Dich kriegen wir weich. Joachim Widmann

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Dich kriegen wir weich - Joachim Widmann


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Diktion ist keineswegs neu. Wir kannten sie bereits aus der amerikanischen „Tea Party“-Bewegung. Diese hat es geschafft, während der Präsidentschaft Barack Obamas den politischen Raum mit Verschwörungstheorien und gezieltem Misstrauen so sehr zu vergiften, dass ein populistischer Schreihals wie Donald Trump wenigstens im Wahlkampf leichtes Spiel haben kann gegen seriöse konservative Kandidaten.

      In den USA hat die „Politik der Angst“, der Stimmungen- und Wählerfang mit Bedrohungsszenarien und Verschwörungstheorien, allerdings eine ungebrochene Tradition.

      Den größten Erfolg hatte diese Politik indes 1933 in Deutschland. Der Aufruf (nicht nur) des NS-Propagandablatts „Der Stürmer“, „Deutschland erwache!“, zielte auf die angeblich bedrohte, von den „Systempolitikern“ und der „Systempresse“ mit schönen Worten und Lügen ruhig gestellte und um das ihr Zustehende beraubte „Volksgemeinschaft“.

      AfD und Pegida argumentieren heute strukturidentisch, und wie damals die NSDAP und heute die „Tea Party“ berufen sie sich auf eine angeblich unterdrückte Meinung der Mehrheit des Volkes. Dass die NPD seit Jahr und Tag dieselben Töne von sich gibt, interessiert jene nach eigenem Verständnis gemäßigten Gruppierungen nicht – sie stählen sich gegen derlei Analysen mit der Unterstellung, ein „Mainstream“ aus korrupter Politik und gekaufter „Lügenpresse“ wolle ihre Wahrheiten mit der „Nazikeule“ unterdrücken.

      Bei alledem scheint den Anhängern der Mär von den verschworenen Unterdrückern der Volksmeinung nicht bewusst zu sein, wie paradox es ist, dass sie die Überzeugung, sie würden unterdrückt, während Massendemonstrationen herausschreien, die von Hundertschaften in Uniform vor Gegendemonstranten geschützt werden. Trotz der Strukturverwandtschaft ihrer Argumente zeigt sich daran, dass die meisten von ihnen keine Nazis sind, sondern dass sie angetrieben sind von einem tief in ihnen wurzelnden, unreflektierten Untertanengeist, einer dumpfen Sehnsucht nach der harten Hand, die sich in Trotz verwandelt hat. Sie stellen den bundesdeutschen Rechtsstaat in Frage und rufen zugleich den Autokraten Putin um Hilfe.

      Moralische und politische Indifferenz war in der DDR wie in jeder Diktatur eine Voraussetzung dafür, weder Funktionär noch Dissident zu sein. Nun, da Regierungschefin und Staatsoberhaupt Ostdeutsche sind, ist das aggressive Zurschaustellen dieser Indifferenz, das Herausbrüllen immer neuer Varianten von „die da oben machen, was sie wollen, da kannste nischt machen“, auch ein Akt der Selbstbehauptung gegen die Erkenntnis, dass die Opferrolle, die viele Ostdeutsche zu spielen lieben, der selbst gewählte Rückzug in die eigene Irrelevanz gewesen ist. Es ist kein Zufall, dass Dresden die Hochburg von Pegida ist. Dresden war zu DDR-Zeiten abgeschnitten von den West-Medien und deren Vorstellung freiheitlich-demokratischer Kultur und ihren Argumentations- und Konfliktbewältigungsmustern. Und die Opferrolle ist gerade in Dresden als eine Lesart der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg besonders ausgeprägt.

      Zugleich ist es aber der Ruf nach einer Art neuer DDR. Nicht nach Sozialismus und Mauer, aber nach der sicheren, geschlossenen Gemeinschaft, die sich mit allen Mitteln gegen Fremde oder bedrohliche Einflüsse abschottet und verteidigt. Eine Gemeinschaft, die zum Beispiel das Grundgesetz in ein verbindliches Glaubensbekenntnis verwandeln könnte, gegen das zu verstoßen bestraft wird. So sollen, phantasieren nicht wenige, Migranten, die durch frauenfeindliche Äußerungen auffallen, umgehend deportiert werden.

      Es geht hier nicht um Strafbares wie Volkverhetzung oder um einen Aufruf, die Scharia einzuführen, sondern um die individuelle, von engstirniger Religiosität und Konservatismus getragene Dummheit, Frauen für minderwertig und sündig zu halten und den Mann zu ihrem Wärter zu erklären. Auch in Deutschland haben Auffassungen wie diese noch vor wenigen Jahrzehnten Gesetze geprägt, die Frauen ohne Genehmigung ihres Mannes freies Wirtschaften und freie Berufswahl untersagten. Ja, auf der Basis des Grundgesetzes.

