Stein. Sabine Korsukéwitz
Читать онлайн книгу.die die alte Kunst des Steinschlagens wiedererlernt haben. Stundenlang können sie über die Eigenschaften der verschiedenen Feuersteine dozieren, wenn man sie lässt. Der rote Bohnerzjaspis mit seiner Eisenbeimischung zum Beispiel sei schön aber von geringer Qualität. Hervorragend dagegen sei der honigfarbene ‘Grand Pressigny’ aus Mittelfrankreich; “außergewöhnlich homogen”, so dass man aus einer entsprechend großen Knolle Klingen bis zu 30 Zentimeter Länge gewinnen könne.
Entstanden ist der Feuerstein vor etwa 120 Millionen Jahren im Kreidemeer des Erdmittelalters. Schwämme und Algen bildeten die Kieselsäure, die sich, meist um ein abgestorbenes Kleinstlebewesen als Kern, zu Knollen angelagert haben.
Eine Ausnahme in der Materialauswahl der Steinzeit-Ingenieure bildet das Obsidian, Vulkanglas, das ähnliche Eigenschaften hat wie Feuerstein. Dort, wo es keinen Feuerstein gab, wurde ersatzweise auch Hornblendeschiefer verwendet, Basalt oder Grauwacke, letztere genauso so unattraktiv wie sie klingt.
Der Titel Steinzeit-Ingenieur ist durchaus angemessen. Man macht sich kaum ein Bild von der Geschicklichkeit, dem Grad der Spezialisierung und dem Einfallsreichtum, der in der Vielfalt von Steinwerkzeugen und -Waffen zu erkennen. Die Entdeckung des Feuersteins scheint für unsere Vorfahren eine ähnliche Urknall-Wirkung gehabt zu haben, wie im 20.Jh. die Erfindung des Computers. Das war eine bewundernswerte Leistung des armen kleinen Neanderthalerhirns, sich so was auszudenken: Wie schaffe ich es, diesen Brocken so aufzuschlagen, dass daraus wird, was ich brauche? Ich stelle mir vor, wie er da hockte und über einem Silexknollen brütete wie Hamlet über dem Totenschädel. Und schlug, wieder hockte, schlug,, prüfte, beobachtete wie die Splitter flogen, die dicken Brauen auf der massiven Stirn zusammengezogen.
Silexbrocken ließen sich schließlich nicht einfach untereinander bearbeiten, sondern man benötigte einen Schlagstein und eine Art steinernen Amboss, weitere Werkzeuge. Und das mussten Gesteine mit ganz anderen Materialeigenschaften sein, als die zu bearbeitenden Feuersteinknollen. Das muss einem erst mal einfallen! ‘Hammer’ und ‘Amboss’ hatten von einer Art zu sein, die sich langsam und in ganz kleinen Körnern abschlug und abnutzte, im Effekt weicher, nicht härter sein, als der Silex. Grobkörnige Gesteine waren die besten Werkzeuge, Granit und Diorit. Schlagsteine kann man überall finden, wo der homo habilis, der Werkzeugmacher, seine Steinbrüche und Schlagplätze hatte. Man erkennt sie immer noch sehr gut an den Narben und der gleichmäßigen Form: teils eiförmig, teils zu kleinen Kugeln abgearbeitet.
Das erste paläolithische Design war der mandelförmige, grob zugerichtete Faustkeil: Nicht besonders schön – erst kam die Funktion, dann die Optik. Die scharfen kleinen Abfallsplitter wurden zum Schaben von Häuten verwendet. Wie geduldig hat man wohl experimentiert, um das Verhalten des Steins herauszufinden und das sinnvollste Verfahren; dass man zunächst grobe Stücke von einem Kern abschlägt, dass man, um eine möglichst gleichmäßige, gerade Klinge zu erhalten, die Kanten abwechselnd von der einen und dann von der gegengesetzten Kante behauen muss...der alternierende Schlag, der das typische Zickzackmuster hervorruft. Schlug man zu stark, dann zersprang der Stein in viele kleine Stücke. Mit einem einzigen unbedachten Hieb kann man das innere Gefüge eines ganzen Knollens zerstören. Der richtige Schlagwinkel will gelernt sein. Wo musste man ansetzen, um eine geplante Rohform zu erhalten? Im Zentrum des Steins, oben oder seitlich?
Es heißt, dass der Mensch nicht der einzige sei, der Werkzeuge benutzt. Affen verwenden Stöcke und Steine. Und es gibt Vögel, die mit Hilfe langer Dornen Zahnstocher artig fette Maden aus der Rinde von Bäumen polken. Sie verändern sogar Vorgefundenes. Aber das Kürzen oder Anspitzen eines Astes kann wohl kaum mit der komplexen Feuersteintechnik verglichen werden, bei der geplant, erinnert, weiterentwickelt und das erworbene Wissen an Artgenossen weitergegeben wurde.
