Religionen – ausgedient und überflüssig. Josef Müller

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Religionen – ausgedient und überflüssig - Josef Müller


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Geschehnisse auszudenken. Mit der Zeit glaubten sie auch selbst an ihre Geschichten, die sich meist aus wenigen tatsächlichen Ereignissen, dafür aber umso mehr aus Unmengen hinzugedichteter Begebenheiten zusammensetzten. Diese Geschichten, die zwangsläufig fast immer nur auf Hörensagen beruhten und die Tag für Tag über Monate, Jahre und Generationen hinweg weitererzählt wurden, hat man dann dem gemeinen Volk als Wahrheit verkauft.

      Die widersprüchlichen Aussagen von Augenzeugen führen auch heute noch regelmäßig zu ungeahnten Fehlinterpretationen. Auch grundsätzlich ehrliche, glaubhafte und eigentlich über alle Zweifel erhabene Menschen neigen dazu, das zu sehen, was sie sehen wollen und nicht das, was sich wirklich zuträgt. Davon kann jeder Kriminalbeamte, der die Einzelvernehmung von sogenannten Augenzeugen durchführt, ein Lied singen. Es kommt nicht selten vor, dass der eine oder andere Beobachter eine vollkommen diametrale Darstellung von dem schildert, was seine ebenfalls präsenten Mitmenschen gesehen haben – oder gesehen haben wollen. Diese Versionen weichen oftmals in einem derart signifikanten Maße voneinander ab, dass es einem schlicht die Sprache verschlägt. Und trotzdem ist jeder der Augenzeugen bereit, die Richtigkeit seiner Version notfalls auch zu beeiden.

      Wie gesagt – dieses Verhalten ist absolut menschlich, und eine böswillige Absicht sollte man bei einer eventuellen Fehleinschätzung niemandem unterstellen. Heute werden natürlich alle Aussagen, die man Polizeibeamten gegenüber macht, peinlich genau protokolliert und anschließend auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersucht. Das war früher, als noch kaum ein Mensch lesen und schreiben konnte, natürlich ganz anders. Eine wahre Begebenheit – oder auch nur ein Gerücht – verbreitete sich auch damals schon rasend schnell. Und damals wie heute wurde ein Ereignis, unabhängig davon, ob es sich tatsächlich zugetragen hatte, fast genau so rasend schnell verfälscht. Jemand, der sich im Nachbarort morgens leicht verletzt hatte, war gemäß bestens informierten Mitmenschen gegen Mittag schon todkrank, lag nachmittags im Sterben und weilte spätestens am frühen Abend nicht mehr unter den Lebenden. Und so konnte es auch passieren, dass ein Dritter, der einige Tage später in eben diesem Nachbarort den inzwischen Genesenen kreuzfidel und putzmunter erlebt hatte, davon ausging, dass er wohl vom Tode auferstanden war.

      Auch wenn die Geschichte später mit hoher Wahrscheinlichkeit revidiert wurde, war es durchaus an der Tagesordnung, dass einige Menschen das nicht mitbekommen hatten. Zum Beispiel, weil sie sehr abgeschieden wohnten, oder weil sie inzwischen weitergezogen waren. Diese Menschen gingen daher mangels besseren Wissens noch immer davon aus, dass es da irgendjemandem gelungen war, den Tod zu überlisten. Und so wurde die Geschichte dann auch weitererzählt. Eine landesweite Berichtigung der falsch interpretierten Ereignisse war damals natürlich wegen der noch nicht erfundenen Berichterstattung durch Print- oder Fernsehmedien nicht möglich. Jetzt kann man sich leicht ausmalen, was aus so einer Geschichte wurde, wenn sie nicht nur über Monate und Jahre, sondern sogar über viele Generationen weitererzählt wurde.

      Besonders beliebt bei den unterdrückten Völkern, von denen es damals eine Menge gab, waren die Geschichten von der heiß ersehnten Befreiung ihres besetzten Landes bzw. ihres versklavten Volkes. In den alttestamentarischen Prophezeiungen war dafür immer ein heroischer Held mit übermenschlichen Fähigkeiten bzw. ein von Gott gesandter Erlöser oder Heiland zuständig. So erwartete auch das Volk der von den Römern geknebelten Juden sehnsüchtig einen Messias – einen Garanten für die Freiheit, der gemäß den uralten Überlieferungen irgendwann aus dem Hause König Davids hervorgehen würde.

      Die Befreiung durch einen Volkshelden, der für seine rechtlosen Mitmenschen trotz erheblicher Beeinträchtigungen unter Einsatz seines Lebens gegen die Obrigkeit kämpfte, war noch bis in das späte Mittelalter sehr populär. Jedes Land, in dem große Teile der Bevölkerung von einer herrschenden Minderheit geknechtet, gedemütigt und ausgenutzt wurden, hat zu allen Zeiten solche Helden hervorgebracht. Diesen wurden von Jahr zu Jahr, auch wenn es sie nie gegeben hatte, oder sie schon längst nicht mehr unter den Lebenden weilten, die tollkühnsten Fähigkeiten angedichtet, und diese wurden sodann in schöner Regelmäßigkeit immer mehr ausgeschmückt und weitererzählt. Die couragiertesten Handlungen der Haudegen wurden in den ihnen gewidmeten Balladen fortwährend hinzuerfunden, umgedichtet, weiterentwickelt und miteinander verschmolzen.

