Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May


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sei. Was konnte ich nun thun? Ich mußte mich fügen!

       Wenn Carpio sagte, daß ich während unserer Reise jetzt zum erstenmal wie ein Buch

       gesprochen habe, so hatte er wohl recht. Damit er sich auf unserer Wanderung wohlbefinden

       solle, gab ich mich ganz so, wie er war; ihm war das nur nicht aufgefallen, weil er keine Spur

       von Beobachtungsgabe besaß. Der mir liebe, immer ernste und stets fleißige Freund besaß

       einige Eigenschaften, welche leicht seine ganze Zukunft in Frage stellen konnten. Er war

       zunächst von einer geradezu kindlichen oder gar kindischen Harmlosigkeit, die keine

       Thatkraft aufkommen läßt und alles womöglich beim Schwanz anstatt beim Kopfe anfaßte.

       Dabei liebte er es, der einfachsten Sache eine größere Bedeutung, als sie besaß, beizulegen

       und besonders auf unsern Wanderungen dem nüchternsten Gegenstand oder Vorkommnis

       eine romantische Färbung zu erteilen. Daher der Eissporn, das Sicherheitsschloß, das

       Brennglas und andere Gegenstände, welche er mitgenommen hatte.

       Eine andere und zwar seine hervorragendste Eigentümlichkeit war eine Zerstreutheit, welcher

       man bei seinem jetzigen Alter zwar nur die heitere Seite abzugewinnen brauchte, die aber

       doch schon versprach, später für ihn verhängnisvoll zu werden. Ich hatte mir, soviel es mir

       möglich war, Mühe gegeben, ihn zur Sammlung anzuspornen, aber leider auch nicht den

       kleinsten Erfolg gehabt. Im Gegenteile, wenn er auf seine Zerfahrenheit aufmerksam gemacht

       wurde, steigerte sie sich nur; er wurde ängstlich und beging in dieser seiner Befangenheit

       noch viel größere Fehler als vorher. Ich gab es also auf, ihn zu ändern; suchte seine

       Eulenspiegelstreiche soviel wie möglich zu vertuschen und gab mich, wenn ich mit ihm allein

       war, ebenso kindlich unbeholfen wie er selber. Dadurch hatte ich ihn wahrscheinlich noch

       fester als früher an mich gekettet. Wir schienen zwei unbedachtsame Kinder zu sein; er war

       auch eins; ich aber wachte heimlich über ihn und hielt, indem ich mir den Anschein gab ganz

       in seinem Willen aufzugehen, alle Unannehmlichkeiten möglichst fern von ihm. Er glaubte,

       selbständig zu handeln; in Wirklichkeit aber war ich es, nach dem er sich richtete, ohne es zu

       wissen.

       Zuweilen aber tauchte doch eine Ahnung in ihm auf, daß ich der Bestimmende und er der

       Geleitete sei. So auch jetzt, wo ich meine Meinung über den Wirt Franzl äußerte, ohne ihn

       gesehen zu haben. Ich fügte hinzu:

       »Weißt du, Carpio, wenn jemand nicht bei seinem Familien- sondern bei seinem Vornamen

       genannt und dieser letztere sogar in der Koseform, nicht Franz sondern Franzl gebraucht wird,

       so ist mit Sicherheit anzunehmen, daß er ein sogenannter guter Kerl ist. So stelle ich mir den

       Wirt vor, und als einen solchen guten Kerl müssen wir ihn behandeln, ihm dabei aber auch ein

       bißchen imponieren.«

       »Imponieren? Womit? Lateinisch oder griechisch reden?«

       »Nein; das würde ihn abstoßen, weil er es wahrscheinlich nicht versteht. Er scheint ein

       Lebemann zu sein; da müssen wir, so was man sagt, jovial auftreten, so thun, als ob wir

       seinesgleichen und schon längst mit ihm bekannt seien. Und was das Imponieren betrifft, so –

