Im Reich des silbernen Löwen I. Karl May

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Im Reich des silbernen Löwen I - Karl May


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und waren so gefesselt, daß sie sich nicht zu rühren vermochten. Derjenige, welcher uns am nächsten lag, hatte einen starken, schwarzen, herabhängenden Schnurrbart, war also wohl derjenige, der sich Mr. Dschafar nennen ließ.

      Zwischen diesem Feuer und uns gab es noch einige Büsche, und ich hielt es nicht für zu gewagt, weiter vorzukriechen. Die Roten hatten keine Wachen ausgestellt, und da sie ruhig an den Feuern saßen und nicht hin und her gingen, stand nicht zu befürchten, daß man mich bemerken werde. Der Häuptling sprach mit denen, welche bei ihm saßen, und ich hätte gar zu gern gehört, wovon sie redeten. Darum forderte ich Jim auf, einstweilen liegen zu bleiben, und schob mich vorsichtig weiter fort.

      Aber kaum hatte ich hinter dem letzten Busche Posto gefaßt, so hörte ich hinter mir ein leises Geräusch, und als ich mich umblickte, sah ich, daß der Snuffle mir gefolgt war.

      »Was fällt Euch ein!« raunte ich ihm mißmutig zu. »Ihr solltet doch bleiben!«

      »Will auch gern hören, wovon sie reden.«

      »Versteht Ihr denn ihre Sprache?«

      »Nicht viel, aber doch etwas.«

      »Aber dieser Busch deckt zwei Personen nicht so gut wie eine!«

      »Werden schon Platz nebeneinander haben, Sir. Ihr habt ja gesagt, daß ich bei Euch bleiben und mich ja nicht von Euch entfernen soll. Das thue ich nun, wie Ihr seht.«

      Er kroch eng zu mir heran, und so lagen wir allerdings beide im Schatten des Strauches, aber lieber wäre es mir doch gewesen, wenn er zurückgeblieben wäre.

      Der Zweck, welchen ich verfolgt hatte, wurde erreicht: Wir hörten, was gesprochen wurde. Der Gegenstand des Gespräches war der Kriegszug, auf dem sie sich jetzt befanden. Sie wollten einige Ansiedelungen, welche sie auch nannten, überfallen und die dortigen Weißen ermorden, vorher aber nach dem Makik-Natun, reiten und dort den Kriegstanz aufführen, um die »Medizin« zu befragen, ob der Ueberfall gelingen werde. Diese Feierlichkeit sollte dadurch erhöht werden, daß die fünf Bleichgesichter, welche heute in ihre Hände geraten waren, am Marterpfahle sterben sollten.

      Jetzt kannte ich ihre Absichten und konnte den gefährlichen Lauscherposten aufgeben. Wenn es uns heute nicht gelang, die Gefangenen zu befreien, konnten wir den Indianern nach dem Makik-Natun folgen, um dort oder auch schon unterwegs eine bessere Gelegenheit dazu zu finden. Wir krochen also wieder zurück. Als wir unser voriges Versteck erreicht hatten, erkundigte sich Jim Snuffle:

      »Habe einiges verstanden, aber nicht alles. Was war das für ein Wort, Makik-Natun?«

      »Ein Comantscheausdruck, welcher aus dem Tonkawa-Dialekte stammt; er heißt soviel wie gelber Berg.«

      »Gelber Berg? Nicht wahr, dorthin wollen sie?«

      »Ja.«

      »Und dort sollen die Gefangenen abgeschlachtet werden, wenn ich richtig verstanden habe?«

      »Ja.« »Wo mag dieser Berg liegen? Wenn man das doch wüßte!« »Ich weiß es. Bin einigemal dort gewesen.« »Wirklich? Das ist gut, sehr gut. Liegt er weit von hier?« »Nur einen Tagesritt.« »Kennt Ihr von hier aus den Weg?«

      »Natürlich. Bin zwar noch nicht von hier aus dort gewesen, aber was wäre das für ein Westmann, der einen ihm bekannten Ort nicht von allen Seiten her zu finden wüßte. Der Makik-Natun ist eigentlich mehr ein Hügel als ein Berg, denn hier giebt es keine wirklichen Berge, ein kurzer, niedriger Höhenzug, welcher seinen Namen der hellen Farbe des dortigen Bodens verdankt.«

      »Warum aber mögen die Roten gerade dorthin wollen, um ihren Medizintanz auszuführen?«

      »Weil dort mehrere ihrer Häuptlinge begraben sind. Aber jetzt nicht länger schwatzen, Mr. Snuffle; folgt mir weiter! Wir müssen erfahren, wo die Pferde sind. Es gilt nicht nur, die Gefangenen zu befreien, sondern auch die Pferde für sie zu schaffen, weil uns sonst die Comantschen einholen würden.«

      Wir krochen von Busch zu Busch, um zunächst an die Thalwand zu kommen. Eben als uns dies gelungen war, glaubte ich, über uns ein Geräusch zu hören.

