Jenseits von Gut und Böse: Zur Genealogie der Moral. Friedrich Nietzsche Nietzsche

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Jenseits von Gut und Böse: Zur Genealogie der Moral - Friedrich Nietzsche Nietzsche


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Ein Volk ist der Umschweif der Natur, um zu sechs, sieben grossen Männern zu kommen. – Ja: und um dann um sie herum zu kommen.

      127. Allen rechten Frauen geht Wissenschaft wider die Scham. Es ist ihnen dabei zu Muthe, als ob man damit ihnen unter die Haut, – schlimmer noch! unter Kleid und Putz gucken wolle.

      128. Je abstrakter die Wahrheit ist, die du lehren willst, um so mehr musst du noch die Sinne zu ihr verführen.

      129. Der Teufel hat die weitesten Perspektiven für Gott, deshalb hält er sich von ihm so fern: – der Teufel nämlich als der älteste Freund der Erkenntniss.

      130. Was jemand ist, fängt an, sich zu verrathen, wenn sein Talent nachlässt, – wenn er aufhört, zu zeigen, was er kann. Das Talent ist auch ein Putz; ein Putz ist auch ein Versteck.

      131. Die Geschlechter täuschen sich über einander: das macht, sie ehren und lieben im Grunde nur sich selbst (oder ihr eigenes ideal, um es gefälliger auszudrücken –). So will der Mann das Weib friedlich, – aber gerade das Weib ist wesentlich unfriedlich, gleich der Katze, so gut es sich auch auf den Anschein des Friedens eingeübt hat.

      132. Man wird am besten für seine Tugenden bestraft.

      133. Wer den Weg zu seinem Ideale nicht zu finden weiss, lebt leichtsinniger und frecher, als der Mensch ohne Ideal.

      134. Von den Sinnen her kommt erst alle Glaubwürdigkeit, alles gute Gewissen, aller Augenschein der Wahrheit.

      135. Der Pharisäismus ist nicht eine Entartung am guten Menschen: ein gutes Stück davon ist vielmehr die Bedingung von allem Gut-sein.

      136. Der Eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedanken, der Andre Einen, dem er helfen kann: so entsteht ein gutes Gespräch.

      137. Im Verkehre mit Gelehrten und Künstlern verrechnet man sich leicht in umgekehrter Richtung: man findet hinter einem merkwürdigen Gelehrten nicht selten einen mittelmässigen Menschen, und hinter einem mittelmässigen Künstler sogar oft – einen sehr merkwürdigen Menschen.

      138. Wir machen es auch im Wachen wie im Traume: wir erfinden und erdichten erst den Menschen, mit dem wir verkehren – und vergessen es sofort.

      139. In der Rache und in der Liebe ist das Weib barbarischer, als der Mann.

      140. Rath als Räthsel. – »Soll das Band nicht reissen, – musst du erst drauf beissen.«

      141. Der Unterleib ist der Grund dafür, dass der Mensch sich nicht so leicht für einen Gott hält.

      142. Das züchtigste Wort, das ich gehört habe: »Dans le véritable amour c'est l'âme, qui enveloppe le corps.«

      143. Was wir am besten thun, von dem möchte unsre Eitelkeit, dass es grade als Das gelte, was uns am schwersten werde. Zum Ursprung mancher Moral.

      144. Wenn ein Weib gelehrte Neigungen hat, so ist gewöhnlich Etwas an ihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung. Schon Unfruchtbarkeit disponirt zu einer gewissen Männlichkeit des Geschmacks; der Mann ist nämlich, mit Verlaub, »das unfruchtbare Thier«.

      145. Mann und Weib im Ganzen verglichen, darf man sagen: das Weib hätte nicht das Genie des Putzes, wenn es nicht den Instinkt der zweiten Rolle hätte.

      146. Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

      147. Aus alten florentinischen Novellen, überdies – aus dem Leben: buona femmina e mala femmina vuol bastone. Sacchetti Nov. 86.

      148. Den Nächsten zu einer guten Meinung verführen und hinterdrein an diese Meinung des Nächsten gläubig glauben: wer thut es in diesem Kunststück den Weibern gleich?

      149. Was eine Zeit als böse empfindet, ist gewöhnlich ein unzeitgemässer Nachschlag dessen, was ehemals als gut empfunden wurde, – der Atavismus eines älteren Ideals.

