Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May


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aus lauter Dankbarkeit das große Opfer bringen und dir alles lassen will.«

       »Danke! Ich mag nichts.«

       »Warum nicht?«

       »Ich sehe und rieche schon von weitem, daß es sauer ist.«

       »Das rieche ich nicht; aber es ist eine Schwabe drin ertrunken. Siehst du sie nicht?«

       »Ach, darum deine große, aufopferungsvolle Dankbarkeit?!«

       »Ja. Sogar die Schwabe wollte ich dir allein lassen. Komm, wollen gehen!«

       Wir banden unser Paket wieder zusammen und gingen; nach kurzer Zeit war Falkenau hinter

       uns verschwunden.

       Es hatte nicht, wie Franzl gestern abend meinte, die ganze Nacht hindurch geschneit, und so

       gab es für uns, wenigstens zunächst, eine ziemlich gut gebahnte Straße. Den ungefähr eine

       Meile weiten Weg bis nach Gossengrün legten wir in zwei Stunden zurück. Auf unsere

       Erkundigung dort erfuhren wir, allerdings erst nach langem und sorgfältigem Umherfragen,

       daß die Gesuchten gestern um die Mittagszeit hier angekommen und dann von einem

       mitleidigen Viehhändler in seinem Wagen mit nach Bleistadt genommen worden waren.

       Unser Weg ging also nun nach diesem Orte, den wir noch am Vormittage erreichten, obwohl

       der Schnee hier schon viel höher als in der Falkenauer Gegend lag.

       Bleistadt ist nicht groß; darum fanden wir das Schenkhaus sehr bald, in welchem der Händler

       mit seinem Schlitten angehalten hatte; ja, wir fanden ihn sogar selber, denn er hatte hier

       übernachtet und war frühzeitig nach Heinrichsgrün gefahren und soeben von da

       zurückgekommen. Er sagte uns, daß die Frau ein wahrer Engel an Aufmerksamkeit und

       Hingebung gegen ihren alten Vater sei, der aber wohl nicht mehr lange leben werde, denn er

       hatte sich selbst im Schlitten kaum auf dem engen Sitze aufrecht erhalten können. Von ihrer

       Einkehr bei Franzl hatte sie nichts gesagt.

       »Ich bin aus Graslitz,« fuhr er fort, »und hätte sie ganz gern bis dorthin mitgenommen, aber

       ich mußte hier bleiben, um heut nach Heinrichsgrün zu fahren und die nächste Nacht in

       Neukirchen zu bleiben. Als sie erfuhr, daß ich alle Leute in Graslitz kenne, fragte sie mich

       nach einem Instrumentenmacher, der mit ihrem Mann verwandt ist. Sie dachte, bei ihm

       bleiben zu können, weil sie ihn für wohlhabend hielt; leider konnte ich ihr da keine gute

       Auskunft geben, denn er war nur Gehilfe und wendete seinen ganzen Verdienst dem

       Branntwein zu. Wegen dieser seiner Trunksucht fand er nirgends mehr Arbeit und hat sich vor

       ungefähr einem Jahre auf und davon gemacht, wohin, das weiß ich nicht.«

       »Ist die Frau von hier weiter?«

       »Ja. Der Wirt wollte sie nicht umsonst behalten, und Geld hatte sie nicht; sie dachte,

       unterwegs eher und leichter gute, mitleidige Leute zu finden, und es ist auch wahr, daß

       einsam wohnende Menschen gastlicher sind als Bewohner von Orten, wo es Gasthäuser

       giebt.«

       »Da ihre Hoffnung auf den Verwandten nun zunichte ist, hat es eigentlich gar keinen Zweck

       mehr für sie, nach Graslitz zu gehen; sie ist aber wohl trotzdem hin?«

       »Ja.«

       »Auf dem gewöhnlichen Wege?«

       »Sie wollte sich immer an der Zwoda aufwärts halten; weiter weiß ich nichts. Es ist ein

