Angst vorm Tod. Thomas Werk

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Angst vorm Tod - Thomas Werk


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sich unter der Sauerstoffmaske kaum noch artikulieren, aber er erinnerte noch daran, dass es da noch eine kleine Sterbegeldversicherung gebe, die man nicht vergessen dürfe. Und er plante noch seine eigene Beerdigung, wer nun einzuladen sei, wo der Leichenschmaus stattzufinden habe. Und er hatte klare Vorstellungen davon, wie und wo er beerdigt werden wollte.

      Und im Angesicht des Todes werden die meisten versöhnlich. Sie vergessen jahrelange Feindschaften und wollen sich in ihrer letzten Stunde doch noch arrangieren, ihren Frieden schließen. Sie verzeihen und vergeben, verlangen nach Angehörigen, die sie jahrelang nicht mehr gesehen haben. Sie wollen doch noch Abschied nehmen und in Frieden gehen. Es wäre ja auch schrecklich, wenn man auf dem Sterbebett noch weiter streitet. Alles muss bereinigt werden, sonst kann man diese Welt nicht gut verlassen. Und das ist auch gut so, sich am Ende noch mal so richtig zu versöhnen. Dieses Bild bleibt für immer in Erinnerung.

      Manche sind materialistisch bestimmt, andere eher emotional. Es gibt Menschen, die bis ins kleinste Detail ihren letzten Besitz aufteilen, vielleicht schon zu Lebenszeiten noch verteilen, exakt bestimmen, wer was bekommt („Lisa soll meinen Schmuck haben, Kai meine Bildersammlung und Enkeltochter Ramona meine Möbel bekommen.“) Anderen ist es völlig egal, sie bestimmen nichts. Viele wollen aber keinen Zank und Streit über die letzte Habe aufkommen sehen und hinterlegen ein Testament.

      Viele Menschen räumen auch selbst noch kurz vor ihrem Abschied auf. Sie wollen nicht, dass bestimmte persönliche Dinge in unbekannte Hände fallen. Es gibt Geheimnisse, Doppelleben. Ein Arbeitskollege sagte mir einmal, dass er nach dem Tod eines Mit-Kollegen dessen Schreibtisch aufräumen musste. Dort war eine Box – wahrscheinlich mit Fotos und anderen Dingen -, die wohl Hinweise auf eine Freundin neben der Ehefrau enthielt. Diese sollte er auf einem Acker - ungeöffnet - verbrennen.

      Im digitalen Zeitalter säubern Menschen vor ihrem Tod Festplatten oder vernichten sie. Doch manchmal kommt das Aufräumen zu spät, weil der Tod plötzlich eintritt oder man körperlich dazu nicht mehr in der Lage ist.

      So stößt man auch nach dem Tod von lieben Menschen bisweilen auf dunkle Seiten, Geheimnisse. Ein Kollege starb plötzlich; wir hatten auch privat ein sehr gutes Verhältnis. Er verlangte hin und wieder starke Beruhigungsmittel – angeblich für Freunde in Polen, die es dort nicht bekommen konnten. Ich besorgte sie über eine befreundete Apothekerin – mit dem gleichen Argument. Seine Tochter bat mich nach seinem Tod, den Schreibtisch ihres Vaters aufzuräumen, in dem wir dann gemeinsam angebrochene Packungen dieses Tranquilizers fanden. So erfuhren wir nach seinem Herzinfarkt, dass er selbst die Pillen nahm.

      Menschen beschäftigt vor ihrem Ende hin und wieder auch die Frage, ob sie noch schnell ihre langjährige Partnerin oder den Partner heiraten. Manchmal erscheint der Standesbeamte noch am Sterbebett. Andere wiederum beschäftigt die Frage nach einem Abschied im Gottvertrauen. Sie verlangen nach einem Pfarrer und einem letzten gemeinsamen Gebet. Als mein Vater im Sterben lag, verlangte er zwar nicht ausdrücklich danach. Da er jedoch auf vielfache Weise mit seiner Kirche verbunden war, arrangierten wir die so genannte Krankensalbung. Er öffnete noch einmal weit seine Augen und buchstäblich nach dem letzten Amen des Geistlichen hörte er auf zu atmen. Der Pfarrer selbst war überrascht, das hatte er in seiner langen Sterbebegleitung noch nicht erlebt. Als ob es das gewesen war, was meinem Vater noch fehlte, um endgültig zu gehen.

      Gerne würde man mit solchen Menschen noch einmal reden: Was hast Du gesehen, was empfunden, wie ging es Dir dabei, war es hilfreich, hat es Dich mit der Welt versöhnt? Wir haben nur wenige Berichte und Erkenntnisse über die so genannte Nahtoderfahrung, Menschen also, die schon klinisch tot waren und doch noch wieder ins Leben zurückgekommen sind.

      Verblassende Erinnerungen

      Alte Menschen werden plötzlich gläubig oder spirituell, versöhnen sich wieder mit ihrem Gott oder der Kirche, finden zurück zum Glauben, gehen wieder in den Gottesdienst und beten. Sterbende werden versöhnlich, verzeihen, machen reinen Tisch. Sie ordnen ihr Leben, um nicht auch noch den Frust der vergangenen Jahre mit ins Grab zu nehmen. Wenngleich man auch von vielen Toten später behaupten wird: „Er hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen.“

      Manchmal enden Familiengeschichten auch mit dem Tod. Erinnerungen lassen nach, es wird ausgemistet, alte Fotos weggeschmissen. Hätte man doch Lebzeiten öfter miteinander gesprochen. Man will doch selbst auch wissen, wo man her gekommen ist, wer die Großeltern waren – aber schnell verblasst die Erinnerung. Es bleibt vielleicht ein Grabstein, der auch nach zehn oder zwanzig Jahren langsam in Vergessenheit gerät. Zerfallene Gräber auf den Friedhöfen zeugen vom Desinteresse der Verwandten, sie werden zu namenlosen Ruinen.

      Bestattung: Kultur oder Kult?

      Wie eine Kultur mit ihren Toten umgeht, lässt auch tiefe Rückschlüsse darauf zu, ob man Angst davor hat. Bei uns findet Sterben vielfach im Verborgenen statt, in Krankenhäusern, auf sterilen Intensivstationen, in Hospizen – selten zu Hause. Man möchte nicht so gern eine Leiche später im Haus haben. Ganz anders dagegen in Südamerika oder China und anderen Kulturen. Der oder die Tote wird zu Hause aufgebahrt und alle Angehörigen, Freunde und Nachbarn nehmen am offenen Sarg oder Bett Abschied. Wir überlassen das schnell einem Bestatter, sollte jemand zuhause gestorben sein. Der holt den Leichnam ab und kümmert sich um den ganzen Rest.

      In anderen Ländern wird der Sarg durchs Viertel getragen, begleitet von einem Trauerzug, Musik, Fahnen und Böllerschüssen. Geht man über chinesische und auch südamerikanische Friedhöfe, findet man Bilder der Gestorbenen auf den Gräbern, was bei uns eher selten ist. Das alles lässt tief blicken auf den Umgang mit dem Tod: Die einen sehen es eher hoffnungsvoll, die anderen dagegen düster. In jeder Kultur ist klar: wenn ein lieber Angehöriger nicht mehr unter uns ist, können wir uns nicht mehr mit ihm treffen, unterhalten, lachen oder weinen. Aber manche haben eher die Hoffnung auf ein Wiedersehen oder wollen auch in der Öffentlichkeit die positive Erinnerung wachhalten.

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