Der blaurote Methusalem. Karl May

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Der blaurote Methusalem - Karl May


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welcher an einem breiten, schwarzseidenen Bande hing, eine sehr begründete Vorsichtsregel, denn die Brille konnte sich niemals länger als einen einzigen Augenblick auf dem ihr angewiesenen Posten erhalten. Sie fiel immer wieder herab, und darum war die eine Hand des Kapitäns unausgesetzt und allezeit damit beschäftigt, den herabgefallenen Klemmer wieder auf das unpraktikable Näschen zu quetschen.

      Aufrichtig gestanden, war der gute Heimdall Turnerstick ein ganz klein wenig eitel, auch in Beziehung auf sein Schiff, welches stets, so weit thunlich, ein Muster der Sauberkeit und Ordnung war. Das konnte natürlich auch auf sein Aeußeres nicht ohne Einfluß sein.

      Seine Sprachkenntnisse reichten für seine Bedürfnisse vollständig aus. Mehr konnte nicht von ihm verlangt werden. Und dennoch gab es einen, welcher in ihm ein wahres Sprachgenie erblickte, und dieser eine war – – er selbst.

      Er hatte alle möglichen Küstenländer angesegelt und überall einige Worte der betreffenden Sprache mit davon genommen. Diese Reiseergebnisse lagen in seinem Kopfe so wirr durch einander wie ungefähr die Trümmer eines verunglückten Eisenbahnzuges. Dennoch war er vollständig überzeugt, so einige Dutzend Sprachen und Dialekte zu beherrschen, und brachte bei jeder passenden Gelegenheit diese unglückseligen philologischen Trümmer herbeigeschleppt. Wehe demjenigen, der es wagte, darüber zu lächeln! Er hatte es für immer mit dem Kapitän verdorben und wurde niemals wieder zu Gnaden angenommen.

      Heut befand sich Heimdall Turnerstick in einer wahrhaft rosigen Stimmung, und er hatte allen Grund dazu. Unter seinen Füßen lagen die Planken des schnellsten Klipperschiffes, welches er jemals befehligt hatte. Ein prächtiger Backstagswind füllte die Segel. Der Horizont lag als scharf gezeichnete Linie auf der See, und der Himmel lächelte wolkenlos auf die frohen Gesichter der Mannen herab.

      Dazu kam, daß man sich dem Hafen nahe befand und daß der Kapitän Kajütengäste bei sich führte, die es verstanden hatten, sich sein ganz besonderes Wohlwollen zu erwerben. Er hatte sie in Singapore aufgenommen und sollte sie nach Kanton bringen.

      Das waren prächtige Tage für ihn gewesen. So eine Unterhaltung hatte er seit Jahren nicht an Bord haben können. Die drei Passagiere paßten zu ihm wie Brüder, und die Absicht, welche sie nach Kanton führte, war ihm so sympathisch, daß er beschlossen hatte, sich nicht allsogleich von ihnen zu trennen. Er konnte ihnen eine längere Zeit widmen, denn sein Steuermann war höchst zuverlässig; ihm durfte er das Schiff und die Besorgung aller Angelegenheiten ruhig anvertrauen.

      Diese drei Passagiere waren Fritz Degenfeld, der bisherige Student, genannt der blaurote Methusalem, sein Wichsier Gottfried Ziegenkopf, stets Gottfried von Bouillon geheißen, und endlich Richard Stein, der Gymnasiast, welcher sich unterwegs befand, um die chinesische Erbschaft anzutreten.

      Sie saßen miteinander auf der Kampanje und schauten vergnügt nach dem vordern Horizonte, an welchem sich mehrere Segel sehen ließen. Aber eigentümlich war die Ordnung, in welcher sie saßen. Die drei Feldstühle, auf denen sie Platz genommen hatten, standen nämlich nicht nebeneinander. Das wäre dem guten Gottfried gegen alle gewohnte Subordination gewesen. Er war jahrelang hinter seinem »Methusalem« hergelaufen und konnte es unmöglich zugeben, daß jetzt eine andre Ordnung eingeführt werde. Darum saß er in der altgewohnten Entfernung von drei Schritten hinter ihm und hielt die Wasserpfeife, deren Schlauchspitze der Student im Munde hatte, in den Händen. Sie war vor der Abreise mit einem neuen Glasballon versehen worden.

      Beide, der Herr sowohl wie auch sein Wichsier, waren ganz genau noch so gekleidet, wie man sie daheim in der Humboldtstraße zu sehen gewohnt gewesen war. Richard saß neben dem »Methusalem« und einige Fuß vor demselben der bekannte Neufundländer, welcher es sich also ebenso angelegen sein ließ wie Gottfried, die heimatliche Reihenfolge beizubehalten.

      Fritz Degenfeld blies die gewohnten dicken Rauchschwaden aus dem Munde und nickte dem Kapitän freundlich zu, welcher soeben von vorn kam und zu ihnen auf die Kampanje stieg.