      »Still!« flüsterte ich Jim zu. »Habt Ihr nichts gehört?«

      »Nein,« antwortete er. »Ihr wohl?«

      »Ja.«

      »Wo?«

      »Da oben. Es war wie ein leises Niederrieseln von Sand. Es wird doch nicht etwa –---!«

      »Was?«

      »Euer Bruder. Das wäre die größte Dummheit, die er begehen könnte!«

      »Mein Bruder? Was soll mit ihm sein?«

      »Daß er seinen Vorsatz ausführen will, die Indsmen auch zu beschleichen.«

      »Fällt ihm nicht ein! Sollte mir nur kommen! Ich würde ihm – –«

      Er vollendete den Satz nicht und wäre vor Schreck aufgesprungen, wenn ich ihn nicht schnell festgepackt und niedergehalten hätte. »Sollte mir nur kommen,« hatte er gesagt. Ja, er kam, und zwar wie – nämlich sein Bruder! Erst gab es ein Rascheln von herabrollender und an die Büsche schlagender Erde, hierauf erscholl über uns der laute Ruf »Thunderstorm!« und dann kam es von der Höhe herabgesaust und mitten zwischen die Indianer hinein, daß diese erst auseinander sprangen und sich dann mit lautem Geschrei auf den Menschen warfen. Denn ein Mensch war es, und zwar Tim Snuffle, welcher seinen Vorsatz doch ausgeführt hatte. Er war unglücklicherweise gerade wie wir an die vorhin erwähnte Stelle gekommen, wo es einen Erdrutsch gegeben hatte, aber weniger vorsichtig gewesen, als wir. Sich zu weit vorwagend, hatte er die lockere Höhenkante unter sich in Bewegung gebracht und war auf dem niedergehenden Erdreiche wie auf einem Schlitten herabgefahren. Nun waren die Roten massenhaft über ihn her. Der unvermutete und vehemente Abrutsch schien ihm nichts geschadet zu haben, denn er schrie so kräftig, daß seine Stimme sogar das Gebrüll der Indianer übertönte. Und dem nicht genug, begann sein Bruder Jim auch zu schreien, der doch die größte Veranlassung zum Schweigen hatte.

      »Mein Bruder, mein Tim, mein alter Tim!« zeterte er, indem er versuchte, sich von mir loszureißen.

      »Wollt ihr still sein!« befahl ich ihm zornig, doch mit unterdrückter Stimme. »Ihr bringt ja auch Euch und mich in – –«

      »Sie machen ihn kalt; sie machen ihn kalt!« unterbrach er mich.

      Da ich am Boden lag und er sich aufgerichtet hatte, konnte ich nicht meine ganze Kraft in Anwendung bringen; ihm aber verlieh die Angst um seinen »alten Tim« doppelte Stärke; er riß sich von mir los und sprang fort, mitten unter die Indianer hinein. Ich sah ihn in ihrem Haufen verschwinden. Natürlich wurde er ebenso wie sein Bruder von ihnen sofort niedergerungen.

      Was sollte ich thun? Etwa ihm nach? Das fiel mir gar nicht ein! Ich blieb liegen, obwohl zu erwarten stand, daß die Indsmen die Umgebung schnell absuchen würden. Welch eine Unvorsichtigkeit, welch ein Unsinn erst von dem Einen und dann auch von dem Andern! Und das wollten gute Westmänner sein! Anstatt daß wir die fünf Gefangenen befreiten, waren es nun zwei mehr geworden. Und die weiteren Folgen!

      Die zeigten sich sofort, denn jetzt erklang die gebieterische Stimme des Häuptlings:

      »Tretet die Feuer aus, schnell! Vielleicht sind noch andere Bleichgesichter in der Nähe.«

      Diesem Befehle wurde augenblicklich Folge geleistet. Dabei entstand für kurze Zeit ein Wirrwarr, welcher einen Gedanken in mir aufkommen ließ, den ich ebenso schnell ausführte, wie er in mir entstanden war. Die Flammen verlöschten, doch da ich an der Erde lag, sah ich bei dem noch Weiterglimmen der Holzstücke, daß die Roten sich aufgeregt durcheinander bewegten und für den Augenblick nur an die beiden Snuffles dachten, für ihre vorherigen Gefangenen aber wohl keine Aufmerksamkeit hatten. Ich schnellte mich, nur halb aufgerichtet, vorwärts, nach dem Lager hin, kam glücklich zu den Gefesselten, faßte den von ihnen, den ich für Dschafar hielt, beim Kragen und zog ihn mit mir wieder zurück, dorthin, wo ich gelegen hatte.

      Die Indsmen hätten es sehen sollen, ja sehen müssen, aber in ihrer Aufregung sah es keiner von ihnen. Es war


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