Der blaurote Methusalem. Karl May

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Der blaurote Methusalem - Karl May


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aufforderte, den Anwesenden die Ehre zu erweisen, ein Stück Braten zu sich zu nehmen.

      Dieser Braten war natürlich kalt geworden. Die sieben oder acht großen Stücke, welche auf dem Teller lagen, sahen recht einladend aus, fast wie ein knusperiger Kalbsbraten. Natürlich wurden die Lichter wieder verhüllt, und der Priester schlüpfte herbei, um heimlich zuzulangen. Da er aber der Sache nicht traute und in Erwartung dessen, daß er als Stellvertreter des Geistes werde tüchtig essen müssen, am Tage gar nichts zu sich genommen hatte, nahm er zwei Stücke weg, um nicht ganz schlecht, wegzukommen, falls der Geist nochmals selbst auch zulangen werde.

      Diese zwei Stücke verzehrte er mit großem Appetite und gebot dann, die Laternen wieder zu enthüllen. Kaum fiel der Schein derselben auf den Tisch, so konnte man sehen, daß der Teller vollständig geleert sei.

      Dem Priester wurde es angst und bange, zumal er die bedenklichen Blicke bemerkte, welche die in seine Kunstgriffe eingeweihten Offiziere auf ihn warfen. Diejenigen Stücke, welche der Geist übrig zu lassen pflegte, waren stets für sie bestimmt. Jetzt mußten sie natürlich meinen, daß sie von dem Medium übervorteilt worden seien; sie mußten annehmen, daß der Priester das Fehlende zu sich gesteckt habe, um es später zu verzehren.

      »Alle Wetter!« sagte der Methusalem halblaut. »Dieser Geist eines Vicekönigs muß wirklich seit über viertausend Jahren gehungert und gedurstet haben. Er ißt und trinkt ja wie ein deutscher Bauernknecht beim Dreschen!«

      »Kann mich leid thun, der arme, liebe Nante!« meinte Gottfried von Bouillon. »Bei sonne jesegnete Mahlzeit muß sein Magen platzen, und dann ist es mit seine jute Konstitution vorüber. Wenn er sich mit so einer jrassen Indijestion wieder alleine hinauf in die Wolken findet, so soll man mir jetrost Jottfried von Oleum nennen anstatt von Bouillon!«

      »Ich hörte ihn essen,« bemerkte Richard. »Das Schnalzen und Schmatzen war ganz deutlich.«

      »Zoo?« fragte der Dicke. »Heeft hij gesnaalzen en smaazt?«

      »Ganz deutlich. Es war so nahe, als ob Sie es seien.« – Um aus seiner Verlegenheit zu kommen, forderte der Priester nun auch die Offiziere auf, ihre Fragen vorzubringen. Sie lehnten es ab, und so sah er sich veranlaßt, den Geist zu verabschieden. Er schrieb eine höfliche Danksagung auf einen Zettel und verbrannte denselben. Der Geist aber besaß nicht weniger guten Ton, denn er fuhr in den Priester und zwang ihn, mit Hilfe des Pinsels in den Sand zu schreiben: »Meine Herren, ich war sehr erfreut, Sie kennen zu lernen und danke Ihnen innigst für die Gaben, mit denen Sie mich beglückt und gestärkt haben. Ich muß nun schleunigst fort, denn es warten noch viele andre auf meine Hilfe, und so ersuche ich Sie, mich gefälligst nach der Treppe zu geleiten.«

      Nachdem diese Abschiedsworte vorgelesen worden waren, wurde denselben Folge geleistet. Jeder der anwesenden bekam ein brennendes, gelbes Papier in die Hand, und dann wurde ein Zug gebildet, um dem Geiste das Ehrengeleit nach der Schiffsleiter zu geben. Er ging wieder so, wie er gekommen war, nämlich zwischen dem Kapitän und dem Steuermanne, und obgleich er nicht zu sehen war, verbeugten sich doch alle unaufhörlich, bis er das Schiff verlassen hatte.

      Die Deutschen waren auf ihren Plätzen geblieben. Es fiel ihnen nicht ein, den Hokuspokus mitzumachen und dadurch die Meinung zu erwecken, als ob sie demselben Glauben schenkten. Einiges daran war ihnen freilich unverständlich.

