Die fröhliche Wissenschaft. Friedrich Wilhelm Nietzsche

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Die fröhliche Wissenschaft - Friedrich Wilhelm Nietzsche


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      LUNATA

Die fröhliche Wissenschaft

      Die fröhliche Wissenschaft

      © 1882 Friedrich Wilhelm Nietzsche

      Überarbeitete Neuauflage

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Vorrede zur zweiten Ausgabe

       Scherz, List und Rache

       Erstes Buch

       Zweites Buch

       Drittes Buch

       Viertes Buch

       Fünftes Buch

       Anhang

       Über den Autor

      Die fröhliche Wissenschaft

      ("la gaya scienza")

      „Dem Dichter und Weisen sind alle Dinge befreundet und geweiht,

      alle Erlebnisse nützlich. alle Tage heilig, alle Menschen göttlich."

       Emerson

      [Motto der Ausgabe 1882]

      Ich wohne in meinem eigenen Haus,

      Hab Niemandem nie nichts nachgemacht

      Und – lachte noch jeden Meister aus,

      Der nicht sich selber ausgelacht.

       Über meiner Haustür

      [Motto der Ausgabe 1887]

      Vorrede zur zweiten Ausgabe

       1.

      Diesem Buche tut vielleicht nicht nur eine Vorrede not; und zuletzt bliebe immer noch der Zweifel bestehen, ob jemand, ohne etwas Ähnliches erlebt zu haben, dem Erlebnisse dieses Buches durch Vorreden nähergebracht werden kann. Es scheint in der Sprache des Tauwinds geschrieben: es ist Übermut, Unruhe, Widerspruch, Aprilwetter darin, so daß man beständig ebenso an die Nähe des Winters als an den Sieg über den Winter gemahnt wird, der kommt, kommen muß, vielleicht schon gekommen ist... Die Dankbarkeit strömt fortwährend aus, als ob eben das Unerwartetste geschehen sei, die Dankbarkeit eines Genesenden – denn die Genesung war dieses Unerwartetste. »Fröhliche Wissenschaft«: das bedeutet die Saturnalien eines Geistes, der einem furchtbaren langen Drucke geduldig widerstanden hat – geduldig, streng, kalt, ohne sich zu unterwerfen, aber ohne Hoffnung – und der jetzt mit einem Male von der Hoffnung angefallen wird, von der Hoffnung auf Gesundheit, von der Trunkenheit der Genesung. Was Wunders, daß dabei viel Unvernünftiges und Närrisches ans Licht kommt, viel mutwillige Zärtlichkeit, selbst auf Probleme verschwendet, die ein stachlichtes Fell haben und nicht danach angetan sind, geliebkost und gelockt zu werden. Dies ganze Buch ist eben nichts als eine Lustbarkeit nach langer Entbehrung und Ohnmacht, das Frohlocken der wiederkehrenden Kraft, des neu erwachten Glaubens an ein Morgen und Übermorgen, des plötzlichen Gefühls und Vorgefühls von Zukunft, von nahen Abenteuern, von wieder offnen Meeren, von wieder erlaubten, wieder geglaubten Zielen. Und was lag nunmehr alles hinter mir! Dieses Stück Wüste, Erschöpfung, Unglaube, Vereisung mitten in der Jugend, dieses eingeschaltete Greisentum an unrechter Stelle, diese Tyrannei des Schmerzes überboten noch durch die Tyrannei des Stolzes, der die Folgerungen des Schmerzes ablehnte – und Folgerungen sind Tröstungen –, diese radikale Vereinsamung als Notwehr gegen eine krankhaft hellseherisch gewordene Menschenverachtung, diese grundsätzliche Einschränkung auf das Bittere, Herbe, Wehtuende der Erkenntnis, wie sie der Ekel verordnete, der aus einer unvorsichtigen geistigen Diät und Verwöhnung – man heißt sie Romantik – allmählich gewachsen war –, oh wer mir das alles nachfühlen könnte! Wer es aber könnte, würde mir sicher noch mehr zugute halten als etwas Torheit, Ausgelassenheit, »fröhliche Wissenschaft« – zum Beispiel die Handvoll Lieder, welche dem Buche diesmal beigegeben sind – Lieder, in denen sich ein Dichter auf eine schwer verzeihliche Weise über alle Dichter lustig macht. – Ach, es sind nicht nur die Dichter und ihre schönen »lyrischen Gefühle«, an denen dieser Wieder-Erstandene seine Bosheit auslassen muß: wer weiß, was für ein Opfer er sich sucht, was für ein Untier von parodischem Stoff ihn in Kürze reizen wird? »Incipit tragoedia« – heißt es am Schluss dieses bedenklich-unbedenklichen Buchs: man sei auf seiner Hut! Irgend etwas ausbündig Schlimmes und Boshaftes kündigt sich an: incipit parodia, es ist kein Zweifel...

