Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
Читать онлайн книгу.Doch einige meiner neuen Freunde unter der Anwaltschaft fühlten sich noch mehr vor den Kopf gestoßen durch einen neuen Brauch, der diesen Prozeß verunglimpfte, wenn nicht gar schändete. Der eine Zeuge wurde niemals aufgerufen. Zwar stand sein Name auf der vierten Seite der Zeugenliste, wo er auch heute noch zu finden ist, als »James Drummond, alias MacGregor, alias James More, weiland Pächter auf Inveronachile«, und sein Vorverhör war, der Sitte gemäß, protokolliert. Er hatte darin Material beigebracht oder erdichtet, (Gott helfe ihm), das, wie ich erkannte, Blei in James' Schuhe goß, während es seinen eigenen Schwingen anheftete. Nun war es zwar äußerst wünschenswert, diese Aussagen der Jury zu unterbreiten, jedoch ohne den Zeugen selbst der Gefahr eines Kreuzverhörs auszusetzen; und der Ausweg, den man wählte, bot allen die größte Überraschung. Das Schriftstück wurde (gleich einer Kuriosität) von Hand zu Hand weitergegeben, wanderte zur Geschworenenbank, wo es seine Arbeit verrichtete, und verschwand wieder (wie zufällig), ehe es die Rechtsbeistände des Gefangenen erreichte. Diese Machenschaft wurde als besonders hinterlistig angesehen; und daß mit ihr der Name James More verknüpft war, füllte mich mit Scham für Catriona und mit Sorge um mich selbst. Am folgenden Tage brachen Prestongrange und ich, begleitet von einem ziemlich großen Anhang, nach Glasgow auf, wo wir uns (ganz gegen meinen Willen) teils in Geschäften, teils zum Vergnügen ziemlich lange aufhielten. Ich wohnte zusammen mit Mylord und wurde zu intimem, persönlichem Umgang herangezogen. Ich war zu allen Gesellschaften eingeladen und wurde den wichtigsten Gästen vorgestellt, kurz, wurde hofiert in einem Maße, wie esweder meinen Verdiensten noch meinem Range entsprach, so daß ich oft in Gegenwart von Fremden für Prestongrange errötete. Ich muß gestehen, die Weltanschauung, die ich mir in den letzten Monaten gebildet hatte, drohte mich melancholisch zumachen. Vielen war ich begegnet, die durch Geburt oder Talent den Edelsten der Nation angehörten; und wer von ihnen allen hatte reine Hände gehabt? Was die Browns und Millers anbetraf, so hatte ich sie derart streberisch gefunden, daß ich sie nicht länger zu achten vermochte. Prestongrange war von allen noch der Beste; er hatte mich gerettet oder verschont, wo andere geplant hatten mich kaltblütig zu ermorden. Allein, an seinen Händen klebte das Blut James', und ich fand seine Verstellung bezüglich meiner Person unverzeihlich. Daß er an meiner Unterhaltung Freude zu haben vorgab, ging fast über meine Geduld. Ich saß dann da und beobachtete ihn, während in meinem Innern eine Art langsamen Feuers schwelte. »Ach Freundchen, Freundchen,« dachte ich im Stillen, »hättest du dich erst durch diese Memorialaffäre durchgewunden, mit einem Fußtritt flöge ich auf die Straße.« Darin tat ich ihm, wie spätere Ereignisse zeigten, schweres Unrecht; ich glaube vielmehr, er war gleichzeitig weit aufrichtiger und ein viel geschickterer Schauspieler, als ich vermutete. Doch ein Teil meines Mißtrauens wurde durch das Benehmen einer Korona von jungen Anwälten gerechtfertigt, die den Lord Staatsanwalt in der Hoffnung auf Protektion umschwärmten. Die plötzliche Gunst, zu der ein junger Bursche ausrückte, von dem sie früher nie gehört hatten, stürzte sie in Unruhe. Keine zwei Tage waren vergangen, da sah ich mich plötzlich mit Schmeicheleien und Aufmerksamkeiten überschüttet. Ich war inzwischen weder besser noch hübscher geworden, ja, war immer noch derselbe junge Mann, dem sie vor einem Monat die kalte Schulter gezeigt hatten, und jetzt war keine Artigkeit für mich zu gut! Derselbe, sage ich? Durchaus nicht; das bestätigte mir der Spitzname, den sie mir hinter meinem Rücken gaben. Da sie mich in des Lord Staatsanwalts Gunst fest verankert fanden und überzeugt waren, ich würde noch weit und hoch fliegen, wählten sie eine Bezeichnung aus der Golfsprache und nannten mich »den Schwungball«. Sie erklärten mir, jetzt sei ich »einer von ihnen«; ich, der ich ihre rauhe Schale gespürt hatte, sollte jetzt den süßen Kern kosten. Ja, ein junger Mann, dem ich in Hope Park vorgestellt worden war, besaß die Unverfrorenheit, mich an jene Zusammenkunft zu gemahnen. Ich sagte ihm, ich hätte nicht das Vergnügen, mich daran erinnern zu können. »Aber Miß Grant hat mich Euch persönlich vorgestellt«, protestierte er. »Mein Name lautet Soundso.« »Ich will es Euch gern glauben, Sir«, entgegnete ich; »leider habe ich es jedoch vergessen.«
Da ließ er mich in Ruhe, und ich empfand inmitten des Ekels, der mich gemeinhin zu ersticken drohte, so etwas wie Freude. Allein ich habe nicht die Langmut, bei jener Zeit zu verweilen. Befand ich mich in Gesellschaft dieser jungen Diplomaten, so überwältigten mich Scham über mich selbst und mein ungehobeltes Wesen und Verachtung ihrer Doppelzüngigkeit. Von beiden Übeln hielt ich Prestongrange für das geringere, und ob ich auch den jungen Modeherren stets eine stocksteife Front präsentierte, verbarg ich doch so ziemlich meine bitteren Gefühle gegen den Lord Staatsanwalt und war (um mit Mr. Campbell zu reden) dem »Herrn des Hauses gegenüber gefügig«. Prestongrange selbst stellte mich des Unterschiedes wegen zur Rede und forderte mich auf, mich meinem Alter entsprechend zu benehmen und mit meinen jungen Kameraden Freundschaft zu schließen.
