Radetzkymarsch. Йозеф Рот

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Radetzkymarsch - Йозеф Рот


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Blick des Großvaters im Nacken! Man war der Enkel des Helden von Solferino!

      Ein paar Minuten lang standen Carl Joseph und sein Bursche Onufrij einander schweigend gegenüber, auf der milchig schimmernden Landstraße. Der Mond und die Stille verlängerten noch die Minuten. Onufrij rührte sich nicht. Er stand wie ein Denkmal, überglänzt vom silbernen Mond. Carl Joseph wandte sich plötzlich um und begann zu marschieren. Genau drei Schritte hinter ihm folgte Onufrij. Carl Joseph hörte den regelmäßigen Aufschlag der schweren Stiefel und den eisernen Klang der Sporen. Es war die Treue selbst, die ihm folgte. Jeder Aufschlag des Stiefels war wie ein neues, kurzes, gestampftes Gelöbnis soldatischer Burschentreue. Carl Joseph fürchtete umzukehren. Er wünschte, daß diese schnurgerade Straße plötzlich eine unerwartete, unbekannte Abzweigung böte, einen Seitenweg; Flucht vor der beharrlichen Dienstfertigkeit Onufrijs. Der Bursche folgte ihm im gleichen Takt. Der Leutnant bemühte sich, mit den Stiefeln hinter seinem Rücken Schritt zu halten. Er fürchtete, Onufrij zu enttäuschen, wenn er den Schritt etwas achtlos wechselte. In den zuverlässig aufstampfenden Stiefeln war sie, die Treue Onufrijs. Und jeder neue Aufschlag rührte Carl Joseph. Es war, als versuchte dort hinter seinem Rücken ein ungelenker Kerl, mit schweren Sohlen an das Herz des Herrn zu klopfen; hilflose Zärtlichkeit eines gestiefelten und gespornten Bären.

      Schließlich erreichten sie den Stadtrand. Carl Joseph war ein gutes Wort eingefallen, das für den Abschied taugte. Er wandte sich um und sagte: »Viel Vergnügen, Onufrij!« Und er bog schnell in die Seitengasse ein. Der Dank des Burschen traf ihn nur noch als fernes Echo. Er mußte einen Umweg machen. Er erreichte das Kasino zehn Minuten später. Es lag im ersten Stock eines der besten Häuser am alten Ring. Alle Fenster strömten, wie jeden Abend, Licht auf den Platz, auf den Korso der Bevölkerung. Es war spät, man mußte sich geschickt durch die dichten Scharen der spazierfreudigen Bürger und ihrer Frauen winden. Tag für Tag bereitete es dem Leutnant unsagbare Pein, in klirrender Buntheit zwischen den dunklen Zivilisten aufzutauchen, von neugierigen, gehässigen und lüsternen Blicken getroffen zu werden und schließlich wie ein Gott in die hellerleuchtete Toreinfahrt des Kasinos einzutauchen. Er schlängelte sich hurtig durch die Korsobesucher. Zwei Minuten dauerte der ziemlich lange Korso, ekelhafte zwei Minuten. Er nahm zwei Stufen auf einmal. Niemandem begegnen! Begegnungen auf der Treppe mußte man meiden: schlimme Vorzeichen. Wärme, Licht und Stimmen kamen ihm im Flur entgegen. Er trat ein, er tauschte Grüße aus. Er suchte den Obersten Kovacs im gewohnten Winkel. Dort spielte er jeden Abend Domino, jeden Abend mit einem andern Herrn. Er spielte Domino mit Begeisterung; vielleicht aus einer unmäßigen Angst vor Karten. »Ich habe noch nie eine Karte in der Hand gehabt«, pflegte er zu sagen. Nicht ohne Gehässigkeit sprach er das Wort »Karten« aus; und er zeigte dabei mit dem Blick in die Richtung seiner Hände, als hielte er in ihnen seinen tadellosen Charakter. »Ich empfehle euch«, fuhr er manchmal fort, »das Dominospiel, meine Herren! Es ist sauber und erzieht zur Mäßigkeit.« Und er hob gelegentlich einen der schwarzweißen, vieläugigen Steine in die Höhe, wie ein magisches Instrument, mit dem man lasterhafte Kartenspieler von ihrem Teufel befreien kann.

      Heute war der Rittmeister Taittinger an der Reihe, den Dominodienst zu versehen. Das Angesicht des Obersten warf einen bläulichroten Widerschein auf das gelbliche, hagere des Rittmeisters. Carl Joseph blieb mit sanftem Klirren vor dem Obersten stehn. »Servus!«, sagte der Oberst, ohne von den Dominosteinen aufzusehn. Er war ein gemütlicher Mann, der Oberst Kovacs. Seit Jahren hatte er sich eine väterliche Haltung angewöhnt. Und nur einmal im Monat geriet er in einen künstlichen Zorn, vor dem er selbst mehr Angst hatte als das Regiment. Jeder Anlaß war ihm da willkommen. Er schrie, daß die Wände der Kaserne und die alten Bäume rings um die Wasserwiese bebten. Sein blaurotes Angesicht wurde blaß bis in die Lippen, und seine Reitpeitsche schlug in zitternder Unermüdlichkeit gegen den Stiefelschaft. Er schrie lauter wirres Zeug, zwischen dem lediglich die rastlos wiederkehrenden, zusammenhanglos vorgebrachten Worte »in meinem Regiment« leiser klangen als alles andere. Er machte endlich halt, ohne Grund, genauso, wie er angefangen hatte, und verließ die Kanzlei, das Kasino, den Exerzierplatz oder was er sonst immer zum Schauplatz seines Gewitters gewählt hatte. Ja, man kannte ihn, den Obersten Kovacs, das gute Tier! Man konnte sich auf die Regelmäßigkeit seiner Zornausbrüche verlassen wie auf die Wiederkehr der Mondphasen. Rittmeister Taittinger, der sich schon zweimal hatte transferieren lassen und der eine genaue Kenntnis von Vorgesetzten besaß, bezeugte jedermann unermüdlich, daß es in der ganzen Armee keinen harmloseren Regimentskommandanten gebe.

