Auf fremden Pfaden. Karl May

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Auf fremden Pfaden - Karl May


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diesen Worten brach er in bittere Tränen aus. Das kindliche Gemüt des Lappen vermochte den Verlust nicht mit männlicher Resignation zu ertragen.

      Jetzt ahnte ich den Zusammenhang. War der Mann, welcher sich vor uns flüchtete, der Dieb gewesen? Hatte er vielleicht eines der verborgenen Verstecke Pents entdeckt? Vater Pent war sehr reich; er besaß über tausend Rene, wie er mir soeben gesagt hatte; er hatte sicherlich viel Geld vergraben.

      Wenn der Lappe einen Markt oder eine der wenigen Städte besucht, so läßt er sich den Preis seiner Felle und anderen Waren in harten Silberthalern bezahlen. Alljährlich wandern auf diese Weise bedeutende Quantitäten Silber nach den unwirtlichen Gegenden des hohen Nordens, wo sie verschwinden, denn der Bewohner der Lappmarken giebt selten oder nie einen Thaler wieder heraus, den er einmal eingenommen hat. Ist der Beutel voll geworden, so sucht er sich eine einsame Stelle im Walde, im Sumpfe oder zwischen Felsen, wo er die harten ›Riksdaler‹ versteckt; er beobachtet darüber das tiefste Schweigen und enthüllt sein Geheimnis erst dann seinen Erben, wenn er den unvermeidlichen Tod nahen fühlt. Um bei der zufälligen Entdeckung eines solchen Ortes nicht seine ganze Barschaft zu verlieren, verteilt er dieselbe in mehrere Verstecke, welche er von Zeit zu Zeit im geheimen aufsucht, um sich an dem Anblicke seiner Reichtümer zu erlaben. Nicht selten kommt es vor, daß ein Lappe unerwartet stirbt, ohne seine Verstecke entdecken zu können, oder daß dieselben so ungenau beschrieben wurden, daß sie von seinen Verwandten nicht aufgefunden werden konnten. Zuweilen treten auch Naturereignisse ein, welche ein solches Versteck vernichten oder unzugänglich machen, und so kommt es, daß bedeutende Summen verloren gehen, von denen man nicht hoffen kann, daß sie jemals wieder aufgefunden werden. Die wilden Einöden Lapplands bilden eine riesige Sparbüchse, welche ganz bedeutende Prozente verschlingt.

      »Darf ich erfahren, wie viel Geld es ist?« frug ich den Alten.

      »Kwekte wuossah ... zwei Beutel.« antwortete er.

      »Du hattest sie versteckt?«

      »Ja, Härra, du weißt, daß kein Mensch wissen darf, wo die Thaler liegen, der Bruder nicht, das Weib nicht und die Kinder nicht. Du weißt auch, daß ich auf dem Markt in Enontekis gewesen bin. Dort habe ich viel Felle, viel Käse und auch viele Handschuhe verkauft, welche meine Töchter gestrickt hatten. Ich tauschte mir ein, was ich brauchte, und hatte dann noch zwei Beutel mit blankem Silber übrig. Gestern nun, als die Rene gemolken wurden und also meine Leute verhindert waren, mir zu folgen, nahm ich meine Schuhe und ging hinauf zum Fjäll, um das Silber zu verstecken. Bei der Rückkehr erblickte Ich einen Fremden, der durch die Felsen glitt. Ich verfolgte ihn, aber er entwich. Nun kehrte ich zu dem Versteck zurück, nahm das Geld wieder heraus und verbarg es an einem anderen Ort. Aber dann nach Mitternacht, als wir den Bär verfolgten, sah ich den Fremden wieder. Ich dachte sogleich, daß er nach meinem Silber gesucht hätte, und verfolgte ihn. Er verschwand. Nun suchte ich mein Versteck auf; das Silber war noch da; aber indem ich es betrachtete, erhielt ich einen Schlag. Es wurde mir sehr finster vor den Augen, und ich stürzte nieder, doch schon nach einer Minute raffte ich mich wieder auf. Das Geld war mir entrissen, und den Dieb sah ich bereits fern von mir sehr schnell über den Lopme fliegen. Ich verfolgte ihn. Er versuchte, die andere Seite des Kärr zu erreichen, und darum wandte ich mich nach dem Klufteis, um ihm den Weg abzuschneiden. Ich kenne dieses Eis, aber der Zorn trübte meine Augen; ich übersah eine Spalte und stürzte hinein – – als ich wieder erwachte, lag ich in meiner Hütte und hatte Schnupftabak in der Nase. Der Dieb aber ist entkommen.«

      »Du hast ihn nicht erkannt?«

      »Nein. Er hatte sich hinter mich geschlichen, ohne daß ich ihn bemerkte. Er trug eine Wintermaske, wie wir alle, damit wir das Gesicht nicht erfrieren.«

