Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen


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öffnete, weiß wie der Schnee und geschmückt mit grünen Streifen. Sie beugte ihren Kopf in Freude und Demuth.

      »Wunderschöne Blume!« sangen die Sonnenstrahlen. »Wie bist Du frisch und zart! Du bist die Erste! Du bist die Einzige! Du bist unsere Liebe! Du läutest Sommer, schönen Sommer über Land und Stadt. All' der Schnee wird schmelzen! Die kalten Winde werden hinweggejagt! Wir werden herrschen! Alles wird grünen! Und dann wirst Du Gesellschaft haben, Syringen, Goldregen und Rosen, aber Du bist die Erste, so fein, so zart!«

      Das war ein großes Vergnügen. Es war, als singe und klinge die Luft, als drängen die Strahlen des Lichts in die Blätter und den Stengel der Blume; da stand sie so sein und so leicht zu brechen und doch so kräftig in junger Schönheit; sie stand in weißem Kleide mit grünen Bändern da, sie machte Sommer. Aber es war noch weit bis zur Sommerszeit. Wolken verdeckten die Sonne, scharfe Winde bliesen.

      »Du bist zu früh gekommen!« sagten Wind und Wetter. »Wir haben noch die Gewalt, und Du sollst sie empfinden und Dich darein fügen! Du hättest hübsch zu Hause bleiben, nicht herauslaufen sollen und Staat machen die Zeit dazu ist noch nicht da!«

      Es war eine schneidende Kälte! Die Tage, die da kamen, brachten nicht einen Sonnenstrahl! Es war ein Wetter zum Entzweifrieren für so eine kleine Blume. Aber sie besaß mehr Kraft als sie selbst wußte; sie war stark in Freude und im Glauben an den Sommer, der kommen mußte, der ihr in ihrem tiefen Sehnen verkündet und von dem warmen Sonnenlichte bestätigt worden war, und so blieb sie denn auch mit Zuversicht in ihrer weißen Tracht im weißen Schnee stehen, ihren Kopf beugend, selbst während die Schneeflocken dicht und schwer herabfielen und die eisigen Winde, über sie dahinfuhren.

      »Du wirst brechen!« sagten sie, »verwelken, verwelken! Was wolltest Du draußen? Weshalb ließest Du Dich verlocken, der Sonnenstrahl hat Dich gefoppt! Jetzt hast Du es darnach, Du Sommernärrin!«

      »Sommernärrin!« wiederholte sie in kalter Morgenstunde.

      »Sommernärrin!« jubelten einige Kinder, die in den Garten kamen, »da steht eine, wie schön, wie schön, die Erste, die Einzige!«

      Diese Worte thaten der Blume so wohl, es waren Worte wie warme Sonnenstrahlen. Die Blume empfand es in ihrer Freude nicht einmal, daß man sie brach; sie lag in Kindeshand, wurde von Kindesmund geküßt, in die warme Stube getragen, von sanften Augen beschaut, in's Wasser gesteckt, wie stärkend, wie belebend! Die Blume glaubte, sie sei plötzlich tief in den Sommer hineingerathen.

      Die Tochter vom Hause, ein schönes, kleines Mädchen, war confirmirt, sie hatte einen lieben Freund, und der war auch confirmirt, er studirte zum Amtsexamen. »Der soll mein Sommernarr sein!« sagte sie und nahm die seine Blume, legte sie in ein Stückchen duftendes Papier, auf welches Verse geschrieben waren, Verse von der Blume, die mit Sommernarr begannen und mit Sommernarr endigten, »mein Freund, sei Winternarr!« sie hatte ihn mit dem Sommer genarrt. Ja, das stand Alles in dem Verse und wurde als Brief gefaltet, die Blume lag in dem Briefe. Es war finster um sie her, finster wie damals, als sie in der Zwiebel lag. Die Blume ging auf die Reise, lag in der Posttasche, wurde geklemmt und gedrückt, was gar nicht angenehm war; allein das hatte auch ein Ende.

      Die Reise war vorüber, der Brief wurde geöffnet und gelesen von dem lieben Freunde; wie vergnügt war er, er küßte die Blume und sie wurde, in ihrem Umschlage von Versen, in einen Kasten gelegt, in welchem mehrere schöne Briefe, aber alle ohne Blume lagen; sie war die Erste, die Einzige, wie die Sonnenstrahlen sie genannt hatten, und darüber nachzudenken war ein Vergnügen.

      Man ließ ihr auch Zeit darüber nachzudenken, sie dachte während der Sommer verstrich und der lange Winter schwand, und es wurde wieder Sommer, als sie auf's Neue zum Vorscheine kam. Aber nun war der junge Mann durchaus nicht erfreut, er faßte die Briefe sehr unsanft an, warf den Vers hin, daß die Blume auf den Fußboden fiel. Flach und verwelkt war sie freilich, aber warum deshalb auf den Fußboden geworfen? Hier lag sie indeß besser als im Feuer, dort gingen die Verse und Briefe in Flammen auf. Was war geschehen? – Was so oft geschieht. Die Blume hatte ihn genarrt, das war ein Scherz; die Jungfrau hatte ihn genarrt, das war kein Scherz; sie hatte sich während des Sommers einen andern Freund erkoren.