      150. Um den Helden herum wird Alles zur Tragödie, um den Halbgott herum Alles zum Satyrspiel; und um Gott herum wird Alles – wie? vielleicht zur »Welt«?

      151. Ein Talent haben ist nicht genug: man muss auch eure Erlaubniss dazu haben, – wie? meine Freunde?

      152. »Wo der Baum der Erkenntniss steht, ist immer das Paradies«: so reden die ältesten und die jüngsten Schlangen.

      153. Was aus Liebe gethan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.

      154. Der Einwand, der Seitensprung, das fröhliche Misstrauen, die Spottlust sind Anzeichen der Gesundheit: alles Unbedingte gehört in die Pathologie.

      155. Der Sinn für das Tragische nimmt mit der Sinnlichkeit ab und zu.

      156. Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes, – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.

      157. Der Gedanke an den Selbstmord ist ein starkes Trostmittel: mit ihm kommt man gut über manche böse Nacht hinweg.

      158. Unserm stärksten Triebe, dem Tyrannen in uns, unterwirft sich nicht nur unsre Vernunft, sondern auch unser Gewissen.

      159. Man muss vergelten, Gutes und Schlimmes: aber warum gerade an der Person, die uns Gutes oder Schlimmes that?

      160. Man liebt seine Erkenntniss nicht genug mehr, sobald man sie mittheilt.

      161. Die Dichter sind gegen ihre Erlebnisse schamlos: sie beuten sie aus.

      162. »Unser Nächster ist nicht unser Nachbar, sondern dessen Nachbar« – so denkt jedes Volk.

      163. Die Liebe bringt die hohen und verborgenen Eigenschaften eines Liebenden an's Licht, – sein Seltenes, Ausnahmsweises: insofern täuscht sie leicht über Das, was Regel an ihm ist.

      164. Jesus sagte zu seinen Juden: »das Gesetz war für Knechte, – liebt Gott, wie ich ihn liebe, als sein Sohn! Was geht uns Söhne Gottes die Moral an!«

      165. Angesichts jeder Partei. – Ein Hirt hat immer auch noch einen Leithammel nöthig, – oder er muss selbst gelegentlich Hammel sein.

      166. Man lügt wohl mit dem Munde; aber mit dem Maule, das man dabei macht, sagt man doch noch die Wahrheit.

      167. Bei harten Menschen ist die Innigkeit eine Sache der Scham – und etwas Kostbares.

      168. Das Christenthum gab dem Eros Gift zu trinken: – er starb zwar nicht daran, aber entartete, zum Laster.

      169. Viel von sich reden kann auch ein Mittel sein, sich zu verbergen.

      170. Im Lobe ist mehr Zudringlichkeit, als im Tadel.

      171. Mitleiden wirkt an einem Menschen der Erkenntniss beinahe zum Lachen, wie zarte Hände an einem Cyklopen.

      172. Man umarmt aus Menschenliebe bisweilen einen Beliebigen (weil man nicht Alle umarmen kann): aber gerade Das darf man dem Beliebigen nicht verrathen...

      173. Man hasst nicht, so lange man noch gering schätzt, sondern erst, wenn man gleich oder höher schätzt.

      174. Ihr Utilitarier, auch ihr liebt alles utile nur als ein Fuhrwerk eurer Neigungen, – auch ihr findet eigentlich den Lärm seiner Räder unausstehlich?

      175. Man liebt zuletzt seine Begierde, und nicht das Begehrte.

      176. Die Eitelkeit Andrer geht uns nur dann wider den Geschmack, wenn sie wider unsre Eitelkeit geht.

      177. Ober Das, was »Wahrhaftigkeit« ist, war vielleicht noch Niemand wahrhaftig genug.

      178. Klugen Menschen glaubt man ihre Thorheiten nicht: welche Einbusse an Menschenrechten!

      179. Die Folgen unsrer Handlungen fassen uns am Schopfe, sehr gleichgültig dagegen, dass wir uns inzwischen »gebessert« haben.

      180. Es giebt eine Unschuld in der Lüge, welche das Zeichen des guten Glaubens an eine Sache ist.

      181. Es ist unmenschlich, da zu segnen, wo Einem geflucht wird.

      182. Die Vertraulichkeit des überlegenen


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