Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer

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Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten - Christian Springer


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Bach noch Mozart, Beethoven oder Verdi hätten ihre Periode bezeichnen, den Verlauf ihres Schaffensprozesses definieren oder deren jeweilige Höhepunkte bezeichnen können.

      Das Gesagte gilt auch für die Lebenszeit einer Kunstform wie der Oper. Ungeachtet aller Stile und im nachhinein gewählter Epochenbezeichnungen wie Barock, Klassik oder Romantik hat auch die Kunstform und ihre Ausübung immer wieder Zeiten der Hochblüte erlebt, ob es sich nun um die Epoche der neapolitanischen Oper oder jene der Zeiten der großen Interpreten des Belcanto wie Primadonnen und Kastraten im 17. und 18. Jahrhundert gehandelt hat. Daß die einzelnen Komponisten – abgesehen von den Pionieren wie Peri oder Monteverdi – eine Hochblüte der Kunstform und ihrer Interpretation jeweils zumeist in der Zeit der eigenen Jugend ausmachten und die eigene Gegenwart im Vergleich dazu als Niedergang betrachteten, liegt in der Natur der Dinge und der menschlichen Psyche.

      Daraus abzuleiten, daß früher alles besser war, ist – nicht nur wegen der pauschalen Vereinfachung und Verallgemeinerung des Sachverhaltes – ein zweischneidiges Schwert. Der Ausspruch: „Früher war nicht alles besser. Nur das Schlechte war besser gemacht“ ist zwar witzig und trifft auf Einzelbereiche zu, ist aber nicht allgemeingültig. Zutreffend ist die Sichtweise, daß früher nicht alles besser, sondern einfach nur anders war.

      Der Cellist Mstislav Rostropowitsch (1927-2007) hat in einem kurz vor seinem Tod produzierten TV-Portrait[6] die Entwicklung zusammengefaßt. „Zu meiner Zeit“, sagte er sinngemäß, „gab es weltweit fünf bis sechs Cellisten, die auf meinem Niveau spielten. Heute gibt es zweihundert und mehr.“ Diese Beobachtung trifft auf Pianisten, Geiger und Sänger gleicherweise zu, ebenso auf Orchester. Es ist geradezu lächerlich, wenn Musikchauvinisten heute behaupten, dieses oder jenes Opernhaus oder dieses oder jenes Orchester sei „das beste der Welt“. Schon Verdi fand derlei Behauptungen lächerlich: „Und überhaupt: das Erste Theater der Welt!? Ich kenne fünf oder sechs dieser Ersten Theater, und ausgerechnet in denen macht man am häufigsten schlechte Musik.“[7]

      Wer Ohren hat, um zu hören, und mit international tätigen Dirigenten spricht, weiß, daß die Orchester der großen Opernhäuser wie auch die renommierten Symphonieorchester weltweit heute praktisch alle auf demselben hohen Niveau spielen. Auch verschiedene Jugendorchester können da durchaus mithalten. Unterschiede zwischen Orchestern sind allenfalls aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Instrumente feststellbar, oder auch in der Philosophie der einzelnen Orchester. James Levine beispielsweise hat im Laufe seiner jahrzehntelangen Tätigkeit an der Metropolitan Opera, New York, die Spielweise des Orchesters dieses Hauses daraufhin ausgerichtet, daß es im Falle einer plötzlich auftretenden Diskrepanz zwischen Orchestergraben und Bühne, die ein Dirigent nicht blitzartig beheben kann, bei den Sängern – Solisten und/oder Chor – „bleibt“, d.h. sich aus eigenem Antrieb darauf konzentriert, die Begleitung der Stimmen aufrechtzuerhalten und nicht auf allfällige, in der Hektik möglicherweise falsche Reaktionen des Dirigenten achtet. So etwas war einmal an der Wiener Staatsoper zu beobachten, als einem berühmten Dirigenten das Schlußterzett im Rosenkavalier so hoffnungslos auseinanderfiel, daß er den Taktstock wegwarf und laut „Aufhören!“ rief. Der Konzertmeister überließ den Maestro seiner Panikattacke und fing Orchester und Solisten wieder ein.

      Ebenso weiß man, daß die Qualitätsunterschiede zwischen den Orchestern sogenannter erster Häuser und jenen mittlerer und sogar kleinerer Häuser immer geringer werden. Ein (vorwiegend aus Laien zusammengesetztes) Orchester eines mittleren oder sogar großen italienischen Opernhauses aus der Mitte des 19. Jahrhunderts[8] heute zu hören, ließe einen wohl an die Darbietung der Banda eines süditalienischen Dorfes, die auf dem Hauptplatz Opernpotpourris darbietet, denken.

