Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 8. Frank Hille
Читать онлайн книгу.Die Männer im Boot spürten deutlich, dass das Boot auf dem Wagen angedockt hatte, es gab einen leichten Ruck. Haberkorn und die anderen gingen über eine Stelling von Bord und beobachteten die weitere Prozedur. Das Boot wurde noch mit dicken Tauen gesichert, dann setzte sich der Aufschleppwagen langsam in Bewegung. Dieser erreichte nach kurzer Zeit die mehrere Meter über dem Wasserspiegel liegende Bunkeranlage Keroman I und Keroman II. Vor den Boxen wurde das Boot auf eine Schiebebühne transportiert. Diese Bühne verlief vor beiden Bunkern, so dass alle Boxen dort erreicht werden konnten. Vor der dritten Trockenbox hielt der Wagen, dann wurde das Boot dort hineingeschoben und auf Packholzklötzen mit dem Kiel aufgesetzt. Balken dienten zum Abstützen an den Wänden des Docks.
Martin Haberkorn ging mit den anderen zum Kai zurück, dort wartete bereits ein Bus auf die Männer. Das Fahrzeug setzte sich in Bewegung und fuhr durch die unansehnliche Stadt. So wie Brest war Lorient eine typische vom Fischfang geprägte Hafenstadt. Lediglich einige Jugendstilhäuser gaben dem Stadtbild etwas Charakter, aber große Anziehungskraft hatte sie nicht. Außerdem gab es bereits etliche Bombenschäden weil die Alliierten den Hafen und die Bunker öfter angriffen. Selbst schwere Bomben hatten die Stahlbetonkonstruktionen aber bisher nicht beschädigen können, die Decken der Bauwerke waren 3,5 Meter dick. Der Bus schwenkte auf eine Landstraße außerhalb der Stadt ein und fuhr noch gut 2 Kilometer auf dieser Straße, dann bog er auf einen Waldweg ab und hielt vor einem Schlagbaum. Der Posten kontrollierte die Papiere, dann konnte der Bus in das eingezäunte Gelände fahren. Die Gegend war mit Nadelbäumen bewachsen und von einem zentralen Platz aus, wo der Bus jetzt parkte, führten schmale Wege zu unter den Bäumen stehenden Baracken. Haberkorn wusste was ihn erwartete, es waren die typischen Standardbauten mit 4-Bettzimmern mit Spinden, Tischen und Stühlen, einer Toilettenanlage und den Waschräumen. Er als Offizier würde über ein Zimmer für sich allein verfügen. Am Appellplatz wäre sicher eine Baracke als Speisesaal eingerichtet worden und womöglich gab es auch eine Offiziersmesse, wo er sich abends die Langeweile ein wenig vertreiben könnte. Heute war für die Besatzung aber ein Umtrunk in der Stadt in einem Hotelrestaurant geplant, 2 Busse würden die Männer aus dem Lager abholen und dann auch wieder zurückbringen. Haberkorn war kein Freund solcher Veranstaltungen, aber drücken konnte er sich davor auch nicht. Das ihm zugewiesene Zimmer war spartanisch eingerichtet aber sauber. Im Vergleich zu seinem Schlafplatz im U-Boot kam ihm die Stube riesig vor und er würde sich erst wieder daran gewöhnen müssen, Licht durch das Fenster zu haben. Er zog seine nach Diesel und Schmutz riechende Bordkombi aus und warf sich auf das Bett, in ein paar Minuten wollte er in den Waschraum gehen, sich rasieren und waschen. Wenn er Glück hätte, würde es dort vielleicht auch Duschen geben, und die würde er ausgiebig nutzen.