      Am nächsten Tage schien die Morgensonne hinein auf das kleine, flachgedrückte Schneeglöckchen, das so aussah, als sei es auf den Fußboden hingemalt. Das Dienstmädchen, welches das Zimmer auslehrte, hob es auf, legte es in eins der Bücher hinein, die auf dem Tische lagen, und zwar in der Meinung, es müsse beim Aufräumen herausgefallen sein. Die Blume lag wieder zwischen Versen, gedruckten Versen, und die sind vornehmer als die geschriebenen, wenigstens ist mehr Geld auf sie verwendet.

      Darauf vergingen Jahre, das Buch stand auf dem Bücherbrette: dann wurde es einmal in die Hand genommen, man schlug es auf und las darin; es war ein gutes Buch: Verse und Lieder von dem alten dänischen Dichter Ambrosius Stub, die wohl zu lesen werth sind. Der Mann, der in dem Buche las, schlug ein Blatt um. »Da liegt ja eine Blume!« sagte er, »ein Schneeglöckchen, ein Sommernarr, ein Dichternarr! Die wird wohl mit Bedacht hier hereingelegt worden sein; armer Ambrosius Stub! Er war auch ein Sommernarr, ein Dichternarr! Er kam seiner Zeit zu früh, und deshalb mußte auch er die scharfen Winde kosten, als Gast bei den adeligen Gutsbesitzern umherwandern, als Blume im Wasserglase, Blume im gereimten Briefe! Sommernarr, Winternarr, Spaß und Narrheit, und doch der erste, der einzige, der jugendfrische dänische Dichter von damals. Ja, bleib Du als Zeichen im Buche liegen, Du kleines Schneeglöckchen, Du bist mit Bedacht hineingelegt worden.«

      Und das Schneeglöckchen wurde wieder in's Buch gelegt, es fühlte sich da sowohl geehrt als vergnügt, zu wissen, daß es ein Zeichen war in dem prächtigen Liederbuche und daß Derjenige, der zuerst von ihm gesungen und geschrieben hatte, auch ein Schneeglöckchen, ein Sommernarr gewesen, auch zur Winterzeit als Narr dagestanden hatte. Die Blume verstand das nun in ihrer Weise, wie wir ja auch jedes Ding in unserer Weise deuten.

      Das ist das Märchen vom Schneeglöckchen.

      Tief im Innern des Landes lag ein alter Herrenhof; dort war ein alter Gutsherr, welcher zwei Söhne hatte, die sich so witzig und gewitzigt dünkten, daß die Hälfte genügt hätte; diese wollten sich nun um die Königstochter bewerben, denn dieselbe hatte öffentlich anzeigen lassen, sie wolle Denjenigen zum Ehegemahl wählen, der seine Worte am besten zu stellen wisse.

      Die Beiden bereiteten sich nun volle acht Tage auf die Bewerbung vor, die längste, aber allerdings auch genügendste Zeit, die ihnen vergönnt war; denn sie hatten Vorkenntnisse, und wie nützlich die sind, weiß Jedermann. Der Eine wußte das ganze lateinische Wörterbuch und nebenbei auch drei Jahrgänge vom Tageblatte des Städtchens auswendig, und zwar so, daß er Alles von vorne und hinten, je nach Belieben, hersagen konnte. Der Andere hatte sich in die Innungsgesetze hineingearbeitet und wußte auswendig, was jeder Innungsvorstand wissen muß, weshalb er auch meinte, er könne von Staatsaffairen mitreden und seinen Senf dazu geben; ferner verstand er noch Eins: Er konnte Hosenträger mit Rosen und anderen Blümchen und Schnörkeleien bestechen, denn er war auch sein und fingerfertig.

      »Ich bekomme die Königstochter!« riefen sie alle Beide, und so schenkte der alte Papa einem Jeden von ihnen ein prächtiges Pferd. Derjenige, welcher das Wörterbuch und das Tageblatt auswendig wußte, bekam einen Rappen, der Innungskluge erhielt ein milchweißes Pferd und dann schmierten sie sich die Mundwinkel mit Fischthran ein, damit sie recht geschmeidig würden. – Das ganze Gesinde stand unten im Hofraume und war Zeuge, wie sie die Pferde bestiegen, und wie von ungefähr kam auch der dritte Bruder hinzu, denn der alte Gutsherr hatte drei Söhne, aber Niemand zählte diesen dritten mit zu den anderen Brüdern, weil er nicht so gelehrt wie diese war, und man nannte ihn auch gemeinhin Tölpel-Hans.

      »Ei!« – sagte Tölpel-Hans – »wo wollt Ihr hin? Ihr habt Euch ja in den Sonntagsstaat geworfen!«

      »Zum Hofe des Königs, uns die Königstochter zu erschwatzen! Weißt Du denn nicht, was dem ganzen Lande bekannt gemacht ist?« und nun erzählten sie ihm den Zusammenhang.

      »Ei der Tausend! da bin ich auch dabei!« rief Tölpel-Hans; und die Brüder lachten ihn aus und ritten davon.

      »Väterchen!«


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