Mein Chef und andere Hürden. Monika Starzengruber
Читать онлайн книгу.Gedächtnis zu kaschieren.
„Das Kleid, das du dir ausmalst, muss erst genäht werden“, wusste Simba.
Trotz ihrer Löwenmähne, die etliches verdeckte, erkannte ich: „Du wühlst in der Freizeitecke.“ Mein Ton unterstrich, dass sie dort völlig umsonst suchte.
„Sonntag ist Freizeit“, konterte sie, ergriff einen Bügel und hielt ihn mir vor die Nase. Stretch-Jeans mit Schlabberbluse. Mein Adrenalinspiegel stieg. Hastig wuselte ich aus dem Bett zu ihr, wissend - das war es. Wenn mich schon Zweifel plagten, bezüglich meiner Aufmachung, sollten es wenigstens meine Lieblingssachen sein. Simba hatte Recht, wenn sie sagte: „Wieso du jedes Mal so ein Aufheben machst, wenn du ausgehst, ist mir schleierhaft. Am Ende ziehst du eh immer dasselbe an.“
Schon - aber - wie sollte ich das vorher wissen?
„Wofür diesmal der Aufwand?“
„Claudia hat mich zum Essen eingeladen.“
Kurzer, prüfender Blick und ein vielsagendes: „Aha.“
Vor dem Spiegel die umfangreiche Bluse an mir richtend, wehrte ich ab: „Nicht „aha“. Diesmal ist es keiner ihrer Kuppelversuche, hat sie extra betont.“
„So, so“, kam es spöttisch, als kaufe sie mir kein Wort ab. Folglich wechselte ich das Thema. „Und du? Erwartest du deinen verheirateten Sunnyboy Erik heute?“
„Wie eine Spinne ihr Opfer.“
Überrascht hielt ich in meiner Ankleidetechnik inne. „Was heißt das?“
„Dass heute die Entscheidung fällt.“
Ich war im Bilde. „Fünfzehn Jahre Ehe prägen einen Mann, ist dir das klar?“
„Klar wie Wasser.“
„Eine Fusion zwischen ihm und dir, mit zwei fast erwachsenen Kindern, willst du das wirklich?“
Sie antwortete mit bleiernem Schweigen.
Für mich stand fest: „Wahrscheinlich wendet er die Hinhaltetaktik an. Der richtige Moment sei noch nicht gekommen, um es zu beichten oder so.“
Simba seufzte. „Hast du noch ein paar solche Tiefschläge auf Lager? Die bauen nämlich ungemein auf, weißt du?“
Sie tat mir leid. „Simba, es sei dir von Herzen gegönnt, aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er sich wirklich scheiden lässt?“
Den Hafen einer Ehe noch nie angesteuert, schien ihr Urvertrauen an die männliche Meute einem „jungfräulichen“ Lämmchen zu gleichen. Ich wollte ihre Gefühle nicht verletzen, indem ich ihr vor Augen hielt, es als Außenstehende geradezu höllisch mitzubekommen, dass er sie nur ausnutzte und dass sie das verdammt noch mal viel zu geduldig zuließ. Aber was konnte man von einer Malerin, die größtenteils von dem Erbe ihrer wohlhabenden Eltern lebte, anderes erwarten. Simba entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einer echten Freundin. Doch die Sphären, in denen sie sich als Künstlerin bewegte, waren mir als arbeitende Genesis manchmal zu hoch. Vielleicht ein Punkt um anzusetzen und dazuzulernen?
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Der prüfende Blick meiner Schwester, beim Entree, gab mir das Gefühl, sowohl mit dem Lippenstift die Konturen verfehlt, als auch vergessen zu haben nach dem nachmittäglichen Relaxen im Bett meine blondierten Struwwelpeter-Zotteln in Ordnung zu bringen. Am Ende ihrer Beschau kam sie zu dem für mich aufbauenden Schluss: „Du siehst verknittert aus. Als hättest du die Nacht durchgemacht.“
Ihre Worte lösten einen Schluckeffekt in mir aus. Schluck. Ich dachte an die zurückliegende Firmen-Weihnachtsfeier, die sich zwar nur bis Mitternacht ausgedehnt hatte, jedoch mit viel zu vielen Promille. Gut, akzeptiert. Denn so falsch tippte sie nicht, mit der Einschätzung meiner Person. Reiner Großmut, zu dem mir meine esoterischen Kenntnisse verholfen hatten, die lehrten, aus allem nur das Positive heraus zu hören.