Es wird die Vegetarier von heute nicht freuen, zu erfahren, dass ihr Modell von vorvorgestern ist. Wissenschaftler fanden nämlich in Afrika die Überreste zweier verschiedener Stämme von Oldowan-Menschen: Die Vegetarier und die Fleischfresser. Die Vegetarier zeichneten sich durch einen knorrigen Körperbau und einen ebenso gedrungen-knorrigen Schädel aus, mit stark ausgebildeten Kieferknochen und winzigem Gehirn. Die Fleischfresser dagegen waren schlanker, (vermutlich schneller), hatten deutlich rückgebildete Kiefer und mehr Platz für den Denkapparat. Der Vergleich dieser Funde und Datierungen brachte die Forscher zu folgendem Schluss: Die Oldowan-Vegetarier konnten sich mit hochwertigem Eiweiß nur unzulänglich versorgen; sie mampften den ganzen Tag und die halbe Nacht Rüben. Für sie war es ein Festessen, wenn sie einmal ein reifes Stück Aas fanden. Die Oldowan-Tartarier – das waren die, die lernten, geschickt mit Steinwaffen umzugehen – erhielten ausreichend hochwertiges und leicht verwertbares Protein und konnten sich weiterentwickeln. Die Vegetarier waren nicht geschickt genug, mit dem neuen Steinwerkzeug umzugehen und verpassten den Anschluss an die Evolution. Sie starben aus.
Arme Vegetarier. Aber die Fleischfresser hatten es auch nicht leicht. Wie wir selbst leidvoll erfahren haben, sorgt ja nicht jeder Fortschritt ausschließlich für eine Erleichterung des Lebens. Im Gegenteil: Es wird ständig komplizierter.
Der erfolgreiche Teil der Oldowaner begann, seine Werkzeuge wechselnden Aufgaben und Umweltbedingungen anzupassen. Mit Hilfe seiner wunderbaren neuen Waffen und Werkzeuge lernte er, das ihn umgebende Ökosystem besser zu nutzen. Er kombinierte, verfeinerte, differenzierte. Eine immer größere Hirnkapazität war notwendig. Und die entwickelte er mit der Zeit. Das hochwertige Eiweiß, das dazu gebraucht wird, bekam er ja jetzt.
Adam und Co. begannen, weil die zu erzielende Beute es jetzt hergab, in größeren Gruppen zu leben. Jagd und Sammelei wurde in Teams effektiv organisiert. Es entstand eine – zunächst sinnvolle – Hierarchie (was man heute gelegentlich vermisst). Die sozialen Strukturen veränderten sich. Sprache war nötig, um das alles zu bewältigen. Der Evolutionszug rollte. Das Hirn wurde größer, der Darm kürzer, und der Knochenbau musste Volumen abgeben. Da haben wir den Salat: Aufrechter Gang, schlechte Zähne, viel Hirn aber dünner Schädel. Und alles wegen dieses unscheinbaren kleinen Steins, gräulich-bräunlich, mit dem mattierten look. Wer hätte das gedacht?
Notwendigkeit, also Druck von außen, führt zu Fortschritt. Fortschritt führt zu neuem Druck. Unsere Ahnen hatten weitaus mehr Zeit als wir, den Fortschritt zu bewältigen. Wir Bedauernswerten sind an einem Punkt der Fortschritts-Spirale angelangt, an dem einem der Kopf platzen möchte. Aber das Gehirn hat sich schon mehrmals angepasst. Es wird das wieder tun. Angeblich sind da ja ungenutzte Kapazitäten. Wir schaffen das schon.
Zurück zur Steinzeit und zu den Feuerstein-Ingenieuren: 20 000 Generationen später ist der Acheulmensch die überlegene Spezies der westlichen Alten Welt. Sein Hauptwerkzeug neben Grabstock und Speer, der Faustkeil, hat sich deutlich verändert. Er ist jetzt ein raffiniertes Universalgerät, insgesamt feiner und flacher, an einer Schmalseite rund und massiv, an der anderen spitz zulaufend, an beiden Breitseiten scharfkantig. Mit so einem Stück kann man sowohl hart zuschlagen, brechen, als auch fein und punktgenau, außerdem kann man tiefe Schnitte führen. Das Werkzeug liegt optimal in der Hand. Funktionales, kombinatorisches Denken hat zu dieser verbesserten Form geführt.
Längst hatte der wunderbare Silex noch eine andere Seite seiner Nützlichkeit offenbart: Die Funkenbildung beim Gegeneinanderschlagen von Feuerstein und Schwefelkies. Fängt man die Funken auf mit Zunderschwamm oder trockenem Gras, ist man Herr des Feuers geworden: Prometheus lässt grüßen.
Vieles lässt sich aus der sorgfältigen Untersuchung von Fundstellen ableiten: Zum Beispiel, wann ungefähr man begann, Flammen nicht nur zum Rösten und Wärmen, sondern auch zur Beleuchtung zu nutzen, weil man nämlich ab einem bestimmten datierbaren Zeitraum feine Flintwerkzeuge im Inneren einer Höhle, weit vom lichtspendenden Eingang fand. Da saßen wahrscheinlich die Frauen am Feuer, tratschten und stichelten Lederhosen zusammen, während die Männer am Höhleneingang mit größeren Werkzeugen gröbere Arbeiten durchführten. Fürs Grobe sind sie gut.
Da der Protomensch nun in die kälteren Zonen vorgedrungen war, musste er Techniken erdenken, die dem neuen Lebensraum angepasst waren. Er brauchte Kleidung. Der Anteil an sorgfältig geformten Schnittkanten nahm zu. In Thüringen sind aus der Zeit des späten Pleistozän eine größere Zahl gekerbter Artefakte gefunden worden, die auf Faserverarbeitung hinweisen, steinerne Kämme für die Herstellung von Taschen und Matten.
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