      Natürlich ist es gut, dass Deutschand über solche Gesetze hinaus ist und die ihnen zu Grunde liegenden Auffassungen nicht mehr akzeptabel sind. Aber Liberalismus, der sich mit Strafe und Bann gegen abweichende, rückständige Meinungen wendet, statt überzeugen zu wollen – das ist ein Rückschritt und noch so ein Widerspruch in sich, den viele nicht erkennen können oder erkennen wollen.

      Eine solche Regelung wäre ein Pendant zur „sozialistischen Gesetzlichkeit“. Sie würde das Ende der im Grundgesetz garantierten Freiheiten bedeuten, Ungleichheit vor dem Gesetz etablieren und damit den Beginn eines neuen deutschen Unrechtsstaats markieren.

      Die antidemokratische Agitation wirkt bedrohlich. Sie ist das Ergebnis einer Selbsthysterisierung politisch bislang unerheblicher Kreise, die in den Filterblasen der Social-Media-Portale erstmals einen öffentlichen Resonanzraum finden. Ob sie irgendwann nachlässt, wenn das Wir-Gefühl zur Gewohnheit geworden ist, oder ob sie zur ernst zu nehmenden, die Demokratie tatsächlich gefährdende gesellschaftlichen Strömung wird, lässt sich aktuell nicht klären.

      Dies spielt jedoch ohnehin keine Rolle. Die Aufgabe bleibt so oder so dieselbe: Aufklärung.

      Aufklärung war schon 1997 die Absicht dieses Buches, das aus einer Serie in der im östlichen Brandenburg erscheinenden „Märkischen Oderzeitung“ hervorging – Aufklärung zur Überwindung einer Rückschau auf die DDR durch eine rosa Brille mit Weichzeichner.

      Außer dem Titel habe ich an dem Buch, das selbst inzwischen ein historisches Dokument ist, bis auf kleinere sprachliche Korrekturen nichts geändert – es behält neben der Perspektive von 1997 also auch die alte Rechtschreibung bei.

      Die Titeländerung indessen bot sich an, weil sich die Zielrichtung des Texts heute genauer benennen lässt. Seinerzeit spielte das Wort „Unrechtsstaat“ noch keine Hauptrolle in der Rückschau auf die DDR, heute bringt es sie auf den Punkt. Damals war die Abwehr dieser Bezeichnung für den sozialistischen deutschen Staat noch nicht Bestandteil einer umfassenden Systemkritik an der freiheitlichen, auf dem Recht basierenden Demokratie und deren Akteuren.

      Wer diese Kritik vortragen möchte, sollte sich immerhin mit einem Staat auseinandersetzen, dessen Unrecht er bestreitet oder relativiert. Dieses Buch kann ihm dazu dienen. Es gibt die Biografien unbekannter Opfer politischer Willkür wieder, „Leben im Unrechtsstaat DDR“. Es ist diesen Menschen gewidmet, die das Unrecht am eigenen Leibe erfahren haben, Menschen wie jenen, die solches Unrecht in Russland, China und vielen anderen Ländern täglich erfahren.

      Joachim Widmann, Berlin, am 3. Oktober 2015

      Der Druck ist nicht gewichen

       Nachwirkungen der Dikatur

      „Alles kann ich gar nicht erzählen“, sagt Friedrich Gronau. Von 1952 bis 1989 hatte er immer wieder mit der Staatssicherheit zu tun. Als angeblicher Saboteur saß er zwölf Jahre lang im Gefängnis, dann wurde er bespitzelt: Verhör bei der Stasi; der Inoffizielle Mitarbeiter mit dem Decknamen „Helmut“ war ein Freund seines Sohnes, IM „Erna“ war die Nachbarin in Golzow, wo Gronau noch heute zurückgezogen lebt; als IM „Gossert“ war der örtliche Polizist auf seiner Spur.

      Nein, alles kann der alte Mann nicht erzählen. Aber jetzt, da die Deutsche Demokratische Republik und damit seine Schweigeverpflichtung dahin ist, kann er wenigstens die „Dinge, die mir wichtig sind“, loswerden. Da war im Zuchthaus Brandenburg der alte KPD-Mann Walter Bergner gewesen, der schon im KZ gesessen hatte wegen seiner Gesinnung und von der DDR nach einem Besuch beim westdeutschen SPD-Chef Kurt Schumacher wieder eingesperrt wurde. Nach zehn Jahren Haft, erzählt Gronau, wurde Bergner für vier Wochen auf eine Entlassungszelle verlegt, um dann doch weiter gefangen zu bleiben: „Der war ein gebrochener Mann hinterher.“ Oder der KPD-Mann Christian Eckert, der sich gegen die SED, „die Partei neuen Typs“, aufgelehnt hatte und für zwölf Jahre hinter Gitter mußte, obwohl er für seine Sache im griechischen Bürgerkrieg gekämpft hatte.

      In einer Einzelzelle saß in Brandenburg ein Junge, den Gronau kennenlernte, als er 17 war. „Der war als 12jähriger eingesperrt worden. Niemand wußte, warum. Auch er selbst nicht. Der konnte kaum sprechen.“

      Zeugen


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