Im Esszimmer angekommen umarmte mich Schwager Bernd mit brüderlichem Kuss. Einen guten Geschmack besaß sie, meine Schwester, was Männer anging, das musste ihr der Neid lassen. Bernd überragte mich um eine halbe Kopflänge, außerdem war er sehr schlank. Warum kam ich mir neben ihm eigentlich immer dicker vor, als ich wirklich war? Seine grauen Schläfen machten ihn unheimlich interessant, während ihn seine vollen Lippen sinnlich wirken ließen. Als Notar mit eigener Kanzlei sowie genug Klienten am Hals bot er meiner Schwester ein versorgtes Leben. Eines, das sie sich für mich auch wünschte, erklomm die dunkel drohende Ahnung in mir, als ich einen weiteren Mann im Zimmer wahrnahm. Claudia entgingen meine gestrengen Falten über meiner Nasenwurzel nicht. Mein vorwurfsvoller, alles durchschauender Blick traf sich mit ihrem. Sie reagierte schnell. Zu schnell. Und viel zu melodisch für meine Ohren verlautbarte sie: „Stell dir vor Verena, Herr Klappe, ein ehemaliger Studienfreund von Bernd, versäumte den Zug ...“
Kurz und so unauffällig wie möglich rümpfte ich die Nase. Ja, ja, so ein Zufall, dachte ich, den Fremden nochmals in Augenschein nehmend. Der lächelte freundlich und kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu. „Guten Abend, Klappe, Heinrich Klappe.“
Ich war ... sprachlos, vergaß zu antworten und glotzte ihn ungeniert an. Es war die Klappe - Verzeihung - der Mund von Herrn Klappe, der mich faszinierte. Seine Mundpartie erinnerte mich an irgendjemanden. Schon fiel es mir ein. Natürlich. An einen Biber. Da stand er leibhaftig vor mir, mit gelben Bibervorderzähnen, wie sie ausdrucksvoller nicht hätten hervorstehen können. Magisch angezogen von dieser Pracht vergingen weitere Sekunden, in denen die Faszination mich stumm überwältigte. Bis mich meine Schwester aus meiner komischen Verzückung riss, mich sanft anstieß und stumm, mit vielsagendem Blick mahnte. Wodurch ich schließlich wieder in die Welt der bewusst lebenden zurückkehrte.
„Oh.“ Ich lachte verlegen, „hm, ja“. Streckte meinem Gegenüber ebenfalls die Hand hin, die er sofort ergriff und heftig, sowie ausgiebig schüttelte. Immens erfreut.
„Sie dürfen sie ruhig wieder loslassen.“
Nicht auf meine Worte reagierend, fixierte er mich mit einem Lächeln, das mich penetrant ans Zähneputzen erinnerte. Und an Zahnweiß.
Das nicht enden wollende Hände schütteln verlockte schließlich, mich gewaltsam loszureißen. Als ein plötzlicher Niesanfall meinerseits dem zuvorkam, ließ er ruckartig - zum Glück nach meinen Wünschen - endlich von mir ab. Er hätte ja auch erschrecken, mich reflexartig an sich ziehen und mir in seinen Armen liegend „Gesundheit“ wünschen können. In diesem Fall tat er das auch. Aber mit genügend Abstand dazwischen.
„Das Wetter“, erklärte ich an ein Taschentuch denkend und nicht zur Hand habend. Stinksauer setzte ich mein charmantestes Lächeln auf. Dann fasste ich meine Schwester am Arm und zog sie, uns entschuldigend, in die Küche daneben, wo die bereits gezündete Zündschnur in mir, die fällige Explosion entfachte. „Bist du noch zu retten?“
Wenn ich als älteres Semester die restliche mir verbleibende Zeit auf Erden allein lebte, so deshalb, weil ich sie allein leben wollte! Und kein Mensch würde mir weismachen können, dass ich dadurch Gefahr lief, irgendetwas zu versäumen. Zu derartig dringenden Fällen zählte ich nicht.
„Was du wieder denkst. Er ist hier, weil er den Zug verpasste.“
„Das zu glauben grenzte an Naivität, Schwesterherz und aus den naiven Jahren bin ich raus.“
„Diesmal tust du mir unrecht, Verena. Ich hab doch Augen im Kopf. Dieser Mann mag zwar das richtige Ding zwischen den Beinen haben, aber für eine Frau ist es nur die Hälfte wert, wenn sie es bloß im Dunkeln gebrauchen kann.“
Okay. Ihre Worte hatten etwas Überzeugendes für mich und trugen dazu bei, mein überschwapptes Gemüt zu besänftigten. Jedoch ein Rest in mir blieb auf der Hut. „Dein Glück“, versprach ich, „sonst hättest du ihn zum nächsten Geburtstag in Seidenpapier eingewickelt von mir als Geschenk bekommen.“
Claudia lachte. „Hätte mich auf ewig von den Männern kuriert.“
„Lieber würde ich dich von deiner Kuppelsucht kurieren.“
Claudias