Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani

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Vom Kap zum Kilimandscharo - Ludwig Witzani


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Knysa oder im Tsitsikamma Nationalpark weiß die blühende Natur nichts von den Nöten der großen Städte, und allenthalben stößt man auf vertraute Spuren Europas in einem ganz anderen Winkel der Welt (vgl. S. 78ff.). Erheblich heikler war es in der Transkei und Durban, die ich mit den Büchern von J.M. Coetze im Gepäck bereiste. (vgl. S. 119ff.). In der alten Provinz Natal, zwischen den Stränden des Indischen Ozeans und dem Krüger Nationalpark begegnete ich der Geschichte Südafrikas auf Schritt und Tritt. Vom Schlachtfeld am Blood River bis zum Burenmonument von Pretoria führte mich die Reise durch eine vielfach geschichtete Wirklichkeit, deren Konturen und Farben täglich wechselten – schwarz waren die Dörfer, blutrot die Bougainvilleas neben alten anglikanischen Kirchen, blütenweiß die Kleider der weißen Mädchen, die die Sonntagschule in Ladysmith besuchten, korrodiert die alten Kanonen aus den Zulukriegen und obszön-martialisch der Gesichtsausdruck des burischen Schwertträgers am Vortrekker-Monument. Dann wieder das Afrika aus dem Touristenkatalog, der Drive-in Krüger Nationalpark, in dem die Tiere mittlerweile so adaptiert sind, dass sie die Fahrzeuge auf den Asphaltstraßen kaum noch beachten und ihre Leben leben, als wären die Menschen gar nicht da. Kurz und gut – es gibt reichlich Gründe, Südafrika zu bereisen. Nur in Johannesburg braucht man sich nicht über Gebühr lange aufzuhalten.

Titel

      Stadt mit doppeltem Boden

      Tage in Kapstadt

      Die 747 flog eine Schleife und leitete den Landeanflug ein. Unter uns erstreckte sich eine grüne Hügellandschaft wie ein verdoppeltes Europa am anderen Ende der Welt. Ineinander verkeilte Wolkentürme markierten den Schnittpunkt zweier Ozeane, die Ausläufer ihrer stürmischen Winde versetzten die Maschine in leichte Vibration. Gebirgszüge umrahmten weite Anbauflächen, die von oben einer Strichzeichnung glichen, als wolle sich die Fruchtbarkeit des Südens als abstrakte Skizze in den Himmel projizieren. Willkommen in einer der schönsten Landschaften der Erde.

      Noch beeindruckender war die Anreise über Land. Nach der langen Wüstenfahrt durch die lebensfeindliche Leere der Namib und die nördliche Kapprovinz wurde die Bucht von Kapstadt sichtbar. Zunächst war es nur der Tafelberg, der wie ein Monolith am Horizont emporwuchs. Dann differenzierte sich das Bild. Vom Bloubergstrand aus waren die weißen Gebäude der Stadt wie eine zweite Dünung zu erkennen. Weit und menschenleer zog sich die Bucht nach Süden, vorüber an Sandstränden, Pinguinkolonien und der ehemaligen Sträflingsinsel Robben Island, vorbei an Restaurants und Strandhäusern, bis die Straße das unmittelbare Einzugsgebiet Kapstadts erreichte, wo der gigantische Tafelberg alles überwölbte.

      Was ist die schönste Stadt der Welt? An Nominierungen für diesen Ehrentitel besteht kein Mangel. Alexander von Humboldt hatte Salzburg in die engere Wahl gezogen. Für André Malraux war es Venedig, für den brasilianischen Romancier Jorge Amado Salvador de Bahia, und für Woody Allen stand New York ganz oben auf dem Treppchen. Meine Favoriten waren Rio de Janeiro und Istanbul, aber Kapstadt gehörte zweifellos mit in die engere Wahl. Aber was waren die Elemente dieses Rankings? Historisches Flair? Die Landschaft, in die die Stadt eingebettet war? Ihre Bausubstanz, ihr kulturelles Leben? Oder ihre Peripherie - dann allerdings müsste Kapstadt als Kandidat sofort von dieser Liste verschwinden,

      Denn wenn man sich der Stadt von Osten näherte, vorbei an den Squattersiedlungen und Townships im Umkreis des Flughafens, dann verschwanden Schönheit und Wohlgestalt wie weggeblasen. „Er ist nicht einmal drei Monate fortgewesen“, ließ der südafrikanische Nobelpreisträger J.M. Coetze dseinen Protagonisten David Lurie in dem Roman „Schande“ sinnieren, „doch während diese Zeit waren die Elendsviertel über die Autostraße hinweg gewachsen und hatten sich östlich vom Flughafen ausgebreitet.“ Das war nun auch schon einige Jahre her, und längst hatten sich die Townships noch näher an Flughafen und Peripherie herangearbeitet Überall an den Straßenrändern standen Männer, Frauen, Jugendliche und suchten nach einer Mitfahrgelegenheit in die Stadt, weil der öffentliche Nahverkehr nicht funktionierte. Zigtausende fuhren aus den Cap Flats alltäglich in die Stadt zur Arbeit, hinein in das Zentrum der glänzenden Metropole, um sie am Abend wieder zu verlassen, um in die Tristesse ihrer Blechhütten zurückzukehren.