      »Ein tüchtiger Esser und Trinker war dieser Jeist,« meinte Gottfried. »Er muß sehr lange jefastet haben.«

      »Unsinn!« sagte Turnerstick. »Der Priester hat alles getrunken und gegessen.«

      »Dieser dürre, kleine Kerl? Dat will mich nicht in den Kopf. Ich habe von hier aus jerochen, dat der Branntwein nicht janz ohne war. Er duftete wie neunzigjrädiger Spiritus. Und so ein Topf voll? Nein, dat ist der Priester nicht jewesen.«

      »Ik ben't geweest,« erklärte da der Dicke. »Ik heb den Brandewijn dronken.«

      »Sie?« fragte Methusalem erstaunt. »Sie haben ihm den Krug wegstibitzt?«

      »Ja.«

      »Und ihn vollständig geleert?«

      »Ja; hij was dook zeer klein en de Brandewijn zwack – ja, er war doch sehr klein und der Branntwein schwach.«

      »Da geht mir freilich ein Licht auf! Dann haben Sie wohl auch den ganzen Kuchen gegessen?«

      »Ich heb hij opefreten – ich habe ihn aufgefressen.«

      »Und das viele Fleisch?«

      »Heb ik ook opefreten – habe ich auch aufgefressen.«

      »Aber Sie haben doch vorher im Hotel so reichlich gespeist! Wie ist es Ihnen denn da zu Mute? Wie befinden Sie sich da?«

      »Zeer wel, allerbest; ik heb den koek zeer gaarne en ook het vlesch – sehr wohl, vortrefflich; ich habe den Kuchen sehr gern und auch das Fleisch.«

      »Nun, dann brate nicht mir, sondern Ihnen einer einen Storch! Ich glaube, Sie würden auch diesen verzehren!«

      »Een ooijevaar? Waarom niet, als hij goed gebraden is – einen Storch? Warum nicht, wenn er gut gebraten ist?«

      Er sagte das mit einem solchen Ernste und so unbefangen, daß die andern ein lautes Gelächter aufschlugen. Soeben kehrten die Chinesen von der Begleitung des Geistes zurück. Die Matrosen zerstreuten sich über das Verdeck; die Offiziere aber nahmen den Priester in ihre Mitte und begannen mit ihm ein sehr erregtes Verhör über den außerordentlichen Appetit, welchen der Geist entwickelt hatte. Er beteuerte seine Unschuld; sie aber glaubten ihm nicht und zwangen ihn seine Taschen zu zeigen. Wie erstaunten sie, als sie dieselben leer fanden! Sie hatten den Priester nicht aus den Augen gelassen; er konnte also den Kuchen und das Fleisch nicht anderweit versteckt haben, und so gaben sie endlich kopfschüttelnd zu, daß heute einmal ausnahmsweise ein wirklicher Geist dagewesen sei.

      Der Methusalem hatte sie von weitem beobachtet. Er erriet aus ihren Bewegungen den Gegenstand und Inhalt ihres Gespräches. Jetzt kamen sie herbei, um sich zu erkundigen, welchen Eindruck das Kong-pit auf ihn und seine Gefährten gemacht habe. Sie waren überzeugt, den Fremden außerordentlich imponiert zu haben. Degenfeld hätte Ihnen seine Meinung so gern aufrichtig gesagt, aber damit hätte er sich sofort in Mißkredit gebracht, denn die Sitte befiehlt dem Chinesen, in allen Fällen höflich zu sein, und erlaubt ihm keine Ausnahme von dieser Regel. Darum verheimlichte der Blaurote seinen Unglauben und beantwortete aber die an ihn gerichteten Fragen mit möglichster Gleichgültigkeit. Darüber verwunderten sie sich so, daß der Ho-tschang fragte: »Hat euch denn die Anwesenheit des Geistes nicht in Verwirrung gebracht?«

      »Nein. Wie könnte sie das?«

      »Der Geist ist doch ein höheres Wesen als der Mensch.«

      »Das sagt ihr; ihr werdet mir aber wohl erlauben, andrer Meinung zu sein.«

      »Dürfen wir diese Meinung erfahren?«

      »Ja. Welches ist das höchste irdische Wesen?«

      »Der Mensch.«

      »Woraus besteht er?«

      »Aus dem Leibe und dem Geiste.«

      »Ganz richtig.«

      »Wäre der Leib allein auch ein Mensch?«

      »Nein.«

      »Oder der Geist allein?«

      »Auch nicht.«

      »Wenn also weder der Leib allein noch der Geist allein würdig ist, ein Mensch genannt zu werden, so steht ihre Vereinigung, der Mensch, hoch über beiden. Wie könnte daher mich, der ich zu der Klasse der höchsten irdischen Geschöpfe zähle, die Anwesenheit eines Geistes, der unter mir steht, Verwirrung bringen!«

      Diese Logik, gegen welche er nichts zu sagen wußte, verblüffte den Ho-tschang. Dennoch fand er eine Entgegnung, welcher er auch Worte gab.

      »Aber dieser Geist ist ein Wang gewesen!«

      »Jetzt ist er es nicht mehr, und euer berühmtes Li-king, das Buch, nach welchem ihr euch in allen Lebenslagen zu richten


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