Zurück zu Schmitt!. Johannes Hucke

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Zurück zu Schmitt! - Johannes Hucke


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ich weiß.“ Jetzt klang er wieder wie verrostet.

      Vorsichtig wandte Gisela den Kopf. Die Schrankwand. Das Sideboard. Die Bücherwand. Die Stereo-Anlage. Nichts davon schien im Gebrauch zu sein.

      „Wie lange ist das her? Mit Heidelinde?“

      „Zwei Jahre.“ Schmitt räusperte sich. „Und einen Monat. Und drei Tage.“

      „Gehst du manchmal raus?“

      „Wohin?“

      „Auf den Friedhof?“

      „Täglich.“

      „Oh.“

      „Ich weiß, dass man das heute nicht mehr so macht.“

      „Ist doch egal, was man so macht. Hauptsache ...“

      „Findest du das.“

      Oh, dass es schwierig werden würde, hatte Gisela sofort gewusst, als Jens Essenwein mit seinem Plan herausgerückt war. Aber sie hatte gehofft, dass sich etwas einstellen würde ... etwas von der Nähe zurückkäme, die ja doch immerhin weit über zwei Jahrzehnte lang Bestand gehabt hatte. Selbstverständlich war es andersherum gewesen: Nicht sie, die Jüngere, hatte um den Abteilungsleiter geworben, wie es seine biestige Gattin ihr – immer indirekt – vorgehalten hatte.

      Gisela war sein Trost gewesen.

      Und jetzt? Verflixt! Sie empfand widersprüchlich. Einerseits verabscheute sie Essenweins Idee, hatte zunächst dagegengeredet:

      „Das ist ... das ist Seniorenmissbrauch, jawohl!“

      Doch das Gegenargument hatte sie nicht von der Hand weisen können.

      „Was soll´s denn?“, war ihr der Direktor mit einem Mal fast menschlich vorgekommen, „wie lebt er denn? Ist das nicht furchtbar? Der Mann ist doch vollkommen isoliert. Wenn es uns gelingt, ihn wieder in die Firma zu holen, egal wie lange, befreien wir ihn immerhin aus seiner Isolation, okay? Das ist es doch wert! Auch wenn es zugegeben etwas heikel zugehen könnte, wenn die Ballenbergers anrücken und hier so einen Stinkstiefel als Geschäftsführer vorfinden. Hihi, das wünsch ich mir! Duell der Giganten.“

      Die Chancen, dass Schmitt zusagen würde, hatte der Direktor auf 50:50 eingeschätzt, Gisela Schlesinger auf 10:90.

      Da begann ihr Gegenüber auf einmal, betont sachlich, Fragen zu stellen.

      „Wie sieht´s mit den Kapitalrücklagen aus?“

      „Aufgezehrt. Alle. Seit Dezember. Da hat ...“

      „Und die Auftragslage?“

      „Man geht zur World Packaging über.“

       „Sag Ballenberger. Dieser englische Quatsch.“

      Es dauerte eine Viertelstunde, da hatte sich Kurt Schmitt durch präzises Nachhaken ein ungefähres Bild vom Zustand der Packura gemacht. Währenddessen war seine Stimme sicherer, seine Haltung aufrechter geworden.

      Er seufzte vernehmlich.

      „Willst du vielleicht doch einen Kaffee? Ich trinke nur morgens welchen. Sechs Tassen.“

      „Vielen Dank. Weißt du, der Essenwein sitzt doch unten im Auto.“

      „Wie kann er denn auf so eine beschissene Idee verfallen, ausgerechnet mich zu fragen? Er weiß doch, dass ich von den neuen Abläufen keinen Schimmer habe.“

      „Ich hatte den Eindruck, die neuen Abläufe sind ihm mittlerweile selbst suspekt.“ Gisela nutzte Kurts Nachdenklichkeit. „Jeder lernt dazu. Jedem muss man die Chance geben, dass er ...“

      „Ja, ja.“

      Und dann kam er, völlig unabsichtlich, dieser alles entscheidende Ausfallschritt ins Religiöse.

      „Vergebung, Kurt! Letztendlich sind wir alle auf Gnade angewiesen, irgendwann. Nicht?“

      Über Kurts heroische Vergangenheit bei den christlichen Pfadfindern hatte sie einst jedes Detail erfahren – und zwar hundertfach. Dennoch, der Rückgriff auf die gemeinsame protestantische Sozialisation war ohne Kalkül geschehen. Es arbeitete in Schmitt.

