsrichtung gelegt, damit beim Löschen der Decklast in Gävle dieselben nicht zerrissen würden. Wir arbeiteten im Akkord, denn jetzt sollte die Decklast geschüttet werden. Auf beiden Seiten wurden an Deck an der Verschanzung Stützpfosten gesetzt, die miteinander mit runnerstarken Drähten verbunden und vorn und achtern mit Spannschrauben und Drahtfröschen tight gespannt wurden. Zum Schluss wurde eine Art Maschendraht an diesem Gerüst vom vorderen bis zum achtern Stützpfosten befestigt. Eine Art Drahtnetz, damit die Deckladung nicht bei schlechtem Wetter über Bord gehen konnte.

      Als wir mit diesen Arbeiten fertig waren, wurden die Schüttarbeiten auf den Luken und in den Seitengängen an Deck fortgesetzt. Herr Richters kontrollierte jetzt in kürzeren Abständen den Tiefgang und als wir bis auf die Sommer-Freibord-Marke abgeladen waren, wurde der Ladebetrieb eingestellt. Wir hatten trotzdem noch eine ansehnliche Decklast Briketts mitbekommen.

      „Moses, seh tou, dat du dii duuscht, un dann ab in de Kombüs tum Eeten kookn, wii hevt Hunga! Un mog de Dörn von de Kombüs dicht, wii wüllt Deck woschn! Is dat kloar?!“ ordnete der 1. Steuermann Wilhelm Bohning an. Also ab nach vorn unter die Back ins Logis und unter die Dusche, frische Klamotten angezogen und zurück in die Kombüse, wo der 1. Steuermann schon wartete. Dort bekam ich meine Kochanweisung, doch auch dieses Mal bestand das „Eeten kookn“ nur aus Kaffeekochen, Brotscheiben absäbeln, mit Wurst- und Käseaufschnitt belegen und auf diverse Teller verteilen. Dazu gab es je Person zwei Spiegeleier. Es musste jetzt alles schnell über die Bühne gehen.

      Unsere Leute hatten in der Zwischenzeit vorn auf der Back die Kettenklüsen zum Kettenkasten mit Putzlappen und Gips verkleistert, den Deckwaschschlauch angeschlossen und in der Maschine die Feuerlöschpumpe in Betrieb genommen. Der ganze Dreck und Brikettstaub wurde vorn auf der Back aufs Hauptdeck runter gewaschen.

      Zwischenzeitlich wurde das Deckwaschen unterbrochen, da die Ausklarierungsbehörden und der Schiffsmakler an Bord gekommen waren. Wieder die gleiche Prozedur wie in Rostock: Gesichtskontrolle, was bei den schwarzen Gesichtern etwas grotesk aussah. Danach kamen die Kammerkontrollen. Es wurden keine Flüchtlinge gefunden, keine polnischen Tallymädchen, die in den Westen verschwinden wollten.

      Der Schiffsmakler händigte Kapitän von Busch die Manifeste aus, weiterhin die Rechnung des Schiffshändlers, denn der war zwischendurch während des Ladens an Bord gewesen und hatte dem Alten mehrere Kartons guten polnischen Wodkas verkauft. Wodka war damals billig in den polnischen Häfen und Wodka wird in den skandinavischen Ländern, besonders in Finnland, gerne getrunken.

