C'est la vie. Christina Geiselhart
Читать онлайн книгу.bist du nicht!«
»Geistesgestört bin ich. Hochgradig neurotisch und dumm!« Gib mir Saures.
»Schluss! Ich kann es nicht ertragen, wenn du so von dir redest.«
Das bezweifle ich. Sage es aber nicht. Da der Krimi sich seinem Ende zuneigt, lenke ich wieder ein. »In Ordnung. Dann sage mir bitte, was du noch alles wissen willst.«
»Was ist das denn für eine nutzlose Frage? Ich will wissen, wie es euch geht.«
»Das sagte ich schon: Es geht uns gut.«
»Muss ich dir jedes Wort aus der Nase ziehen?«
»Es geht uns sehr gut.«
»Himmel noch mal, Helga! Was habt ihr gemacht, dass es euch so gut geht?«
»Heute Morgen sind wir aufgestanden. Nach dem Zähneputzen und Frühstück brachte ich die Kinder im üblichen Eiltempo zur Schule. Später holte ich sie wieder ab. Danach: Essen und Schularbeiten, anschließend Computer oder Tablet.
»Willst du mich für dumm verkaufen?«
»Du hast gefragt, was wir gemacht haben, und ich habe es dir runtergespult wie fast jeden Abend.«
»Genau! Wie jeden Abend. Immer dasselbe. Langweiliges Geschwätz. Gab es denn nichts Wesentliches an diesem Tag? Eine Ausstellung?«
»Nein, gab es nicht.«
»Das glaube ich nicht. Du willst mir nichts Wesentliches berichten, weil du mich für einen geistigen Krüppel hältst.«
Was soll das nun? Fishing for compliments or what? Na, die soll er haben. »Du bist der gescheiteste Mann, der mir je über den Weg gelaufen ist.«
»Darauf brauch ich mir nichts einzubilden. Du kanntest und kennst sonst nur Trottel.«
Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. »Falsch! Meine gesamte männliche Verwandtschaft ist überdurchschnittlich intelligent. Wenn einer blöd ist, dann bin ich es.«
»Lenke nicht ab!«
»Das tue ich nicht. Erkennst du nicht endlich, was für eine ahnungslose Nuss ich bin? Ich kann nicht einmal auf deine Fragen antworten.«
»Dabei ist es so leicht!«
»Auch das noch! Es ist sogar leicht. Das ist ein weiterer Beweis meiner Beschränktheit. Sicherlich sehe ich nach zwölfjähriger Ehe auch noch vorsintflutlich aus.« Nun schmerzt es mich doch ein wenig, so übel von mir zu reden. Und natürlich sollte man es nicht tun, aber der kleine Teufel in mir nagt weiter.
»Das schließe ich vehement aus. Wer mit mir verheiratet ist, kann nur aufblühen. Meine Frau sieht blendend aus und hat nichts mit der gemein, von der du andauernd sprichst. Meine Frau ist verständnisvoll, geistreich und intelligent. Nicht streitsüchtig.«
»Das alles bin ich nicht. Vermutlich bin ich nicht deine Frau!«
»Man könnte es annehmen.«
»Nicht nur annehmen. Es ist so. Ich bin nicht diese Frau von der Sie sprechen, mit der Sie reden, mein Herr. Ich bin gar nicht Ihre Frau.« Das rutscht mir einfach so heraus. Auf dem Bildschirm wird der Killer gerade mit einer atemberaubenden Autofahrt gejagt.
»Wie bitte … du bist … ich meine, Sie sind nicht meine Frau?«
»Ganz richtig: Ich bin nicht Ihre Frau!«
»Aber das ist ganz ausgeschlossen. Ihre Nummer ist seit Jahren bei mir eingespeichert unter dem Namen Helgachen!«
»Wie Sie wissen, kann es leicht zu Fehlspeicherungen kommen. Ich hatte erst kürzlich mehrmals eine Freundin angerufen, um ihr zu sagen, sie möge doch besser eine Stunde später zur Verabredung kommen. Erst nach Tagen meldete sich eine Person, die sagte, sie kenne mich überhaupt nicht.«
»Das tut mir leid! Ich hätte schwören können!«
»Tun Sie es nicht.«
»Aber gestern habe ich doch diese Nummer gewählt!«, ruft er verzweifelt.
»Das kann nicht sein!«, lüge ich gnadenlos. »Mit mir haben Sie jedenfalls nicht gesprochen.«
»Aber Ihre Stimme! Ihre Stimme, Madame! Sie ist genau wie die meiner Frau.«
»Das kann vorkommen. Steigern Sie sich nicht hinein!« Verdammt, gibt er nicht endlich auf?