      Hast du dir nicht wenigstens seine Gestalt gemerkt?«

      »Härra, die Nacht Samelands währt drei Monate lang, und sie täuscht das Auge. Das Nordlicht war so unruhig und seine Flammen zuckten über den Schnee. Wer kann da genau sehen! Der Mann war gekleidet wie andere Männer; ein Samelats sieht wie der andere aus, wenn er nicht in seinem Zelte sitzt. Ich würde ihn nicht wiedererkennen. Wenn du mir nicht hilfst, Härra, so kann ich den Dieb niemals entdecken, und mein glänzendes Silber ist verloren.«

      »Ich? Wie sollte ich dir helfen können, da dir sogar die Soldaten des Königs nichts nützen. Ich kenne dieses Land ebensowenig wie sie und habe ja nicht einmal die Macht, welche sie dem Diebe gegenüber besitzen.«

      »Härra, du irrst! dein Kopf ragt über alle Samelatjit hinweg und nie hat man hier solche Waffen gesehen, wie die deinigen sind. Ein jeder Dieb wird sich vor dir fürchten. Auch bist du in fernen, wilden Ländern gewesen, wo du gelernt hast, die Spur eines Flüchtlings so zu lesen, wie wir es nicht vermögen. Du selbst hast uns ja erzählt von den bösen Indatjit, denen ihr gefolgt seid über Berg und Thal, um ihnen die Felle wieder abzunehmen, die sie euch gestohlen hatten. Ich werde dich auf die Spur des Diebes führen und ich weiß, wenn du sie betrachtest, so kann er uns nicht entgehen.«

      Hm! Ein solches Vertrauen hatte ich nicht erwartet. Ich war blamiert, wenn ich auf seinen Wunsch einging, ohne es rechtfertigen zu können; darum antwortete ich:

      »Attjats, ich bin noch zu kurze Zeit im Samelanda; ich glaube wirklich nicht, daß ich dir helfen kann.«

      Da blinzelte er mich mit seinem schlausten Lächeln an und sagte:

      »Härra, du kannst, denn du hast ja gesagt, daß du ein Doktor bist!«

      »Meinst du etwa, daß ein Doktor auch gelernt haben muß, Diebe zu fangen?«

      »Willst du mit mir scherzen? Ein Doktor hat alles gelernt; ein Doktor kann alles, wenn er nur will!«

      »Wer hat dir dies gesagt?«

      »Das braucht mir niemand zu sagen, weil wir es ja alle wissen. Einem Doktor muß alles gelingen, denn er hat gelernt, sich ein Saiwa tjalem zu machen, und wer ein gutes Saiwa tjalem bei sich trägt, dem kann nichts mißglücken, so lange er dafür sorgt, daß es unverletzt bleibt.«

      »Du irrst,« sagte ich unter mißbilligendem Kopfschütteln. »Es giebt kein Amulett und kein Saiwa tjalem, welches eine solche Kraft besitzt.«

      »Härra, du willst es bloß nicht zugeben! Ich selbst habe ja eine solche Schrift gehabt.«

      »Von wem?«

      »Von einem Doktor, den ich in Luleå am Meere traf. Er war ein sehr kluger Mann; er gab mir Arznei für meine kranken Augen, und als ich ihn dann um ein Amulett bat, schrieb er es mir sogleich, ohne Geld dafür zu nehmen. Ich habe es viele Jahre lang auf der Brust getragen und in dieser Zeit niemals ein Unglück gehabt. Nun aber hat es der Schweiß zerfressen, und darum ist seine Wirkung fast ganz verloren gegangen. Wäre es nicht so zerrissen, so wäre ich sicher nicht in die Spalte geraten. Ich werde dich bitten, mir ein neues zu schreiben.«

      »Wo hast du es?«

      »Hier,« antwortete er, auf die Brust deutend.

      »Darfst du es mir zeigen?«

      »Der Doktor hat mir dies nicht verboten. Willst du es sehen?«

      »Ja.« – Er langte unter seine Kleider und zog ein zusammengelegtes Stück Leder hervor, welches an einer Schnur hing und ein vielfach zusammengefaltetes Papier enthielt, welches er mir entgegenreichte.

      »Hier,« meinte er. »Kennst du die Zeichen, welche darauf stehen?«

      Die mit Bleistift geschriebenen Züge waren sehr verwischt; aber dennoch erkannte ich auf den ersten Blick, daß es deutsche Worte waren. Meine nicht geringe Überraschung ging bald in ein lustiges Lachen über, als ich folgende Worte enträtselte:

      »Am Ganges duftet's und leuchtet's

      Und Riesenbäume blühn,

      Und schöne, stille Menschen

      Vor Lotosblumen knien.

      In Lappland sind schmutzige Leute,

      Plattköpfig, breitmäulig und klein;

      Sie kauern ums Feuer und backen

      Sich Fische und quäken und schrein.

      Ein


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