      »Nun, Kommodore, wie steht's?« fragte Degenfeld. »Werden wir bald die Küste des himmlischen Reiches zu sehen bekommen?«

      »Will es meinen,« antwortete der Gefragte. »Wir werden bereits am Nachmittage vor Hongkong zu Anker gehen. Bald werden sich da vorn die Segel mehren, welche die gleiche Richtung haben.«

      »So haben wir eine feine Fahrt gemacht!«

      »Unvergleichlich! Wir machen siebzehn Knoten. Das will etwas sagen. In nicht ganz vier Tagen von Singapore bis hierher, das soll dem Heimdall Turnerstick ein andrer nachmachen! Es wird es jeder bleiben lassen!«

      »Ja, Sie und Ihr gutes Schiff, da läßt sich etwas erreichen. Ich hätte nicht geglaubt, China so schnell begrüßen zu können.«

      »Wissen Sie denn auch, wie man dieses gelobte Land der Zöpfe begrüßt?«

      »Nun, wie?«

      »Tsching tsching! muß man rufen. Das ist der echt chinesische Gruß.«

      »Ach! Sie sprechen wohl auch ein wenig chinesisch?«

      Turnerstick setzte den Klemmer auf die Nase, hielt ihn dort fest, weil er sonst gleich wieder herabgefallen wäre, warf Degenfeld einen mißbilligenden Blick zu und antwortete: »Wie können Sie so fragen! Ein bemoostes Haupt wie Sie hat doch an der Universität ein genug langes Garn gesponnen, um zu wissen, daß man dem Kapitän Turnerstick so nicht kommen darf. Ein wenig chinesisch! Da liegen Sie vor Topp und Takel bei und treiben wohl bis sieben Striche ab! Wenn ich einmal ein Tau in die Hand nehme, so nehme ich es ganz.«

      »So sprechen Sie vollständig chinesisch?«

      »Natürlich! Wie anders?«

      Das war in einem Tone gesprochen, als ob er gefragt worden sei, ob er Wasser trinken könne.

      »Das ist mir neu!« gestand Degenfeld. »Sie haben darüber noch kein einziges Wort verloren!«

      »Wozu sollte ich davon reden? Von etwas, was sich ganz von selbst versteht, macht man doch kein Geschrei.«

      »Nun, desto wertvoller ist mir die Entdeckung, welche ich da an Ihnen mache. Sie haben zugesagt, sich uns für einige Tage anzuschließen. Da ist es für uns natürlich vom größten Vorteile, daß Sie geläufig chinesisch sprechen.«

      »Pah! Nicht der Rede wert! Eine wahre Kleinigkeit! Sie haben doch auch chinesisch getrieben, wie Sie mir sagten.«

      »Nur zwei Jahre lang.«

      »Das ist mehr als genug, denn diese Sprache ist die leichteste, die ich kenne.«

      »Und ich habe ihre Erlernung für höchst schwierig gehalten.«

      »Da haben Sie freilich ein sehr falsches Segel gesetzt. Sie natürlich müssen mit dem obligaten Latein und Griechisch den richtigen Kurs verlieren. Wem der Kopf mit so klassischer Ware vollgestaut wird, der hat eben zuletzt für das Leichteste keinen Platz mehr übrig. Dann segeln solche überstudierte Leute in der Welt herum und können kein Panzerschiff von einer Heringskuff unterscheiden. Ich sage Ihnen, das Chinesische ist mir geradezu angeboren gewesen. Es ist ganz von selbst gekommen.«

      Der »Methusalem« kannte die Achillesferse des Kapitäns. Darum hütete er sich sehr wohl, den geringsten Zweifel hören zu lassen. Er sagte im ernstesten Tone: »Das kann eben nur Ihnen passieren. Sie sind ein wahrer Walfisch im Meere der Dialekte. Sie schwimmen spielend drin herum und blasen die schwierigsten Paradigmen nur so aus der Nase.«

      Turnerstick hielt den Klemmer empor, warf durch denselben einen forschenden Blick auf den Sprecher und fragte sehr ernst: »Durch die Nase! Soll das etwa eine Hindeutung auf meine Gesichtszüge enthalten?«

      »Was fällt Ihnen ein! Ich spreche vom Walfisch, und daß der bläst, das wissen Sie wohl!«

      »Ja, und zwar aus der Nase. Sie haben recht. Wie der sich im Wasser wälzt, so wälze ich mich in den Sprachen herum. Und gerad das Chinesische ist mir völlig Wurst.«

      »Für mich ist es im Gegenteile ein sehr harter Knochen gewesen, an welchem ich mir die Zähne locker gebissen habe. Bedenken Sie nur die Dialekte! Es sind ihrer neun!«

      »Das ist wenig genug!


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