Gefangen - Unter Wasser und Beton. Frank Hille

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Gefangen - Unter Wasser und Beton - Frank Hille


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Jahren haben sollte, sah er ein geniales Täuschungsmanöver. Auch er konnte sich vorstellen, dass deutsche Truppen irgendwann am Ural stehen und ganz Europa beherrschen würden. Recht leidenschaftslos sah er das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, denn dieses rückständige Land könnte unter deutscher Herrschaft aufblühen und die Bevölkerung am Wohlstand partizipieren. Dass es bis dahin Opfer kosten würde war in Kauf zu nehmen. Wenn es so käme, war es für ihn einleuchtend, dass die neue Reichsgrenze ein Bollwerk werden musste, das nur mit überlegenen Waffen zu schützen wäre.

      Politisch übte sich Riebel in Zurückhaltung. Zwar war er zeitig Mitglied der NSDAP geworden, sah dies aber nur als Mittel an, seine ingenieurtechnischen Träume umzusetzen und an faszinierenden Projekten zu arbeiten. Hitler hielt er für einen Schreihals und Demagogen, der die Massen in seinen Bann zog. Angewidert hatte Riebel Ende der dreißiger Jahre in der Wochenschau zur Kenntnis genommen, wie Hitler oder Goebbels ganze Stadien ihrer Anhänger mit Halbwahrheiten zum Kochen brachten und die Menschen in manipulierbare Automaten verwandelten. Krieg, liebe Landsleute, sagte er sich damals, der Krieg steht schon vor der Tür. Bald wird Hitler die Klinke herunterdrücken und ihr stolpert mit Euphorie in ein Abenteuer, das euch das Leben kosten kann. Am Sieg Deutschlands hatte er allerdings keine Zweifel. Dazu ist unsere Industrie zu fortschrittlich und wir verfügen über gut ausgebildete Facharbeiter, die auch ohne Probleme moderne Waffen bedienen können waren seine Argumente.

      Und er war einer der Schöpfer, die vor kurzem so eine Waffe bis in das Weltall geschossen hatten.

      Das war der Anfang.

      Er war mit einem komischen Gefühl aufgestanden.

      Nichts, was ihn beunruhigte oder Angst machte.

      Einfach ein Gefühl.

      Kriegte keine Klarheit in seinen Kopf, weil irgendetwas da spukte. Dagegen hilft nur die Tagesroutine sagte er sich und deckte den Frühstückstisch.

      Bald war er wieder durch die Stadt unterwegs. Seine defensive Fahrweise vom Vortag behielt er auf der Autobahn bei. Im Büro gab es nichts was außergewöhnlich war und auch der restliche Arbeitstag bot keine Überraschungen. Abends zu Hause fand er einen Schein von DHL in seinem Briefkasten und holte die Sendung von seiner Nachbarin, einer freundlichen älteren Dame, ab, die ihn immer wieder wegen seiner langen Arbeitstage bedauerte. Jedes Mal fühlte er sich gemüßigt ihr zu erklären, dass es gar nicht so schlimm sei. Sie glaubte ihm nicht.

      Er öffnete das Paket und ein Buch über Bunker und Festungsanlagen schlüpfte aus der Folie. Vor vier Tagen über das Internet bestellt war er gespannt, ob es seinen Erwartungen entsprach. Segen und Fluch der Technik, dachte er verträumt. Man kauft die Katze im Sack. Kein Vergleich, im Laden in einem Buch zu stöbern, die Blätter zu spüren und es eventuell wieder wegzulegen. Auf dem Sofa, ein Bier neben sich, fing er an zu blättern. Nicht schlecht, ein komplettes Verzeichnis aller in Deutschland bekannten Bunker. Gut bebildert und illustriert. Mehr als 400 Seiten stark. Los, iss erst mal was, ermahnte er sich. Schnell schmierte er sich zwei Schnitten und begann zu lesen.

      Vieles war ihm bekannt, denn sein Interesse für Bunker bestand schon lange. So richtig konnte er das nicht erklären, aber die Faszination zog er vor aus der Anerkennung für die ingenieurtechnischen Leistungen und das Geheimnisvolle. Er verzog sich mit einem Grappa ins Bett und las interessiert. Das Buch war gut und spannend geschrieben und selbst solche Details wie die Befestigung der Außentüren oder deren Aufbau zogen ihn in den Bann. Er wurde müde und blätterte noch ein bisschen. Auf Seite 387 las er, dass im Buch die bekannten Bunker beschrieben wurden, aber eine Dunkelziffer aus der Zeit des Dritten Reiches verbliebe. Besonders im Thüringer Raum wurden noch nicht identifizierte Bunker vermutet. Gerüchte in den fünfziger Jahren sprachen immer wieder von einer hochgeheimen und ganz speziellen Bunkeranlage in der Gegend von Nordhausen. Kenne ich doch, ist der Mittelbau Dora wo die V2 produziert wurde, dachte er schläfrig. Doch dann sah er auf der folgenden Seite, dass der Mittelbau Dora extra erwähnt wurde.