Günther Weber, 17. September 1942, Russland, Bjelow
Als er wieder zu sich kam dröhnte Günther Weber der Kopf und er hatte Schmerzen in der linken Schulter. Auf seinem Körper spürte er eine drückende Last. Rings um ihn war es still, etwas weiter entfernt hörte er Gefechtslärm. Weber versuchte sich zu bewegen und schaffte es mit einiger Mühe, den auf ihm liegenden Körper wegzuschieben. Dann zog er sich mit zusammengebissenen Zähnen mit den Armen bis an die Grabenwand heran und drückte sich hoch, so dass er sitzen konnte. Sein linker Arm verursachte höllische Schmerzen und er konnte ihn kaum benutzen. Er schaute sich um. In dem von ihm überschaubarem Grabenstück lagen Leichen, Russen und Deutsche. Als er russische Stimmen hörte rutschte er wieder nach unten, drehte sich auf den Bauch und drückte seinen Kopf in den Dreck. Er hörte Schritte näher kommen und weitere Wortwechsel. Plötzlich wurde sein rechter Arm gepackt und hochgehoben. Weber hielt den Atem an und stellte sich tot. Finger nestelten seine Uhr ab, dann gingen die Russen weiter. Sie schienen guter Dinge zu sein, denn er hörte noch eine Weile freudige Ausrufe, die Ausbeute war wahrscheinlich gut. Dass die Russen sich im Graben bewegten war ein klares Zeichen dafür, dass sie die Stellung überrannt hatten. Weber hatte nichts anderes erwartet, als die deutschen schweren Waffen ausgeschaltet worden waren hatten die SS-Männer dem Gegner nichts mehr entgegenzusetzen. Er ahnte, dass die Kompanie heute dermaßen dezimiert worden war, dass sie wohl faktisch gar nicht mehr existierte. Zu Beginn des Krieges hatte er in Polen schon etwas Ähnliches erlebt und er fragte sich, warum er bis jetzt immer unbeschadet davon gekommen war. Seine Verwundung war nicht schwerwiegend, das wusste er. Einige Splitter der Sprenggranate waren in seine linke Schulter und den Arm eingedrungen und diese würde man später eventuell alle entfernen können. Die Blutungen hatten bereits aufgehört und die Uniform klebte schon an den kleinen Wunden, er musste sich also keine Sorgen machen zu verbluten. Was für ihn hochgefährlich war, dass er sich jetzt im Hinterland der Russen befand und er seinen linken Arm nicht benutzen konnte, also auch kein Gewehr oder eine MPi halten konnte. Von rechts her hörte er Motorengeräusche. Er richtete sich mühsam auf und schaute über den Grabenrand. Auseinandergezogen rollten deutsche Panzer IV über das Gelände, ihnen folgten Schützenpanzerwagen. Die Grenadiere saßen ab und stiegen an verschiedenen Stellen in den Graben. Weber sackte wieder nach unten und drückte sich an die Wand. Es durfte jetzt nicht passieren, dass die nervösen Soldaten durch Bewegungen von ihm irritiert wurden. Er saß ganz ruhig da, als er deutsche Stimmen hörte.
„He Rudi, komm‘ mal her, hier scheint einer noch zu leben.“
Günther Weber schaute auf drei Wehrmachtssoldaten, einer von ihnen war Sanitäter.
„Schlimm“ fragte der Mann nur.
„Splitter in Arm und Schulter.“
„Kannst du laufen?“
„Ja.“
„Allein?“
„Wird schon klappen.“
„Dann geh‘ zu den Schützenpanzerwagen. Einer ist für den Verwundetentransport eingerichtet. Wir haben schon n paar Männer eingesammelt, aber die hat’s böser erwischt. Mann, eure Truppe hat’s aber auch schlimm erwischt.“
Günther Weber kletterte mit Anstrengung aus dem Graben, dann ging er zu den Schützenpanzerwagen. Er stieg in den Verwundetentransporter ein und hockte sich auf die im hinteren Teil des Fahrzeuges angebrachte Sitzbank. Weiter vorn waren in zwei Etagen Halterungen für Tragbahren angebracht, dort lagen vier Männer. Ihm gegenüber saß ein SS-Mann, der einen blutigen Verband um den Kopf trug und dessen rechte Hand schon mit Binden umwickelt war. Beide schauten sich mit leeren Augen an und schwiegen. Der SPW rumpelte über das Gelände, dann erreichte er eine Straße und wurde dort schneller. Mit 50 Kilometern in der Stunde kam das Fahrzeug voran, in einer Stunde sollte es das nächste Lazarett erreicht haben. Günther Weber saß mit geschlossenen Augen da und war erstaunt, dass er noch lebte. Die plündernden Russen waren so auf weitere Beutestücke fixiert gewesen, dass sie sich wenig Zeit nahmen die Toten weiter zu durchsuchen. Das war sein Glück gewesen, ansonsten hätten sie ihn erschossen oder mit dem Bajonett getötet.
Das Lazarett war in einer Schule untergebracht. In den ehemaligen Klassenzimmern standen Betten, ein größerer Raum war zum OP umfunktioniert worden. Weber war bei der Ankunft von einem Arzt untersucht worden.
„Noch mal Glück gehabt, Untersturmführer“ sagte der Mann „die Splitter holen wir heute noch raus, aber Sie müssen noch warten. Drei Ihrer Kameraden müssen vorher drankommen, die hat es arg erwischt. Das werden wohl Amputationen werden. Aber lieber einen Arm oder ein Bein verlieren, als das ganze Leben. Gehen Sie zu Schwester Anna, die wird Sie auf den Eingriff vorbereiten. Also schon mal die Wunde säubern und so weiter. Wir holen Sie dann.“
Die Schwester half Weber, seine Sachen abzulegen. Sie war geschickt und löste die angetrockneten Stücke vorsichtig ab. Dann säuberte sie den Wundbereich mit einer Lösung. Weber schaute auf die Stelle. Wie kleine Schnitte in der Haut dachte er sich. Es tat weh, aber es war auszuhalten. Als die Schwester gegangen war ließ er sich auf das Bett fallen und schloss die Augen. Kurz darauf war er eingeschlafen. Als er angesprochen wurde fuhr er hoch und wusste einen Moment nicht wo er war. Dann sah er die Schwester, die ihn in den OP Saal brachte. Er musste sich mit freiem Oberkörper auf den Tisch legen, dann injizierte ihm ein Arzt an mehreren Stellen um das Wundgebiet eine Flüssigkeit.
„Ich habe Ihnen ein Mittel für die örtliche Betäubung gespritzt“ erklärte er Weber „das wird in 3 Minuten wirken und dann hole