Die Renegatin. Josef Hahn

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Die Renegatin - Josef Hahn


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überwacht. Diese waren am Zellenplafond so montiert, dass sie keine Ecke und keinen Winkel übersahen. Überwacht ebenfalls vom Kontrollraum. Tag und Nacht. 24 Stunden!

      Es gab auch keine Sitzgelegenheit. Wenn das Bett hochgeklappt war, konnte man nur am Boden sitzen. Tag und Nacht erhellten die starken Neonlampen den Raum.

      Was für eine Vergeudung und wozu, dachte sich Rita. Hier wird Strom so sinnlos verschwendet. In einigen Landesteilen gab es dafür noch überhaupt keine elektrische Energie.

      Der Schock über ihre Abholung hatte sich mittlerweile etwas gelegt. Ihr Nervenkostüm hatte sich beruhigt. Sie hielt das Ganze ja ohnehin für einen Irrtum, der sich am Morgen aufklären würde.

      Ein in Plastik eingeschweißter weißer Zettel, der an der Zellentür hing, fiel ihr jetzt auf. Sie trat näher und las den folgenden Text:

       SIE SIND HIER, WEIL GEGEN SIE DER VERDACHT BESTEHT, SICH IN TATEN ODER WORTEN SYSTEMKONTRÄR VERHALTEN ZU HABEN.

       EINE KORREKTE UNTERSUCHUNG WIRD IHRE SCHULD ODER UNSCHULD FESTSTELLEN.

       SOLANGE IHRE UNTERSUCHUNG WÄHRT, HABEN SIE ABSOLUTES REDEVERBOT GEGENÜBER ALLE ANDEREN ZU BEACHTEN.

       EINE SPRECHERLAUBNIS WIRD IHNEN IN EINZELFÄLLEN GESONDERT ERTEILT.

       BEFOLGEN SIE UNBEDINGT DIE ANORDNUNGEN DES PERSONALS.

       DIE KAMERAS IM RAUM SIND ZU IHRER SICHERHEIT TAG UND NACHT IN BETRIEB.

       EIN ZUWIDERHANDELN GEGEN DIESE ANORDNUNGEN HAT ERNSTHAFTE KONSEQUENZEN FÜR SIE ZUR FOLGE.

       WIR WÜNSCHEN IHNEN EINEN ANGENEHMEN AUFENTHALT.

      Der letzte Satz kam ihr wie blanker Hohn vor.

      Wie, wo und wann hätte ich mich denn systemkonträr verhalten, geisterte es nun bei Rita im Kopf herum. Ihr fiel absolut nichts ein.

      Aber doch, ein unbestimmtes Gefühl von Schuld ergriff von ihr auf einmal Besitz. Hatte sie vielleicht nicht doch? Unbewusst? Irgendwann?

      Wie sonderbar ist es doch mit einigen Menschen? Äußert irgendwer eine negative Vermutung ihnen gegenüber, so erzeugt das gleich ein Gefühl von Unbehaglichkeit. Auch wenn diese Vermutung gar nicht der Wahrheit entspricht.

      So ein Mensch war auch Rita.

      Die Tür zur Zelle ging lautlos auf. Herein kam ein Aufsichtsorgan und mit ihm eine andere Inhaftierte mit einer großen Schere in ihrer Hand. Sie nötigten sie, sich auf das Bett zu setzen und dann begann sie mit der Schere ihr die Haare abzuschneiden. Ihre langen roten Locken auf die sie immer so stolz war fielen zu Boden.

      Warum denn das, erschrak sie? Regungslos stand das Aufsichtsorgan neben ihr und sah der Haareschneiderin zu. Sie kürzte ihr die Haare auf etwa fünf Zentimeter.

      In dem Augenblick war Rita froh, über keinen Spiegel zu verfügen. Sie hätte ihren Anblick nicht ertragen können.

      Abschließend nötigten sie Rita noch ihr Nachtgewand auszuziehen und gaben ihr stattdessen einen – natürlich weißen – Overall. Den musste sie anziehen. Unterwäsche dazu gab es nicht.

      Das männliche Aufsichtsorgan sah ihr ungeniert beim Umziehen zu. Allerdings, ohne irgendeine Reaktion zu zeigen. Rita schämte sich entsetzlich. Wo war sie da nur hineingeraten?

      Ohne ein Wort zu sagen, verließen sie die Beiden. Die Zellentür schloss geräuschlos. Rita war wieder allein.

      Die Neonlampen strahlten in blendendem Weiß und die Kameras an der Decke verfolgten jede ihrer Bewegungen. Sie würden es also auch sehen, wenn sie die Toilette benützte. Ihr schauderte bei dem Gedanken.

      Konnte es was Demütigenderes geben?

      Die Menschen - die meisten halt - mögen es doch absolut nicht, wenn man ihnen bei gewissen intimen Verrichtungen zusieht.

      Es war totenstill.

      Der alte Nietzsche2 kam ihr ins Gedächtnis: „Für den sehr Einsamen ist schon Lärm ein Trost.

      Stille kann so laut sein, dachte sie.

      Jetzt erst kamen ihr zum ersten Mal die Tränen und immer wieder die Frage nach dem Warum.

      ●●●

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