Ich sagte ihm, daß ich mich nur schwer jemandem anschlösse. »Ich nehme das Wort zurück«, erwiderte er. »Es gibt auch so etwas wie ›Schön guten Abend und guten Tag‹, Mr. David. Das sind hier die nämlichen jungen Männer, an deren Seite Ihr Eure Tage verbringen und Euch durchs Leben schlagen sollt. Eure Zurückhaltung schmeckt nach Arroganz, und ich fürchte, Ihr werdet auf Eurem Wege Schwierigkeiten begegnen, wenn Ihr nicht ein wenig mehr Schmiegsamkeit annehmt.« »Es ist ein undankbar Geschäft, aus einem Schweinsohr eine seidene Börse schneidern wollen«, lautete meine Antwort. Am Morgen des 1. Oktober wurde ich durch das Pferdegetrappel eines reitenden Boten aus dem Schlafe geschreckt; fast noch ehe er abgesessen hatte, stand ich schon am Fenster und erkannte, daß der Mann scharf geritten war. Später wurde ich zu Prestongrange befohlen, der in Schlafrock und Nachtmütze vor einem Haufen Briefe saß. »Mr. David,« sagte er, »ich habe für Euch Neuigkeiten. Sie betreffen Freunde von Euch, derer Ihr Euch, wie ich manchmal glaube, ein wenig schämt, denn Ihr habt niemals ihre Existenz erwähnt.«
Ich errötete vermutlich. »Ich sehe, Ihr habt mich verstanden; Ihr gebt das richtige Antwortsignal. Übrigens mein Kompliment – Ihr versteht Euch vortrefflich auf Frauenschönheit. Wißt Ihr jedoch, Mr. David, daß wir es anscheinend mit einem höchst unternehmungslustigen jungen Frauenzimmer zu tun haben? Sie kommt uns von allen Seiten in die Quere. Die Regierung von Schottland weiß, wie es scheint, dank der Jungfer Katharina Drummond weder ein noch aus, ganz wie es (vor kurzem erst) mit einem gewissen Mr. David Balfour der Fall war. Würden die beiden nicht ein passendes Paar abgeben? Des Fräuleins erster Eingriff in die Politik – aber ich darf jene Geschichte nicht verraten; die Behörden haben beschlossen, sie Euch durch einen anderen, lebhafteren Berichterstatter wissen zu lassen. Dieser neue Fall ist indes schwerwiegender, und ich fürchte, ich muß Euch durch die Nachricht beunruhigen, daß das Fräulein sich zur Zeit im Gefängnis befindet.«
Ich schrie auf. »Ja,« bestätigte er, »das kleine Fräulein sitzt im Gefängnis. Aber Ihr braucht deswegen nicht zu verzweifeln. Wenn Ihr (samt Euren Freunden und Eurem Memorial) nicht meinen Sturz herbeiführt, wird ihr kein Leid geschehen.« »Was hat sie getan? Welches ist ihr Vergehen?« rief ich.
»Hm – man könnte es fast als Hochverrat bezeichnen,« antwortete er, »sie ist in das Königliche Schloß von Edinburgh eingebrochen.«
»Ich – bin von Herzen – der Dame Freund«, sagte ich. »Ich weiß; Ihr würdet meiner nicht spotten, wäre die Sache ernst.« »Und doch ist sie das in gewissem Sinne,« entgegnete er, »denn diese Schelmin Katharina oder Katrin, wie wir sie ruhig nennen dürfen – hat jene höchst zweifelhafte Persönlichkeit, ihren Herrn Papa, von neuem gegen die Welt losgelassen.«
Also war eine meiner Vermutungen Wahrheit geworden: James More hatte die Freiheit wiedererlangt. Er hatte seine Leute hergegeben, um mich gefangenzuhalten; er hatte in der Appiner Mordsache sein Zeugnis angeboten, und das Zeugnis war (einerlei durch welche Schliche) dazu benutzt worden, die Jury zu beeinflussen. Seine Belohnung war fällig – er wurde freigelassen. Mochten die Behörden der Affäre das Mäntelchen einer Flucht umhängen – ich wußte es besser; ich wußte, das Ganze war nur die Erfüllung eines Paktes. Dieser Gedankengang nahm mir auch den letzten Rest Sorge um Catriona. Mochte man ruhig glauben, sie sei in ihres Vaters Gefängnis eingebrochen; mochte sie es ruhig selbst glauben. Die führende Hand in dieser Sache war die Hand Prestongranges, und ich war überzeugt, er würde es nicht einmal zu einer Gerichtsverhandlung, geschweige denn zu einer Verurteilung kommen lassen, worauf mir sogleich der nicht sehr diplomatische Ruf entschlüpfte:
»A! Das hatte ich erwartet!« »Und doch leidet Ihr