      So hatten die Engländer ihren Robin Hood, der die Witwen und Waisen beschützte und der als Rächer der Enterbten bekannt geworden war, die Schweizer ihren Armbrust-Scharfschützen Wilhelm Tell und die Norddeutschen ihren Freibeuter Klaus Störtebeker.

       Das war übrigens der, der nach seiner Enthauptung zwar kopflos, aber immer noch aufrecht gehend, an elf seiner Gefährten vorbeiging, um diese vor der Hinrichtung zu bewahren. Was letztlich aber vergeblich war, da anschließend trotz gegenteiliger Abmachung auch seine Anhänger geköpft wurden.

      Dann gab es noch Johannes Bückler, besser bekannt unter dem Namen Schinderhannes, dem nach einem räuberischen Leben die Guillotine zum Verhängnis wurde und den Freiheitskämpfer Andreas Hofer, der seine Tiroler gleich dreimal siegreich im Kampf gegen die Truppen Napoleons anführte und später, nachdem er von seinem Landsmann Franz Raffl gegen eine Belohnung von tausendfünfhundert Gulden verraten wurde, von einem Erschießungskommando liquidiert wurde. Nachdem er von der ersten Exekutionssalve der nicht sehr zielsicheren Soldaten nur verletzt wurde, soll er angeblich ausgerufen haben: „Ach, ihr Franzosen schießt so schlecht!“

      Das sind nur einige wenige Beispiele. Es gibt Unmengen von weiteren Erlösern, Rettern und Heilanden, die zu allen Zeiten gegen das Unrecht eingeschritten sind, und alle haben sie eines gemeinsam, nämlich den erlittenen, märtyrerhaften Heldentod.

      Der gewaltsame Tod eines Befreiers war schon immer unabdingbare Voraussetzung dafür, dass dieser im Volksglauben ewig weiterlebte, und das war bei Jesus von Nazareth nicht anders. Die Menschen erwarteten sehnsüchtig einen Messias, einen Gesalbten, der das Ende der Unterdrückung durch die Römer einläuten sollte. Es schlug damals die große Stunde der Revolutionäre, der Propheten und wohl sicher auch der Scharlatane. Wissenschaftler haben einmal genau nachgezählt: Neun Propheten, sieben Rebellen und fünf Erlösergestalten sind in dieser Zeit historisch belegt. Und zu allen späteren Zeiten sind ihnen weitere nachgefolgt – bis heute.

      So verwundert sicher nicht weiter, dass auch die Kapitel des Alten Testaments keinesfalls zeitgenössische Aufzeichnungen sind. Die Geschichten von Abraham, Moses, Noah usw. wurden Generationen nach den Ereignissen, die sich angeblich auf so wundersame Weise zugetragen hatten, niedergeschrieben, und zwar von Männern, die mit Sicherheit die angeblich göttlichen Inspirationen überproportional ausgelebt hatten. Zu einer Zeit, als nur ein verschwindend geringer Teil der Menschen lesen und schreiben konnte, wurden die verfassten Texte, die oftmals einen kaum zu ertragenden Grad von naiver Dummheit und einfältiger Geistlosigkeit erreichten, zum Gesetz. Und das eigentlich Unvorstellbare ist: Diese Gesetze gelten heute noch!

      Abraham

      Abraham, Sohn des Tharah aus Ur in Chaläa, dem Süden des heutigen Irak, und Urvater des Menschengeschlechts, schließt im Alter von neunundneunzig Jahren mit Gott einen Bund. Dieser fordert von ihm und von seinen Nachkommen fortan das Zeichen der Beschneidung. Was diese, angeblich von Gott geforderte, entsetzliche und ekelhafte genitale Verstümmelung den Menschen weltweit angetan hat und auch heute noch antut, ist kaum zu beschreiben.

      „Dies ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Samen nach dir: Alles Männliche werde bei euch beschnitten; und ihr sollt das Fleisch eurer Vorhaut beschneiden. Und das soll das Zeichen des Bundes sein zwischen mir und euch. Und acht Tage alt soll alles Männliche bei euch beschnitten werden nach euren Geschlechtern, der Hausgeborene und der für Geld Erkaufte [Sklave], von allen Fremden, die nicht von deinem Samen sind; es soll gewisslich beschnitten werden dein Hausgeborener und der für dein Geld Erkaufte. Und mein Bund soll an eurem Fleische sein als ein ewiger Bund. Und der unbeschnittene Männliche, der am Fleische seiner Vorhaut nicht beschnitten wird, selbige Seele soll ausgerottet werden aus ihrem Volke; meinen Bund hat er gebrochen!“ (1. Mose 17, 10-14)

      Diese widerliche und grauenhafte Praxis, die auf vorchristliche und vorislamische


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