      Oberst Kovacs sah schließlich von der Dominopartie auf und gab Trotta die Hand. »Schon gegessen?«, fragte er. »Schade«, sagte er weiter und sein Blick verlor sich in einer rätselhaften Ferne: »Das Schnitzel war heute ausgezeichnet.« Und »ausgezeichnet!«, wiederholte er eine Weile später. Es tat ihm leid, daß Trotta das Schnitzel versäumt hatte. Er hätte es dem Leutnant gern noch einmal vorgekaut; zumindest zugesehen, wie man eines mit Appetit verzehrt. »Na, gute Unterhaltung!«, sagte er schließlich und wandte sich wieder den Dominosteinen zu.

      Die Verwirrung war um diese Stunde groß, man konnte keinen angenehmen Platz mehr finden. Rittmeister Taittinger, der die Messe seit undenklichen Zeiten verwaltete und dessen einzige Leidenschaft der Genuß von süßem Backwerk war, hatte das Kasino im Laufe der Zeit nach dem Muster jener Zuckerbäckerei eingerichtet, in der er jeden Nachmittag verbrachte. Man konnte ihn dort hinter der Glastür sitzen sehen, in der düsteren Unbeweglichkeit einer merkwürdigen uniformierten Reklamefigur. Er war der beste Stammgast der Konditorei, wahrscheinlich auch ihr hungrigster. Ohne sein gramvolles Angesicht um eine Spur zu beleben, verschlang er einen Teller Süßigkeiten nach dem andern, nippte von Zeit zu Zeit am Wasserglas, sah unbeweglich durch die Glastür auf die Straße, nickte gemessen, wenn ein vorbeikommender Soldat salutierte, und in seinem großen, mageren Schädel mit den spärlichen Haaren schien einfach gar nichts vorzugehen. Er war ein sanfter und sehr fauler Offizier. Die Beschäftigung mit den Angelegenheiten der Messe, ihrer Küche, der Köche, der Ordonnanzen, des Weinkellers war ihm unter allen dienstlichen Obliegenheiten die einzig genehme. Und seine ausgedehnte Korrespondenz mit Weinhändlern und Likörfabrikanten beschäftigte nicht weniger als zwei Kanzleischreiber. Es gelang ihm im Laufe der Jahre, die Einrichtung des Kasinos jener der geliebten Konditorei anzugleichen, niedliche Tischchen in den Winkeln aufzustellen und die Tischlampen mit rötlichen Schirmen zu bekleiden.

      Carl Joseph blickte um sich. Er suchte einen erträglichen Platz. Zwischen dem Fähnrich in der Reserve Bärenstein, Ritter von Zaloga, einem jüngst geadelten reichen Advokaten, und dem rosigen Leutnant Kindermann, reichsdeutscher Abkunft, war man verhältnismäßig am sichersten. Der Fähnrich, zu dessen gesetztem Alter und leicht gewölbtem Bauch die jugendliche Charge so wenig paßte, daß er aussah wie ein militärisch verkleideter Bürger, und dessen Angesicht mit dem kleinen, kohlschwarzen Schnurrbart befremdete, weil ihm gleichsam ein naturnotwendiger Zwicker fehlte, strömte in diesem Kasino eine zuverlässige Würde aus. Er erinnerte Carl Joseph an eine Art Hausarzt oder Onkel. Ihm allein in diesen zwei großen Sälen glaubte man, daß er wirklich und ehrlich saß – während die andern auf ihren Sitzen herumzuhüpfen schienen. Das einzige Zugeständnis, das der Fähnrich Doktor Bärenstein außer seiner Uniform dem Militär machte, war das Monokel während seiner Dienstzeit; denn er trug tatsächlich einen Zwicker in seinem bürgerlichen Leben.

      Beruhigender als die andern war auch der Leutnant Kindermann, kein Zweifel. Er bestand aus einer blonden, rosigen und durchsichtigen Substanz, man hätte beinahe durch ihn durchgreifen können wie durch einen abendlich besonnten, luftigen Dunst. Alles, was er sagte, war luftig und durchsichtig, aus seinem Wesen fortgehaucht, ohne daß er sich vermindert hätte. Und der Ernst sogar, mit dem er den ernsten Gesprächen folgte, hatte etwas sonnig Lächelndes. Ein heiteres Nichts, saß er am Tischchen. »Servus!«, pfiff er mit seiner hohen Stimme, von der Oberst Kovacs sagte, sie sei eines der Blasinstrumente der preußischen Armee. Fähnrich in der Reserve Bärenstein erhob sich vorschriftsgemäß, aber gravitätisch. »Respekt, Herr Leutnant!«, sagte er. Guten Abend, Herr Doktor! hätte Carl Joseph ehrfurchtsvoll beinahe geantwortet. »Ich störe nicht?«, fragte er nur und setzte sich. »Der Doktor Demant kommt heute zurück«, begann Bärenstein, »ich bin ihm zufällig am Nachmittag begegnet!« »Ein reizender Kerl«, flötete Kindermann, es klang wie ein zarter Windhauch, der über eine Harfe streicht, hinter dem starken, forensischen Bariton Bärensteins. Kindermann, ständig darauf bedacht, sein äußerst schwaches Interesse


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