Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
Читать онлайн книгу.Und sonsten ist ein Fiedler da, der in der Ofenecke den Ellbogen tanzen läßt, während dieses Wesen als Musik nur die Schreie der Lummen hatte. Und die Dirnen waren junge Dinger, denen das rote Blut in den Adern brannte und sang, aber das hier war ein dicker, plumper, feister Mann, hoch in den Jahren. Sagt, was Ihr wollt, ich muß aussprechen, was meine Meinung ist. Freude war's, die in des Unwesens Herzen lebte: die Freude der Hölle vielleicht; aber doch Freude. Wie oft hab ich mich gefragt, weshalb Hexen und Zauberer ihre Seelen (als da sind ihr kostbarstes Gut) verkaufen und alte, gebrechliche, runzlige Weiber oder greise, bresthafte, saft- und kraftlose Männer bleiben, und jedesmal mußte ich dabei an Tod Lapraik denken, der ganz allein in dem Jubel seines schwarzen Herzens die Stunden vertanzte. Ohne Zweifel, sie müssen dafür in der tiefsten Hölle braten, aber hier oben freuen sie sich ihres Lebens – solange es dauert – Gott verzeih mir's! Na, endlich sehen wir die winzige Flagge draußen auf den Felsen im Hafen am Maste hochgehen. Auf das hatte Sandie gewartet. Im Handumdrehen hatte er die Flinte heraus, zielte sehr sorgfältig und drückte ab. Der Schuß krachte, und von der Insel kam ein jämmerlicher Schrei. Und wir saßen da und rieben uns die Augen und starrten uns an wie Menschen, die den Verstand verloren haben. Denn mit dem Krach und dem Schrei war das Ding vom Erdboden verschwunden. Die Sonne schien, und der Wind blies, aber da war der leere Platz, wo das Wunder noch vor einer Sekunde gehüpft und gesprungen war. Den ganzen Rückweg schrie und brüllte ich vor Schreck über diesen Richtspruch des Himmels. Den Erwachsenen ging es auch nicht viel besser; in Sandies Boot kam wenig über unsere Lippen, außer dem Namen Gottes, und als wir die Mole erreichten, war der ganze Landungsplatz schwarz von Menschen, die auf uns warteten. Es scheint, sie hatten Lapraik in einer seiner Ohnmachten gefunden, wie er das Schiffchen führte und vor sich hinlächelte, und hatten einen Burschen geschickt, um die Flagge zu hissen, während sie alle in des Webers Haus blieben. Ihr könnt Euch denken, daß ihnen dabei nicht wohl zumute war, aber manchen von denen, die dort leise beteten (denn keiner hatte Lust, es laut zu tun) und dabei das schreckliche Etwas, das das Schiffchen führte, vor Augen hatten, wurde es ein Mittel zur Bekehrung. Da, plötzlich, sprang Tod mit einem fürchterlichen Schrei von seinem Sitz auf und fiel als blutige Leiche auf das Gewirk. Als die Leiche untersucht wurde, sah man, die Bleikugeln waren von des Zauberers Körper abgeprallt; man fand auch nicht einen Tropfen Blei, aber meines Großvaters silbernes Sixpencestück stak tief in seinem falschen Herzen.« Andie hatte kaum geendet, da ereignete sich ein äußerst törichter Vorfall, der seine Folgen hatte. Neil war, wie gesagt, selbst ein großer Geschichtenerzähler. Später erfuhr ich, er wisse sämtliche Sagen des Hochlandes, und er selbst und auch andere seien nicht wenig stolz darauf. Jetzt erinnerte ihn Andies Geschichte an eine, die er kannte. »Ich haben die Geschichte schon mal gehört«, sagte er »Sie war die Geschichte von Uistean More M'Gillie Phadrig und dem Gavar Vore.« »Den Teufel war es das«, rief Andie. »Es ist die Geschichte meines Vaters (Gott hab ihn selig) und Tod Lapraiks. Das behaupte ich Euch glatt ins Gesicht,« setzte er hinzu, »und haltet in Zukunft Euer loses Hochlandsmaul.« Der Umgang mit Hochländern ist, wie man ersehen wird, und wie auch die Geschichte beweist, für Tiefländer von Rang sehr leicht, für die Plebs aus dem Flachland dagegen fast unmöglich. Es war mir längst aufgefallen, daß Andie mit unseren drei McGregors ständig auf Kriegsfuß lebte, und jetzt kam es tatsächlich zu einem offenen Streit. »Das sind keine Worte nicht zu Shentlemans«, brach Neil los. »Shentlemans!« schrie Andie. »Shentlemans, du hochländischer Ochs! Wenn Gott dir die Gnade schenkte, dich einmal selbst zu sehen, wie andere dich sehen – du kämst herunter von deinem Roß!«
Neil entfuhr eine Art gälischer Fluch; im selben Augenblick blitzte das schwarze Messer in seiner Hand. Zeit zum Denken gab es nicht; ich packte den Hochländer am Bein und hatte ihn hingeworfen und die ausgestreckte Hand mit der Waffe am Boden festgenagelt, ehe ich noch wußte, was ich tat. Seine Kameraden sprangen ihm zu Hilfe, Andie und ich waren ohne Waffen und zwei Mann gegen drei. Wir schienen rettungslos verloren, als Neil in seiner Muttersprache aufschrie und den anderen befahl, abzulassen, worauf er in der demütigsten, hündischsten Art mir seine Unterwerfung anbot und mir sogar sein Messer aushändigte, das ich ihm jedoch nach einer Wiederholung seines Versprechens am nächsten Tage zurückgab. Zwei Dinge gingen aus alledem klar hervor: erstens, daß ich nicht allzu fest auf Andie bauen durfte, der sich, bleich wie der Tod, gegen die Wand gekauert hatte, bis der Handel vorüber war; zweitens, daß ich mich den Hochländern gegenüber, die strenge Weisung haben mußten, mein Leben zu schonen, in einer sehr starken Position befand. Allein obwohl ich nicht viel von Andies Mut zu halten vermochte, konnte ich mich über Mangel an Dankbarkeit nicht beklagen. Er verfolgte mich weniger mit Dankesbezeigungen, als daß seine ganze Stellungnahme zu mir, innerlich wie äußerlich, anders schien, und da er von nun an große Scheu vor seinen Gefährten hatte, waren er und ich mehr denn je aufeinander angewiesen.
