Aus dem Tagebuch eines Hundes. Peter Eckhart Reichel

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Aus dem Tagebuch eines Hundes - Peter Eckhart Reichel


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schon 2 ½ Jahre alt und ich lebe in der größten Hundestadt, die es überhaupt in Deutschland gibt. 110.000 meiner Artgenossen hat man hier jüngst gezählt, also kann man einigermaßen mit Fug und Recht behaupten: Berlin ist eindeutig die Hundehauptstadt von Deutschland. Warum das so ist, wissen nicht einmal die ganz klugen Leute.

      Aber ich habe natürlich nicht immer hier gelebt. Geboren wurde ich in einem kleinen Kaff in Norddeutschland, dessen Namen ich leider vergessen habe. Meine Mama war eine reinrassige Brandlbracke und sehr adlig, also mit Stammbaum. Meinen Vater kenne ich nur oberflächlich. Aber wie ich herausgefunden habe, war er ein ausgebüchster Dorfköter, ein Schäferhundmix, und er verkehrte nur kurzfristig in unserem Hause. Soweit ich mich daran erinnern kann, sprach meine Mama nur sehr selten über ihn. Er muss wohl ein ziemlicher Hallodri gewesen sein. Ich bin also nicht unbedingt das Ergebnis einer dauerhaften Liebesbeziehung.

      Die Verbindung meiner Eltern war auf jeden Fall nicht arrangiert und deshalb auch vom Herrchen meiner Mama, der ein strenger Brandlbrackenzüchter war, ganz und gar nicht gewollt. Aber so was kommt ja bei Adeligen auch hin und wieder mal vor, nicht wahr. Ich jedenfalls hatte noch weitere sechs Geschwister, alles kleine und niedliche Brandlbracken-von-feinster-abstammung-mit-dahergelaufenen-straßenköter-schäferhund-mixturen, die gerade an jenem Tag, an dem mein Leben sich grundlegend verändern sollte, als Annonce angeboten in der Ortszeitung standen: Gesunde Mixwelpen kostengünstig abzugeben. Interessenten melden sich bitte beim Wirt des Gasthauses „Sonne“.

      An diesem denkwürdigen Tag, es war obendrein ein Sonntag, unternahmen zwei Menschen aus der großen Stadt Berlin mit ihrem Auto einen Ausflug quer durchs Land. Sie waren bereits schon auf der Heimreise, als sie plötzlich einen knurrenden Magen verspürten, der sie auf den Einfall brachte, das nächstbeste Gasthaus aufzusuchen. Ich weiß das natürlich alles von Frauchens Herrchen und Herrchens Frauchen. Sie haben es mir schließlich oft genug erzählt. Ich selbst war ja damals noch viel zu jung, um mich an alle wichtigen Details erinnern zu können, war ja gerade erst acht Wochen alt. Jedenfalls fuhren die beiden damals vor zwei Jahren mit knurrendem Magen zufällig durch unser kleines norddeutsche Kaff und lasen plötzlich am Straßenrand ein Hinweisschild mit der Aufschrift: Gasthaus „Sonne“ – gutbürgerliche Küche.

      Wir kleinen Welpen spielten und tobten gerade auf dem Hof herum, als das Auto aus Berlin vor unserem Gasthaus anhielt. Herrchens Frauchen muss uns sogleich bemerkt haben, denn sie fragte einen aus dem Gasthaus heraus stolpernden, nicht mehr ganz nüchternen Herrn, wem wohl diese süßen Welpen gehören.

      Dieser sagte nur: „Ach, die stehen heut in der Zeit-tung. Fragen Sie doch einfach mal - hick - den Wirt.“ Dann stolperte er weiter und bekam einen heftigen Schluckauf. Frauchen und Herrchen betraten daraufhin unser Gasthaus und beide müssen wahrscheinlich auf der Stelle ihren Verstand verloren haben bei unserem Anblick. Sie vergaßen sofort ihren leeren Magen, tollten dann eine Weile mit uns Welpen auf dem Hof herum und nahmen schließlich mich in ihre Arme. Wir machten wohl alle drei ein reichlich verklärtes Gesicht dabei.

      Ich weiß natürlich heute, genau so sehen Menschen aus, die dem Charme eines Welpen nicht widerstehen können. Was ja nichts weiter zu bedeuten hat, denn die Menschen verlieren ja fast immer ihren Verstand, wenn sie die Empfindung spüren glücklich zu sein. Der Wirt jedenfalls, der gleichzeitig auch Jägermeister und unser strenger Brandlbrackenzüchter in einer Person war, steckte bald darauf einen Geldschein in seine Hosentasche und war zufrieden - und mir blieb nur noch sehr wenig Zeit, um mich von meiner Mama und meinen Geschwistern verabschieden zu können. Eine halbe Stunde später wurde ich auch schon auf den Rücksitz des Autos auf eine Decke gesetzt und trat meine erste lange Reise an, an die ich mich sogar heute noch nur mit unangenehmen Schauder erinnern kann. Mir wurde nämlich sehr bald speiübel. Alles roch so fremd und schaukelte unentwegt hin und her. Ich glaube, ich hab sogar auf die Decke gepinkelt, die extra für mich auf dem Rücksitz ausgebreitet war. Aber die beiden Menschen, die seit dieser Stunde mein Frauchens Herrchen und mein Herrchens Frauchen waren, zeigten sich sehr freundlich und gaben mir schon bald was zu fressen und zu saufen, obwohl sie ja selbst Hunger hatten. Eine sehr noble Geste, wie ich finde. Vor lauter Aufregung und Glückseligkeit hatten sie nämlich ganz und gar vergessen im Gasthaus „Sonne“ zu essen und so brausten wir nun gen Berlin, der Hundehauptstadt entgegen.