      Eine Generation nach dem großen Wandel am Kap hatte sich die Situation der schwarzafrikanischen Mehrheitsbevölkerung nicht entschieden verbessert. All die Mittel, die für Elektrifizierung der Townships und Vorstädte, für Abwasserkanäle, Schulen, Krankenhäuser und Verkehrsverbindungen ausgegeben worden waren, hatten den Lebensstandard nicht angehoben. Mit dem explosionsartigen Wachstum der schwarzafrikanischen Bevölkerung hielt die Ausweitung des öffentlichen Wohlfahrts- und Infrastruktursektors einfach nicht mit. Das Land stöhnte unter überbordender Kriminalität, exzessivem Alkoholismus und Drogenmissbrauch - nicht überall sichtbar, aber an den Rändern der großen Städte schmerzhaft präsent. Die Zeitungen waren voll von Berichten über „Tik“, eine leicht herzustellende Massendroge auf Amphetaminbasis, die persönlichkeitsverändernd wirkte und die sozialen Beziehungen zerstörte. Längst war der ANC, der African National Congress, der vor einer Generation den Wandel am Kap erkämpft hatte, in Inkompetenz und Korruption erstarrt. Auf Nelson Mandela, die Lichtgestalt des späten 20. Jahrhunderts, war Präsident Zuma gefolgt, ein Vergewaltiger und Schieber, der nur durch die noch leidlich funktionierenden Institutionen der Gewaltenteilung an der Aufrichtung einer Diktatur gehindert wurde.

      Dann wieder ganz andere Bilder im Zentrum von Kapstadt, so krass und unvermittelt, als hätte man das Fernsehprogramm gewechselt. Die bunten Straßenszenen an der St. Georges Mall, die einladenden Restaurants an der Waterfront und die herausgeputzten Fassaden des Bo-Kaap-Viertels befanden sich ein Universum entfernt von den überfüllten Townships, die ich gerade erst passiert hatte. Kapstadts urbanes Zentrum präsentierte sich wie eine Prosperitätszone aus einem anderen Kontinent, eine Region der Reichen und Etablieren, die in ihren Premium-Limousinen vor Markengeschäften parkten, in denen die gleiche Mode verkauft wurde wie in London oder New York. Große Bürokomplexe beherbergten die Firmenzentralen internationaler Konzerne, die die immensen Bodenschätze vermarkteten, die Südafrika noch immer zum wirtschaftlich stärksten Land Afrikas machten.

      Erst auf den zweiten Blick wurde eine Doppelbödigkeit sichtbar, die mir auf meiner Reise durch Südafrika noch oft begegnen sollte. In einem Hauseingang lag ein schwarzafrikanischer Obdachloser, betrunken oder vom Rauschgift benebelt. Bettler saßen vor den Eingängen der Kaufhäuser, und in den Seitenstraßen türmten sich die ersten Müllhaufen - wohlgemerkt, alles nicht so aufdringlich und bildfüllend wie in Daressalam oder Lusaka, aber unverkennbar gegenwärtig als Indiz dafür, dass auch diese Stadt der Ersten Welt von den Armeen der Armut bedroht wurde. Noch fuhren die Weißen in stattlichen Limousinen durch die Stadt, während ihnen die schwarzen Dienstleister die Parkplätze freihielten, aber die Zahl der bettelnden Kinder, die wie ausgemergelte kleine Trolle vorbeihuschten, nahm zu. So schnell konnte die Polizei sie gar nicht wegschaffen, dass die Touristen ihre Auftritte nicht bemerken würden.

      Beim Abendessen im Hotelrestaurant hoch über der Stadt saßen zwei Touristen aus England am Nebentisch, beide waren leger gekleidet, einer trug eine Kappe auf dem Kopf. Ein Kellner trat an den Gast heran und bat ihn, die Kappe abzunehmen, was den Gast offenbar erstaunte, ehe er nach kurzem Zögern dem Wunsch nachkam. Die Pointe dieser Szene bestand darin, dass der Restaurantangestellte, der den Gast aufgefordert hatte, seine Kappe abzunehmen, ein Schwarzer war und der Gast weiß. Ich blickte mich um und sah, dass alle Kellner schwarz waren und die Gäste weiß. Nur eine indische Familie, Mutter Vater, zwei Töchter, saßen an einem Fenstertisch, alle akkurat gekleidet und ersichtlich darauf bedacht, die Formen zu wahren.

      Eine Metapher von Peter L. Berger fiel mir ein, der in der globalisierten Welt zwei Kategorien von Menschen unterschied: die „Wahlschweden“ und die „Wahlperser“. Die „Wahlschweden“ lebten in der belle Etage, ihr Alltag und ihre Fortbewegung vollzogen sich einfach und unkompliziert, weil in der Parterre die „Wahlperser“ die Dienstleistungen und Kärrnerarbeiten ausführten

      In der Nacht fielen Schüsse. Dann hörte ich Geschrei auf den Straßen, schließlich die Sirene eines Polizeiwagens. Am Morgen wurde berichtet, dass sich vor dem Hotel ein Überfall ereignet hatte.


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