      Auch wenn heute oft beklagt wird, es gäbe keine großen Sängerpersönlichkeiten mehr, trifft das nur bedingt zu. Es gibt sie, in statu nascendi, sozusagen als Rohmaterial, nach wie vor. Und da es im Vergleich zu früher so viele gibt, die hervorragend ausgebildet sind und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere besitzen, können sie sich oft nicht entwickeln, sich durchsetzen und entsprechend ihrem Potential und Können bekannt werden, weil sie zumeist nicht an kleinen und mittleren Häusern sorgfältig und langsam aufgebaut werden, sondern sofort nach der Ausbildung mit (zu) großen und schweren Aufgaben betraut und im internationalen Opernbusiness herumgereicht werden. Das ist verlockend, weil man rasch bekannt wird und gut verdient, führt aber karrieremäßig kaum irgendwo hin. „Heute arbeitet niemand mit diesen Leuten“, sagt die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova, „damit sie womöglich auch zu Persönlichkeiten heranreifen können. Manchmal scheint es, als würde Persönlichkeit sogar stören.“[9] Die Betroffenen machen die Karrieren, die sie eigentlich machen könnten, dann oft nicht, weil die Stimme binnen kurzem überfordert und beschädigt wird, aber auch, weil andere Kollegen physisch resistenter oder billiger sind, willfähriger, an unsäglichen Inszenierungen mitzuwirken, über bessere Beziehungen und Netzwerke verfügen, aggressivere Agenten oder stärkere Nerven haben usw. Die Anzahl der potentiellen Könner beträgt jedenfalls ein Vielfaches von jenen, die dann tatsächlich Karriere machen. Ausnahmen wie die sattsam bekannten, von PR-Maschinerien und Medien extrem und besinnungslos gehypten Karrieren, die dann auch nach wenigen Jahren wieder vorbei sind, bestätigen die Regel.

      „Heute macht man auf der Bühne das, was der Markt fordert oder was der Regisseur will“, stellt die Sopranistin Montserrat Caballé fest. „Und wenn sich Erfolg einstellt, werden die jungen Sänger verrückt und wagen alles – obwohl ihnen noch die Reife fehlt. Viele Operndirektoren sind nur noch Funktionäre oder Manager, die auf den Kartenverkauf schauen. Und manchmal sehe ich Vorstellungen, die einfach peinlich sind. Dann denke ich: ‚Der arme Komponist, was hat man mit ihm gemacht.‘“[10]

      Daß der Klassiksektor der Musikindustrie seit Jahren in einem beklagenswerten Zustand ist, ist bekannt. Weniger bekannt sind die Gründe, die zu dieser Misere geführt haben. Obwohl oft die Internetpiraterie als Hauptverursacher der eingebrochenen Verkaufszahlen ins Treffen geführt wird (wobei unberücksichtigt bleibt, daß nicht jeder, der sich Musik irgendwo gratis herunterlädt, auch wirklich ein potentieller Käufer des Produkts wäre), sind sie zum Teil selbstverschuldet. Der Bariton Thomas Quasthoff, der 2012 seine Gesangskarriere abrupt beendete, gibt darüber Auskunft: „So wie die Branche mittlerweile funktioniert, bin ich froh, auch mit diesen Dingen in Hinkunft nichts mehr zu tun haben zu müssen. [...] Seit 1999 hatte ich [bei der Deutschen Grammophon] zehn unterschiedliche Produzenten erlebt, auch da war keine Kontinuität. Es gibt auch keine Kontinuität in dem Sinne, daß junge Sänger in aller Ruhe aufgebaut werden. Auch war die exklusive Zugehörigkeit eines Künstlers zur DG früher eine hohe Auszeichnung. Das kann ich nicht mehr entdecken. Da werden Leute schnell hochgepuscht, die den Status gar nicht verdienen. [...] Die Zeiten haben sich geändert. Wenn ich mir heute von einem 30jährigen Wirtschaftsmenschen sagen lassen soll, wie das Musikgeschäft funktionieren muss – dazu habe ich mit 52 keine Lust. Ein Beispiel: Als ich meine erste Jazz-CD plante, kam tatsächlich ein Marktanalytiker zu mir und meinte, sie hätten eine Untersuchung durchgeführt und diese hätte ergeben, die CD würde überhaupt niemanden interessieren, würde nicht laufen! Wie konnten die eine Analyse machen, wo sie doch das Produkt nicht wirklich kannten, überhaupt nicht wussten, was für Repertoire geplant war? Das kann es doch nicht sein! Die Tatsache dazu: Das Jazzprojekt führte zur zweiterfolgreichsten CD in meiner DG-Karriere, verkauft wurden fast 100.000 Stück. So sieht das heute aus. Da sitzen Leute, die glauben, mir etwas über Musik und Management erzählen zu können – da lache ich mich kaputt!“[11]

      W

      ie der folgende Zitatenquerschnitt zeigt, setzte der Niedergang der Gesangskunst bald nach der Etablierung der Kunstform Oper ein. Schon 1723 beklagte Pier Francesco Tosi dies in einem Werk[12], das auch heute noch immer wieder neu aufgelegt wird: „Meine Herren Maestri, in Italien hört man nicht mehr die Stimmen der vergangenen Zeiten!“ Fünfzig Jahre später schlug Giovanni Battista Mancini in dieselbe Kerbe: „Viele meiner Leser werden sich fragen, weshalb nach einer so großen Anzahl von tüchtigen Sängern seit einiger Zeit nicht nur bei den Italienern selbst, sondern sogar bei den Menschen jenseits der Alpen die Meinung entstanden ist, daß unsere Musik völlig in Verfall geraten ist und daß es an guten Schulen und guten Sängern mangelt. [...] Man muß jedoch zugeben, daß diese Meinung hinsichtlich der Sänger leider der Wahrheit entspricht, bei denen man fast niemanden nachkommen


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