       wahres Herzeleid, solche Leute zu sehen! Sie wollen sich nach Bremen durchbetteln; ob sie

       aber hinkommen, das weiß man nicht; der Alte auf keinen Fall; ich dachte jeden Augenblick,

       er werde mir im Schlitten sterben. Sie sprach davon, daß sie Schiffskarten hätte; aber wenn es

       so langsam weitergeht wie jetzt, werden die wohl abgelaufen sein, ehe sie benützt werden

       können.«

       Diese Bemerkung machte mich noch besorgter um die Frau, als ich bis jetzt gewesen war. Ich

       nahm, ohne dem Händler zu sagen, was es war, das Couvert aus der Tasche und öffnete es;

       ich glaubte nicht, ein Unrecht damit zu begehen. Richtig! Die bezahlten Schiffslegitimationen

       waren von einem New-Yorker Agenten des damals erst ein Jahr bestehenden Bremer Lloyd

       ausgestellt und die Fahrt war für die ersten Tage des Februar festgesetzt. Die Frau hatte das

       nicht lesen können, weil der Text englisch war.

       Wir machten uns wieder auf den Weg, welcher immer am Flüßchen aufwärts führte und

       ziemlich beschwerlich war, weil der Schnee stellenweise knietief lag. Überall wo es

       menschliche Wohnungen gab oder wenn uns jemand begegnete, fragten wir und erfuhren so,

       daß die armen Leute mehreremal um Nachtlager gebeten hatten, aber immer abgewiesen

       worden waren. Die Bewohner dieser Gegend sind oder waren besonders damals selbst so arm,

       daß sie, zumal im Winter, kaum genug trockenes Brot für sich selber hatten.

       Gegen Abend sahen wir eine kleine, ärmliche, halb verfallene Schneidemühle vor uns liegen,

       deren ziemlich defektes Räderwerk eingefroren war. Das sah schon von außen ganz wie

       Hunger aus. Die kaum noch in den Rahmen hängenden Fenster hatten Risse und Löcher,

       welche mit Papier zugeklebt waren. Ein alter, abgemagerter Hund fuhr, als wir uns näherten,

       unter einer tiefen Schneewehe, wo er sein Lager hatte, hervor und vollführte mit seiner

       heiseren Stimme einen Lärm, auf welchen die obere Hälfte der querteiligen Thür geöffnet

       wurde. Das Gesicht einer alten, wie es schien, abgehärmten Frau war zu sehen.

       »Gott zum Gruß, Mütterchen!« sagte ich.

       »Grüß Gott,« antwortete sie. »Was wollen Sie?«

       »Sind Sie die Müllerin?«

       »Nein; die Mühle geht schon längst nicht mehr, denn ihr ist zwar nicht das Wasser aber das

       Geld ausgegangen. Ich bin nachher eingezogen, weil das Logis nichts kostet. Ich bin nämlich

       die Botenfrau zwischen Bleistadt und Graslitz.«

       »Wir suchen einen alten Mann, eine Frau und einen Knaben, welche gestern in Bleistadt

       waren und nach Graslitz wollten.«

       »Du lieber Gott, die, die suchen Sie? Da kommen Sie zu einer schlimmen Zeit! Mit dem

       Alten können Sie nicht reden, denn er liegt im Sterben. Was wollen Sie denn von der Frau?«

       »Wir bringen ihr etwas, was sie verloren hat.«

       »Da kommen Sie herein! Schön werden Sie es nicht bei mir finden, sondern traurig, sehr

       traurig.«

       Sie öffnete nun auch die untere Hälfte der Thür, und wir traten in einen engen, vollständig

       leeren Flur, dessen Wände im Zerbröckeln waren. Durch eine höchst mangelhaft schließende

       Thür kamen wir in die Stube, für welche aber der Ausdruck Stall in ihrem jetzigen Zustande

       eine unverdiente Ehrung gewesen wäre; ich wenigstens hätte weder Pferd noch Kuh hier

       unterbringen mögen!

      


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