Sechzehntes Kapitel Der fehlende Zeuge
Am 16., dem Tage meines Stelldicheins mit dem Anwalt, haderte ich heftig mit dem Schicksal. Der Gedanke, wie er in den »King's Arms« vergeblich auf mich wartete, und was er wohl von mir dächte, und was er sagen würde, wenn wir uns wiedersahen, quälte und drückte mich. Die Wahrheit war unglaubhaft, das mußte ich zugeben, und es schien grausam hart, als Lügner und Feigling dastehen zu müssen, ohne daß ich es je bewußt an dem, was in meiner Macht stand, hatte fehlen lassen. Diese Formel wiederholte ich mir immer wieder mit einer Art bitterem Gusto und prüfte noch einmal in jenem Licht die einzelnen Schritte meines Verhaltens. Mir schien, ich hatte mich James Stuart gegenüber wie ein Bruder benommen; die ganze Vergangenheit bot ein Bild, auf das ich stolz sein konnte; also galt es nur noch, mich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Ich konnte zwar weder das Meer durchschwimmen noch die Luft durchfliegen, aber da war ja noch Andie. Ich hatte ihm einen Dienst erwiesen, er hatte mich gern; hier war ein Hebel, den ich ansetzen konnte; der schiere Anstand gebot, daß ich es noch einmal mit Andie versuchte. Es war spät am Nachmittag. Totenstille herrschte auf Baß, unterbrochen nur von dem Plätschern und Gurgeln einer sehr ruhigen See, und meine vier Gefährten hatten sich alle zurückgezogen, die drei McGregors den Abhang hinauf, Andie mit seiner Bibel an einen sonnigen Platz unter den Ruinen. Dort fand ich ihn fest eingeschlafen und brachte meine Bitte, sowie er wach war, mit ziemlicher Inbrunst und eindringlicher Logik vor.
»Wüßte ich nur, ob es für Euch gut ist, Shaw!« bemerkte er und starrte mich über seine Brillengläser an. »Es geschieht, um einen anderen zu retten,« entgegnete ich, »und um mein Wort einzulösen. Gibt es etwas Besseres? Habt Ihr die Heilige Schrift vergessen, Andie, und haltet doch die Bibel auf dem Schoß? Was hülfe es ihm, wenn er die ganze Welt gewönne!« »Ja,« sagte er, »für Euch ist das recht schön und gut. Aber wo bleibe ich derweil? Ich hab genau wie Ihr mein Wort einzulösen. Und was verlangt Ihr anders, als daß ich's Euch gegen Geld verkaufe?«
»Andie! Habe ich das Wort Geld gebraucht?« rief ich. »Bah! Das Wort hat nichts zu sagen,« erwiderte er, »das Zeugs steckt doch dahinter. Ich will Euch sagen, worauf es hinauskommt: erweis ich Euch den Dienst, den Ihr verlangt, so verlier ich meine Stellung. 'S ist klar, daß Ihr in dem Fall für mich aufkommen müßt und mir, so um der Ehre willen, noch was draufzahlen werdet. Und ist das etwa keine Bestechung? Und wenn mir die wenigstens sicher wäre! Aber soviel ich weiß, ist sie das durchaus nicht. Wenn Ihr nun hängen müßt, was wird dann aus mir? Nein! die Sache ist unmöglich. Also seid ein guter Junge und laßt Andie in Ruhe sein Kapitel lesen.«
Ich weiß, im Grunde meines Herzens war ich von diesem Ergebnis sehr befriedigt; die Folge war, daß ich in eine Stimmung – fast hätte ich gesagt – von Dankbarkeit verfiel, Dankbarkeit gegen Prestongrange, der mich auf diese gewaltsame, ungesetzliche Art aus all meinen Gefahren, Versuchungen und Verwicklungen herausgerissen hatte. Aber diese Selbstlüge war allzu feige und fadenscheinig, um zu dauern, und die Erinnerung an James begann von neuem von mir Besitz zu ergreifen. Den 21., den Tag, der für die Verhandlung angesetzt war, verbrachte ich in solcher Seelenqual, wie ich sie, meines Wissens nach nur noch auf der Insel Earraid erduldet habe. Die meiste Zeit lag ich in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachen irgendwo auf einem Hügel ausgestreckt, äußerlich regungslos, innerlich von aufrührerischen Gedanken zerrissen. Mitunter schlief ich tatsächlich ein; aber der Gerichtssaal von Inverary und der Gefangene, der sich in allen Winkeln nach seinem fehlenden Zeugen umschaute, verfolgten mich bis in meine Träume; und ich fuhr aus dem Schlafe auf, mein Körper wie zerschlagen, meine Seele von Verzweiflung umnachtet. Ich glaubte zu bemerken, daß Andie mich