      Normalerweise darf man in jedem schwedischen, norwegischen, dänischen und finnischen Hafen nur über eine Flasche Alkohol pro Besatzungsmitglied frei verfügen. Aber was ist schon normal? Die Geldgier verführte schon immer Generationen dieser in der Ostsee fahrenden Kümokapitäne und alle weiteren Seeleute zum russischen Roulett mit den Zollbehörden. Und in den 1950er Jahren waren der Erlös von 20 schwedischen Kronen oder Finnmark ein profitables Nebengeschäft für jeden Ostseefahrer. Jedoch, erlaubt war nur eine Flasche Feuerwasser. Aber profitabel wurde das Geschäft erst ab einem Karton mit in der Regel sechs Flaschen. Doch diese unerlaubte Überzahl musste man an Bord vor dem Zoll verstecken, allerdings so, dass die Herren der „Swaten Gang“ diesen Schatz nicht fanden. Das Problem war nur: Die Zollbehörden in den skandinavischen Ländern waren auch nicht auf den Kopf gefallen. Die Beamten der Swaten Gang (Schwarze Gang = Zollbeamte, die ein Schiff nach verbotenen Schmuggelwaren durchsuchen) waren meistens ehemalige zur See gefahrenen Schiffsmaschineningenieure, die jeden Maschinenraum aus dem „FF“ kannten, desgleichen die Unterkünfte der Besatzung sowie den gesamten Schiffskörper von vorn bis achtern. Diese Herren kannten also die „schwarzen Schwäne“ der Ostsee. Und Fritz von Busch stand wie viele andere Kümokapitäne ganz oben auf der schwarzen Liste der skandinavischen Zollbehörden.

      Auch dieses Mal bekam der Schiffsmakler für den schwedischen Kollegen in Gävle das obligatorische ETA ausgehändigt. ETA hat nichts mit der baskischen Terrororganisation zu tun. Es bedeutet schlicht und einfach „Estimated Time of Arrival“ in Gävle, zu Deutsch „geschätzte Ankunftszeit“.

      Da die Distanz von Stettin bis Gävle genau 506 Seemeilen beträgt, würde die Reise bei einer optimalen Fahrt von 10 Knoten pro Stunde bei gutem Wetter 51 Stunden oder 2 Tage und 3 Stunden dauern. Der Gävleer Schiffsmakler hatte jetzt genügend Zeit, den Liegeplatz des Schiffes zu organisieren, die Stauerei, den Empfänger, den Zoll und die Einklarierungsbehörde auf die Ankunftszeit des Schiffes vorzubereiten.

      Doch noch waren wir in Stettin. Nachdem die Ausklarierung abgeschlossen und der Lotse an Bord gekommen war, wurde nur noch das Brückendeck, Backbord und Steuerbordseite, das Peildeck und vorkante Steuerhaus die Front und die Fenster abgewaschen. Als wir damit endlich fertig waren, hieß es: „Klar vorn und achtern!“ Die Hauptmaschine wurde angeschmissen, ein Hafenschlepper machte vorn an Stb-Seite fest, und dann kam der Befehl „Alle Leinen los!“ Schon törnte der Hafenschlepper vorsichtig ein, zog uns vom Kai ab und drehte uns im Hafenbecken. Und nachdem er uns auf Auslaufkurs gewendet hatte, hieß es: „Schlepperleine los!“, und wir fuhren unter Lotsenberatung langsam in Richtung Stettiner Haff, auf der Swina und durch Swinemünde bis zur Mündung in die Ostsee. In der Zwischenzeit waren von unseren Jan Maaten die restlichen achteren Aufbauten und das Hauptdeck gewaschen worden. Die ACHILLES sah wieder einiger Maßen sauber aus.

      Unser Kurs und Ziel war die südöstliche Küste Schwedens, dann zwischen Öland und dem Festland hindurch bis zu den Stockholmer Schären. Vor uns lag die Nacht.

      Während ich in der Kombüse noch Backschaft machte, kam der 1. Steuermann vorbei und erklärte mir, was am nächsten Tag auf dem Speiseplan stand. Irgendetwas, das ich sogar kapierte und sogar schon erledigen konnte. Es sollte frische Suppe mit viel Gemüse und Kartoffeln und ein großes Stück Bauchfleisch geben. Am nächsten Morgen sollte ich mir dann noch die Zutaten bei ihm abholen, denn er war der „Speckschneider“, der Herrscher über den Proviantraum. Vor dem Zur-Koje-gehen musste ich aber erst noch Kleinholz und Papier


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