Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern. Christian Springer
Читать онлайн книгу.mit Echo aus La pietra del paragone des Maestro Rossini, gesungen von Signora Bianchi und ausgeführt von Paganini.
Sonate für großes Orchester.
Larghetto und kleine Polonaise mit Variationen, ausgeführt von Paganini.
Zwar kann man rekonstruieren, dass es sich beim Programmpunkt 3 um Paganinis Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 handelte, von dem dieser oft nur den ersten Satz spielte, doch sind Autoren und Werke der Programmpunkte 1, 4, 6, 7, 9 und 10 nicht eruierbar. Da von der Presse schon den Programminformationen so geringe Bedeutung zugemessen wurde, kann man sich unschwer vorstellen, dass sich Zeitungsleser wohl oder übel mit Berichten wie dem folgenden zufriedengaben:
Die Violine Paganinis, die über die Menschen solch eine magische Macht ausübt, hat keine Gewalt über das Wetter, das den ganzen Tag und besonders gestern sehr schlecht war. Aber was macht das schon! Das Verlangen, ihn zu hören, war so stark, dass trotz des strömenden Regens der Zulauf gewaltig war; wunderschöne Damen schmückten alle Logen; und bereits lange bevor es beginnen sollte, blieb im Parkett kein Platz mehr frei. Paganini erschien. Seine ersten Töne erregten Bewunderung und Erstaunen, auf diese folgte Begeisterung, und der Saal hallte wider vom Beifall.{11}
Was hätte man über Paganini Spielweise, seine Phrasierungen, seine Griff- und Bogentechnik sowie seine Scordatura-Tricks nicht alles berichten können, wären kompetente Kritiker am Werk gewesen!
In Frankreich (Paris galt zu Verdis Zeit als das musikalische Zentrum Europas) wurden Verdis Opern fast ausschließlich{12} in französischen Übersetzungen und Adaptierungen aufgeführt. Jérusalem kam in Paris als Umarbeitung und teilweise Neufassung der Lombardi heraus, Macbeth in Form einer Revision, Les Vêpres siciliennes und Don Carlos wurden in französischer Sprache eigens für Paris komponiert. Selbst Otello und Falstaff erschienen in französischen Übersetzungen (bei denen allerdings der Librettist Arrigo Boito die Hand federführend im Spiel hatte), wobei für ersteren die vom Pariser Publikum gewünschten Balletteinlagen nachkomponiert wurden. Es ist daher nicht weiter überraschend, dass etliche von Verdis „französischen“ Opern trotz aller formalen Konzessionen an den Pariser Geschmack aufgrund des leichten Hanges der Franzosen zum Chauvinismus als Arbeiten eines Ausländers, dem das Wesen der französischen Musik und des französischen Geschmacks zwangsläufig fremd sein mußte, zwiespältig bis ablehnend aufgenommen wurden. Berühmtheit erlangt haben Äußerungen wie jene von Georges Bizet, der über den Don Carlos befand:
Verdi ist kein Italiener mehr. Er macht Wagner. Er hat nicht mehr seine bekannten Fehler, aber auch nicht einmal mehr eine einzige seiner guten Eigenschaften. Die Schlacht ist für ihn verloren, und seine Oper liegt nunmehr im Todeskampf – in einer Agonie, die sie lediglich der Weltausstellung zu danken hat, die länger als normal dauert.{13}
Was hätte der sechs Jahre nach dieser Äußerung im Alter von weniger als siebenunddreißig Jahren verstorbene Bizet wohl über Otello und Falstaff gesagt?
Obwohl die Stimmung ausländischen Komponisten gegenüber im deutschen Sprachraum etwas offener als in Frankreich war, wurde hier wie auch in Italien die Verdi-Rezeption vor allem durch die enorme Publikumsbegeisterung bestimmt und weniger durch Publikationen der Musikkritik und Musikwissenschaft. Es drängt sich wohl oder übel der Eindruck auf, dass sich deren Vertreter nur äußerst widerwillig zu einer Beschäftigung mit dem Thema Verdi herbeiließen. Dies ist vor allem dadurch erklärbar, dass – wie anhand des Beispiels Hanslick zu zeigen sein wird – als Beurteilungskriterium für italienische Opern das spezifisch deutsche instrumentale Musikverständnis{14} herangezogen wurde.