»Wenn das tatsächlich so ist, bitte ich vielmals um Entschuldigung. Verzeihen Sie die Störung.«
Endlich. Er hat die Austaste gedrückt. Ich erlebe noch die Überführung und Festnahme des Täters und atme auf. Ganz wohl ist mir nicht. In zwei Wochen kommt Curd zurück. Dann beginnt der Kampf. Dann kann ich mich nicht mehr vor der längst fälligen Aussprache drücken.
Fin
No money in our coats
Hannaerzählt
Wie hypnotisiert starre ich sie an. Starre durch sie hindurch. Sie ist nichts weiter als eine große Pfütze. Schmutziges Wasser, in dem Zigarettenkippen schwimmen und ein trostloser Himmel schaukelt. Und doch ist sie mehr. Sie ist mein gnadenloser Spiegel.
Ich lehne mich auf der Bank zurück, ziehe den Mantel fester, stecke die Hände in die Taschen. Sie sind leer. Außer den Klamotten auf dem Leib, meinen schäbigen Möbeln und ein paar Büchern besitze ich nichts mehr. Ein großer Teil der Lebensversicherung ging für das drauf, was man den Lebensunterhalt nennt. Die letzten Kröten trug ich in Eddys Bar und betrank mich mit billigem Cognac. Den Plan einer eigenen Wohnung begrub ich hinter dem Tresen.
Das bisschen Wohngeld und die Sozialhilfe erhalten mir bis jetzt meine mickrige Bleibe und machen hin und wieder ein anständiges Essen möglich. Die Kosten für die Telefonkarte kann ich auch noch berappen. Aber eigentlich brauche ich kein Handy. Es ruft mich niemand an, und zu erreichen ist von den lieben Freunden auch keiner mehr. Eine Bettlerin bin ich deshalb nicht, auch wenn es den Anschein hat. Ich nenne mich Frührentnerin und gefühlsbetont. Schon immer habe ich auf mein Gefühl gehört. Heute, weil vom Rummelplatz gegenüber der Song »Angie« tönt und mich so verdammt melancholisch stimmt. Damals, als ich an die große Liebe glaubte. Ganz aufgegeben habe ich diesen Glauben nicht. Er wird kommen, mein Held. Auch Geld wird wieder in meine Taschen fließen. »Angie, Angie ... with no money in our coats ...«
»Ich bin keine Bettlerin!«, herrsche ich die Frau an, die mir ein Sandwich in den Schoß legt. Das Wetter sei schlecht, die Luft feucht und für eine Frau in meinem Alter lebensgefährlich, sagt sie.
»Eine Frau in meinem Alter?« schreie ich sie an. »Ich bin im besten Alter, gute Frau!«
Sie habe ja nur helfen wollen, stottert sie und eilt davon. Um allen, die mich anglotzen, zu zeigen, dass ich noch beweglich bin, rutsche ich auf den Bordstein.
Mir ist nicht kalt, denn der alte Schafsfellmantel wärmt hervorragend. Ich mummele mich hinein und starre weiterhin in die Pfütze. Neben dem kalten Himmel sehe ich nun ganz deutlich mein Gesicht. Mein jetziges, mein gestriges und mein vorgestriges. Wie konnte es soweit kommen, schießt es mir wieder durch den Kopf. Es hat doch alles schön angefangen.
Im Mai 1980 habe ich meinen Helden geheiratet. Damals hieß er Robert. Heute nennt er sich Bob. Zur Hochzeit schenkten ihm seine guten Eltern ein Grundstück, auf das wir unser Häuschen bauten, wie es so die Art der bodenständigen Schwaben ist, wenn sie es sich leisten können. Da Robert aus wohlhabendem Hause stammt und als Ingenieur bei IBM ganz ordentlich verdiente, genehmigte ihm die Volksbank einen Kredit mit geschlossenen Augen. Abzuzahlen in einem Zeitraum von zwanzig Jahren. Die gehen schnell vorbei, sagte der Banker und Robert lächelte schief. Der Meinung war er nicht, und der Gedanke, in Null komma nichts fünfzig zu sein, behagte ihm ebenso wenig. Ich arbeitete als Sekretärin bei H&P. Ein Traumjob, der täglich geruhsam begann. Jeden Morgen bekam ich bei einer Tasse Kaffee von den Kolleginnen erst einmal den neuesten Klatsch serviert.
In der Pfütze erscheinen nun ein See und Schatten. Und da, da schaukelt