      Da war es wieder, das komische Gefühl.

      Besonders, weil er mit Robert, seinem besten Freud, bald nach Bad Frankenhausen fahren und am Kyffhäuser wandern gehen wollte. Nah an Nordhausen.

      Lange konnte es nicht mehr dauern. Nach der missglückten Landung der Kanadier bei Dieppe am 18. und 19. August 1942 befahl Hitler die Befestigung der gesamten Atlantikküste. Das hieß, dass die Produktion nochmals erhöht werden musste. Die Grube hatte gigantische Ausmaße angenommen. Über einen Kilometer lang, 600 Meter breit, teilweise 50 Meter tief, nur in der Mitte blieben noch gut 100.000 m3 übrig, da man von Norden und Süden her mit dem Abbau begonnen hatte. Der Krieg hatte bis jetzt Unmengen an Baumaterial erfordert. Für Bunker, Befestigungen jeglicher Art, für Straßen. All dies brauchte Kies. Um den Bedarf an Beton vor Ort zu befriedigen war in Steinwurfweite der Grube ein Mischwerk errichtet worden, das in zwei Schichten arbeitete. Er rief Steiner an.

      „Hier ist Walther vom Kiestagebau Nordhausen. Guten Tag Herr Steiner. Ich habe soeben einen Anruf aus dem Büro des Gauleiters erhalten. Wir sollen melden, wie lange wir liefern können und welche Menge noch zu erwarten ist. Der Führerbefehl zum Atlantikwall lässt grüßen.“

      Steiner, der Geologe, antwortete:

      „Also so aus der Ferne geschätzt und unter Beachtung der jetzigen Fördermenge rechne ich mit noch 6 Monaten. Die Länge ist fast ausgeschöpft, in der Breite können wir vielleicht noch jeweils 20 Meter zulegen. Muss ich mir vor Ort noch genau ansehen. Ich bin heute Nachmittag bei Ihnen. Einen schönen Tag noch.“

      Das übliche „Heil Hitler“ vermieden beide untereinander.

      Der Mann, der Fritz Sauckel gegenüber saß, war schmächtig, hatte bereits, obwohl er erst Anfang vierzig schien, alle Haare verloren und trug eine runde Brille, deren Gläserstärke auf starke Kurzsichtigkeit hindeutete. Seine Kleidung war unauffällig, der Anzug wenig elegant und bereits etwas abgetragen. Den Mantel hatte er an die Garderobe gehängt, sein Hut lag auf der Kommode.

      Wer ihn nicht kannte konnte ihn für einen Buchhalter oder einen Büroleiter halten. Alles in allem wirkte er wie eine graue Maus. Sauckel wusste es anders. Überraschenderweise hatte er gestern einen Anruf aus dem Rüstungsministerium erhalten. Dr. Fassbender würde morgen bei ihm zum Gespräch erscheinen. Wenn Fassbender selbst kommt liegt etwas in der Luft hatte er sich gesagt. Fassbender war so etwas wie die Schnittstelle zwischen Speer und Todt gewesen. Nachdem Todt im Februar 1942 beim Flug zur Wolfsschanze abgestürzt war musste Fassbender in der Hierarchie aufgerückt sein. Welche Funktion er jetzt einnahm wusste Sauckel nicht, er vermutete aber, dass Fassbender nah an Speer dran war. Aus seinen bisherigen Gesprächen mit dem Mann ihm war klar geworden, dass Fassbender schnell zur Sache kommen würde, schließlich hatte er keine Zeit zu verschwenden.

      „Gauleiter, ich habe den Auftrag, Ihnen einen streng vertraulichen Brief zu übergeben. Ich bitte Sie, diesen jetzt zu lesen. Vorerst geht es nur darum, Ihnen grobe Informationen zu geben. Die Details werden Ihnen später mit der Kurierpost übergeben werden.“

      Sauckel drehte den Brief in seinen Händen. Er schätzte, dass in dem Umschlag zwei bis drei Seiten enthalten waren. Mit einem Brieföffner schlitzte er das Kuvert auf und nahm die die Blätter heraus. Er sah Fassbender an, dieser nickte wortlos. Sauckel las.

      Er verfügte nicht über besondere intellektuelle Fähigkeiten. Mit 15 Jahren verließ er das Gymnasium ohne Abschluss und heuerte als Matrose an. Den ersten Weltkrieg erlebte er in einem französischen Internierungslager und begann dort, sich politisch zu orientieren. Aus seiner Sicht war das Judentum schuld daran, dass Deutschland den Weltkrieg verloren hatte. Der Schritt zum Antisemiten war demzufolge nicht schwer. Die ärmlichen Verhältnisse, unter denen er nach dem Krieg leben musste, führten ihn bald zur Bewegung Adolf Hitlers. Er wusste, dass er sich mit solchen Weggefährten Hitlers wie Goebbels


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