      Gern hätte er einen Korn genommen.

      „Also: Was hat er vor?“

      „Nur das eine, Kurt: Mit uns zur Packura fahren. Kurzer Rundgang. Und dann, in den nächsten Tagen ...“

       „Wenn, dann entscheide ich mich gleich. Geh bitte runter und sag ihm: in fünf Minuten. Wir fahren mit meinem Auto. Ich habe Zeit bis 15.30. Dann muss ich auf den Friedhof. Zu einer Besprechung.“

      Es war der erste gelungene Witz seit fünf Jahren.

      In exakt fünf Minuten kam Schmitt die Treppe herunter.

      Was war mit ihm vorgefallen? Sicher, er hatte sich rasiert. Hatte ein frisches Hemd angezogen. Die Haare vermittels Pomade in die altangestammte Scheitelform gebracht. Aber das Entscheidende: die schräggestreifte Krawatte! Aus der Mode gekommen gegen Ende der Siebziger Jahre, stellte das Accessoire einen so feurigen Kontrast zu allem dar, was irgendeiner heute trug, Politiker ausgenommen, dass Gisela loskichern musste.

      „Sie haben ja gute Laune ...“, wunderte sich Essenwein.

      Gisela konnte nicht antworten. Zwar hatte sie ein schlechtes Gewissen deswegen, doch deutete sie in die Richtung, aus der Schmitt herannahte, offensichtlich um einen energischen Auftritt bemüht.

      Da lachte auch der Direktor.

      Kurz darauf bemerkte Gisela, dass es doch nicht die Krawatte war, jedenfalls nicht in der Hauptsache; die Art und Weise, wie Schmitt seinen ehemaligen Vorgesetzten begrüßte, kannte sie nur zu gut, diese gleichwohl joviale, dabei vollkommen loyale und dienstbeflissene Angestellten-Attitüde. Dies also war vor sich gegangen: in den wenigen Minuten, seit Gisela Schlesinger auf die zäh läutende Klingel gedrückt hatte, war eine Verwandlung vollzogen worden – aus dem in jeder Hinsicht geknickten, perspektivlosen, vereinsamten alten Miesepeter hatte sich der Abteilungsleiter von ehedem herausgeschält.

      Nicht zu glauben.

      Während Essenwein gewartet hatte, waren ihm allerlei unerfreuliche Details durch den Kopf gegangen. Dieser Zorn, diese Verachtung, diese Radikalität hatten ihn verwirrt. Nach und nach hatte sich die Aggressionslust, die aus Schmitts Brief sprach, materialisiert: Jens sah es vor sich, wie die Haustür zu diesem tristen Vorstadtbau aus den Fünfzigern sogleich mit Macht aufgerissen würde ... und ein gutes Dutzend rachelüsterner Plagen mit gesträubten Haaren, Hacken und Harpunen (wieso eigentlich Harpunen?) sich hornissengleich auf ihn stürzten. Das kam in letzter Zeit öfter vor, solch blödsinnige Sekundenvisionen, allesamt Zeichen der Überarbeitung und demzufolge Nervenreizung, welche die Kurbedürftigkeit mit Macht unterstrichen.

      „Mehrere übergangene Burnouts“, hatte sein vorvorletzter Arzt vielsagend genickt. Ob das ernst gemeint war? Gab´s das?

      Essenwein hatte vergessen zu fragen.

      Und dann kam die Begrüßung.

      Fest und warm wie früher war Schmitts Händedruck. „Durch und durch ein Profi“, sinnierte der Direktor erleichtert, bemerkte aber, dass der Pensionär auf der linken Seite unterm Ohr schlecht rasiert war. Jens schüttelte zurück, übertrieben herzlich.

      „Also das ist ja fantastisch, Herr Schmitt! Sie sind ein Mann, auf den man sich verlassen kann. Toll! Wirklich toll!“

      Der Konter blieb nicht aus.

      „Ich habe nichts versprochen. Dass ich mich in den alten Anzug gezwängt hab, verdanken Sie Frau Schlesinger. Mein Auto steht um die Ecke.“

      Die Sekretärin und der Direktor wurden genötigt, auf dem Rücksitz des historischen Mercedes Platz zu nehmen. „Sein Auto ist besser in Schuss als die Wohnung“, dachte Gisela.

      Dann begann eine Fahrt, wie sie beide noch nicht erlebt hatten; der schon immer zackige, besser: ruckhafte Fahrstil hatte sich im Laufe der


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