       2.

      – Aber lassen wir Herrn Nietzsche: was geht es uns an, daß Herr Nietzsche wieder gesund wurde?... Ein Psychologe kennt wenig so anziehende Fragen, wie die nach dem Verhältnis von Gesundheit und Philosophie, und für den Fall, daß er selber krank wird, bringt er seine ganze wissenschaftliche Neugierde mit in seine Krankheit. Man hat nämlich, vorausgesetzt, daß man eine Person ist, notwendig auch die Philosophie seiner Person: doch gibt es da einen erheblichen Unterschied. Bei dem einen sind es seine Mängel, welche philosophieren, bei dem andren seine Reichtümer und Kräfte. Ersterer hat seine Philosophie nötig, sei es als Halt, Beruhigung, Arznei, Erlösung, Erhebung, Selbstentfremdung; bei letzterem ist sie nur ein schöner Luxus, im besten Falle die Wollust einer triumphierenden Dankbarkeit, welche sich zuletzt noch in kosmischen Majuskeln an den Himmel der Begriffe schreiben muß. Im andren, gewöhnlicheren Falle aber, wenn die Notstände Philosophie treiben, wie bei allen kranken Denkern – und vielleicht überwiegen die kranken Denker in der Geschichte der Philosophie –: was wird aus dem Gedanken selbst werden, der unter den Druck der Krankheit gebracht wird? Dies ist die Frage, die den Psychologen angeht: und hier ist das Experiment möglich. Nicht anders als es ein Reisender macht, der sich vorsetzt, zu einer bestimmten Stunde aufzuwachen, und sich dann ruhig dem Schlafe überläßt: so ergeben wir Philosophen, gesetzt daß wir krank werden, uns zeitweilig mit Leib und Seele der Krankheit – wir machen gleichsam vor uns die Augen zu. Und wie jener weiß, daß irgend etwas nicht schläft, irgend etwas die Stunden abzählt und ihn aufwecken wird, so wissen auch wir, daß der entscheidende Augenblick uns wach finden wird – daß dann etwas hervorspringt, und den Geist auf der Tat ertappt, ich meine auf der Schwäche oder Umkehr oder Ergebung oder Verhärtung oder Verdüsterung und wie alle die krankhaften Zustände des Geistes heißen, welche in gesunden Tagen den Stolz des Geistes wider sich haben (denn es bleibt bei dem alten Reime: »der stolze Geist, der Pfau, das Pferd sind die drei stölzesten Tier auf der Erd« –). Man lernt nach einer derartigen Selbst-Befragung, Selbst-Versuchung, mit einem feineren Auge nach allem, was überhaupt bisher philosophiert worden ist, hinsehen; man errät besser als vorher die unwillkürlichen Abwege, Seitengassen, Ruhestellen, Sonnenstellen des Gedankens, auf die leidende Denker gerade als Leidende geführt und verführt werden, man weiß nunmehr, wohin unbewußt der kranke Leib und sein Bedürfnis den Geist drängt, stößt, lockt – nach Sonne, Stille, Milde, Geduld, Arznei, Labsal in irgendeinem Sinne. Jede Philosophie, welche den Frieden höher stellt als den Krieg, jede Ethik mit einer negativen Fassung des Begriffs Glück, jede Metaphysik und Physik, welche ein Finale kennt, einen Endzustand irgendwelcher Art, jedes vorwiegend ästhetische oder religiöse Verlangen nach einem Abseits, Jenseits, Außerhalb, Oberhalb erlaubt zu fragen, ob nicht die Krankheit das gewesen ist, was den Philosophen inspiriert hat. Die unbewußte Verkleidung physiologischer Bedürfnisse unter


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