Gerüchteweise und äußerst vage war in Italien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bisweilen von einer nur wenigen Fachleuten bekannten rabiaten Kritikerzelebrität, die in Wien publizierte, die Rede. Es handelte sich dabei um Dr. Eduard Hanslick, einen einschlägig vorgebildeten Musikexperten und Ordinarius für Geschichte und Ästhetik der Musik an der Universität Wien, der seine Kritiken nach eigener Aussage für ein musikalisch hochgebildetes Publikum schrieb, das „einem künstlichen Gewebe von harmonischen und kontrapunktischen Verschlingungen zu folgen liebt“ und der die Musikkritik nicht nur in Wien, sondern im gesamten deutschen Sprachraum trotz seiner heftigen Abneigung gegen Größen wie Liszt, Wagner oder Bruckner dominierte. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war der Bekanntheitsgrad von Hanslicks Verdi-Kritiken in Italien verschwindend gering, was auch einen Schluß auf die geringe Wertschätzung zuläßt, die ihnen in Italien entgegengebracht wurden. Die Kenntnis dieser Texte war auf so wenige Experten beschränkt, dass der Musikwissenschafter Massimo Mila noch 1951, anläßlich der Gedenkfeiern zum 50. Todestag Verdis, noch unwidersprochen schreiben konnte:
Es ist wenig bekannt, daß trotz all diesem Elend auf dem Gebiet der Kritik [in Italien] die Musik Verdis im vergangenen Jahrhundert doch auch von einem bedeutenden Kritiker – allerdings nicht in Italien – beurteilt wurde, nämlich Eduard Hanslick, dem Autor jener kleinen Abhandlung Vom Musikalisch-Schönen, die der bekannteste Beitrag ist, den die Musik[kritik] zur Ästhetik geleistet hat, jenem unversöhnlichen Gegner der Kunst Wagners, dem Paladin der Brahms’schen Klassik.{15}
Milas Text ist zu entnehmen, dass er Hanslicks Beurteilungen von Verdis Opern nicht kannte. Er hätte sich sonst ganz anders geäußert.
Wie die Begegnung des Kritikers Hanslick (der mit dem Komponisten zwei Mal zusammentraf) mit der Musik Verdis im Detail aussah, soll in der Folge dargestellt werden. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass die – wie zu sehen sein wird – nicht nur überhebliche, sondern fast durchgängig irrige Haltung Hanslicks Verdi und dessen italienischen Kollegen gegenüber hier aus dem Blickwinkel der italienischen „Musikbolde“ (© Eduard Hanslick) betrachtet wird.
VERDIS WIEN-DEBUT IM SPIEGEL DER KRITIK
In der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien wurden im Laufe der Jahrzehnte nach Verdis Wien-Debut (1843) fast alle seiner Opern aufgeführt, manche davon schon sehr bald nach ihrer Uraufführung.{16} Die Rezeption von Verdis Opern durch das Publikum spiegelt sich in den zeitgenössischen Werk- und Aufführungskritiken allerdings nur undeutlich wider, weil viele Rezensenten politischen, d.h. deutschnationalen Vorurteilsfraktionen angehörten und in ihren Kritiken weit mehr über ihre eigene sektiererische Engstirnigkeit als über das rezensierte Werk aussagten. Während das Publikum, wie an den Aufführungszahlen abzulesen ist, Neuheiten begeistert besuchte und Verdis Wien-Visite im Juni 1875 dem gefeierten Staatsbesuch eines beliebten Monarchen gleichkam, verhielt sich die Kritik den Arbeiten des Komponisten gegenüber vielfach zwiespältig bis ablehnend.
Für Verdi bedeutete sein Wien-Besuch im April 1843 eine doppelte Premiere. Es war seine erste Auslandsreise überhaupt, und der von Gaetano Donizetti einstudierte und von Verdi zweimal dirigierte Nabucco war die erste außerhalb Italiens aufgeführte Verdi-Oper. Mangels Technologien für die Aufnahme und Wiedergabe von Musik bedeutete dies auch die erste Begegnung von Wiener Publikum und Kritik mit einer Oper des hierzulande bislang unbekannten jungen Komponisten.
Giuseppe Verdi zur Zeit seines ersten Wien-Besuchs
Einige Zeitungsberichte über Verdis Wien-Debut sollen zeigen, wie unterschiedlich die Sichtweisen der Kritiker waren. Sie seien Eduard Hanslicks Urteil über den Nabucco ...
Die Oper machte sehr geringe Wirkung. Nur die Italianissimi im Publicum wagten es, ihr Wohlgefallen zu bekennen; die Kritik brandmarkte die Geistlosigkeit und Trivialität dieser Musik und protestirte damals noch gegen den entferntesten Vergleich Verdi’s mit Donizetti.“{17}
... gegenübergestellt. Ferdinand von Seyfried beispielsweise berichtet:
Diese Oper hat bei ihrem ersten Erscheinen in der vorjährigen Carnevalstagione im Theater alla Scala zu Mailand Furore gemacht und dem jungen Maestro schnell einen großen Ruf verschafft. Ich finde dieß bei der leichteren Erregbarkeit des italienischen Publicums recht gut erklärbar, zudem, als diese Musik im modernen Geschmack der neuitalienischen Schule – für welche die Bezeichnung „die lärmmachende“ vielleicht die beste wäre – gehalten ist. Ueberall wird tüchtig auf den Effekt losgearbeitet, und