      Wir waren noch nicht lange unterwegs, da kamen Frauchen und Herrchen bereits auf die glorreiche Idee für mich einen Namen auszudenken. „Bienchen“ sollte ich zunächst heißen, dann plötzlich „Paulemann“, doch das war wohl alles nix. Ein Rufname wäre doch auch abhängig, ob ich ein Weibchen wäre oder ein Rüde. Ich wusste damals allerdings selbst noch gar nicht genau, was ich bin. Ich war einfach nur da auf dieser schönen Welt. Da sich die beiden Menschen jedoch ganz sicher waren, das ich ein Rüde sei, wäre „Bienchen“ für mich als Name nicht geeignet. Herrchens Frauchen hatte schließlich einen genialen Einfall. Sie sagte plötzlich: „So-so - Soso ist der richtige Name!“ Denn alles geschah an einem Sonntag und in einem Gasthaus welches „Sonne“ hieß. So – wie Sonntag – und So – wie Sonne, also zweimal s und zweimal o.

      So bin ich zu meinem Namen gekommen, und er gefiel mir gut. Trotzdem, mir war während der ganzen Autofahrt bis nach Berlin kotzübel. Daran erinnere ich mich noch heute sehr genau. Es war die Reise in mein neues Leben. Ich hatte damals allerdings nicht die geringste Ahnung, was mich in meinem neuen Zuhause so alles erwarten würde.

      Mein neues Zuhause

      Frauchen und Herrchen waren sich jedenfalls in dieser Angelegenheit gleich einig. Ein Welpe muss zunächst erst mal was Vernünftiges lernen. Und am leichtesten lernt man etwas durch Spaß und Spiel.

      Ja, ihr habt richtig gelesen, durch Spaß und Spiel. Herrchens Frauchen hielt mir zum Beispiel eine getragene Socke von Frauchens Herrchen vor die Nase. Ich schnupperte sehr interessiert daran und lernte so ganz leicht und spielerisch, diesen einmaligen Geruch von denen hunderttausender anderer Frauchens Herrchen zu unterscheiden. Die Probe dieses meines ersten Lernerfolgs erfolgte gleich beim nächsten gemeinsamen Spaziergang.

      Im Stadtpark lenkte mich mein Frauchen mit einem ganz einfachen Trick ab und ich konzentrierte mich einen Moment lang nur auf sie. Dabei bemerkte ich gar nicht, dass sich Frauchens Herrchen in genau diesem Augenblick hinter einem dicken Baumstamm versteckt hatte. Dann zog plötzlich mein Frauchen Herrchens Socke aus der Manteltasche und hielt diese mir mit dem Worten „Such Herrchen!“ vor die Nase. Ich begriff natürlich sofort, was sie von mir erwartete. Frauchens Herrchen war nicht in Sichtweite und ich sollte ihn deshalb im Stadtpark wiederfinden. Aber ihr ahnt gar nicht, wie viele tausend solcher Sockengerüche allein in einem Berliner Stadtpark zu erschnuppern sind. Es gibt ganz bestimmt über 100.000 verschiedene Möglichkeiten, aber nur eine ganz bestimmte Sockengeruchsnote gehört eindeutig zu meinem Herrchen.

      Für mich als Welpe war es trotzdem eine leichte Übung, denn wir Hunde verfügen mit etwa 220 Millionen Riechzellen über zehnmal mehr als die Menschen. Wir können schätzungsweise eine Million verschiedene Gerüche unterscheiden, die Menschen schaffen es dagegen nur auf schlappe 10.000.

      Die 100.000 verschiedenen Sockengerüche im Stadtpark voneinander getrennt wahrzunehmen sind daher, dank unserer besonderen Schnuppertechnik, eigentlich nicht mehr als ein Kinderspiel. Ich habe also die ganze Übung als Spaß verstanden, bin zunächst etwas aufgeregt hin und her gelaufen und habe dabei immer so getan, als würde ich angestrengt nach der richtigen Spur suchen, die zu meinem verlorenen Herrchen führt. Dabei wusste ich längst, wo es sich aufhielt. Frauchen bereitete das offensichtlich ein großes Vergnügen. Schließlich stöberte ich mein Herrchen in seinem Versteck auf und die Begeisterung auf allen Seiten war perfekt.

      So können wir Hunde schon mit kleinen Dingen Frauchens Herrchen und Herrchens Frauchen große Freude bringen.

      Dieses Versteckspiel haben wir dann sehr oft wiederholt und Herrchen als auch Frauchen haben sich immer neue und immer kompliziertere Tricks ausdenken müssen. Natürlich lasse ich Herrchen und Frauchen im Glauben, das es mir jedes Mal große Schnüffelanstrengungen bereitet, um einen der beiden mit der Nase aufzuspüren. Ich werde dann immer sehr gelobt – und das tut einfach gut, wenn ihr versteht. Außerdem, ich bin nun mal kein Spielverderber.


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