       – ah, da denke ich an das, was mir der »Alte« sagte, nämlich daß es mir keine Mühe macht,

       stundenlang in Reimen zu reden. Du bist ja auch nicht auf den Kopf gefallen und hast mir

       schon öfters mit ganz passablen Knüppelversen geantwortet. Wollen wir diesen Franzl mit

       Reimen anulken?«

       »Der Gedanke ist nicht schlecht; ich werde mein möglichstes thun. Aber wenn er es sich nun

       nicht gefallen läßt?«

       »Da halten wir inne und werden rasch vernünftig. Also los! Wir scheinen hier am Ziele zu

       sein.«

       Der Gendarm hatte uns durch einige Gassen geführt und lenkte nun zu einem Einkehrhause,

       zu dessen Thür einige Stufen emporführten. Das Gebäude machte mit der Umgebung, die zu

       ihm gehörte, einen stattlichen Eindruck. Wir schritten die Stufen hinan und kamen in einen

       nach Stallduft riechenden Flur, wo der Polizist eine Thür öffnete, einen forschenden Blick in

       die Gaststube warf und dann heiteren Tones rief:

       »Grüß Gott, Franzl! Da bin ich schon wieder und bring famose Gäste mit.«

       »Wen denn?« fragte eine fette Stimme.

       »Zwei Studenten aus Bayern oder anderswo, die für die Nacht gern ein warmes Nest haben

       möchten.«

       »Studenten? Halloh, herein mit ihnen! Für solche Herrschaften habe ich soviel Nester, wie sie

       sich nur wünschen können. Ubi bene, ibi patria!«

       Wir traten in die Stube, die ziemlich groß aber niedrig war. Links stand eine Frau beim

       Butterfaß. Sie hatte »gebuttert« und war nun beschäftigt, die Buttermilch – meine Wonne! –

       durch ein Seihtuch zu gießen. Das war die Wirtin. Rechts von der Thür saßen einige Männer

       gewöhnlichen Schlages beim billigen böhmischen Schankbier. Aber der Thür gegenüber gab

       es einen großen runden Tisch, an welchem einige Personen, denen man die Honoratioren

       ansah, Platz genommen hatten. Einer von ihnen war aufgestanden und sah uns erwartungsvoll

       entgegen. Ich konnte gar nicht bezweifeln, daß er der Franzl war. Ja, er mußte vor Jahren ein

       fescher Bursche gewesen sein; noch jetzt trug er sein glänzend eingefettetes dunkles Haar in

       verlockend gelegte Ringel. Eine blütenweiße Schürze bedeckte den Schmeerbauch; über dem

       Latze derselben thronte eine sanft quatschelige Unterkehle, die in ein glattrasiertes, volles und

       rotwangiges Gesicht überging, in welchem wohlwollende Heiterkeit ihren Wohnsitz

       aufgeschlagen hatte. Als der Blick der freundlichen Augen kurz auf uns geruht hatte, kam der

       Mann vollends hinter dem Tische hervor, streckte uns die Hand zum Gruße entgegen und

       sagte:

       »Ja, man sieht es der ganzen, vornehmen Haltung an, daß Sie Studenten, wirkliche, echte

       Studenten sind. Seien Sie uns willkommen; setzen Sie sich hier bei uns an diesem Tische

       nieder, und sagen Sie, wozu Sie Appetit haben!«

       Ich schüttelte ihm die Hand und antwortete unverzüglich mit dem ernstesten Gesichte der

       Welt:

       »Ich bitte, nicht verkehrt zu fragen – – und will die Wahrheit Ihnen sagen: – – Wir haben, wie

       ein jeder sieht – – nicht Appe- sondern Trinketit!«

       Der liebe Franzl fuhr zwei Schritte zurück, riß die Augen weit auf und fragte ganz erstaunt:

       »Wie – – wa – – was? Appe – – Trinke – – tit – – tit – –? Sie meinen, daß Sie nicht essen

       sondern trinken


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