Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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ja noch nicht einmal einlogiert.«

      »Unsinn, Unsinn!« rief der Alte, schüttelte sein Zöpfchen, um zu probieren, ob es auch fest geflochten sei, und ergriff den Sohn bei der Hand. »Die Wohnung für deine Frau steht bereit. Prinzessin Marja wird sie hinführen und ihr alles zeigen und ein langes und breites mit ihr schwatzen. Das werden alles die Weiber unter sich besorgen. Ich freue mich, daß wir deine Frau hier haben. Na, nun setz dich her und erzähle. Was die Michelsonsche Armee bezweckt, verstehe ich; auch die Tolstoische ... eine gleichzeitige Landung. Aber was soll die Südarmee tun? Preußen hält sich neutral ... das weiß ich. Wie steht es mit Österreich?« Während er so sprach, war er von seinem Lehnsessel aufgestanden und ging im Zimmer auf und ab, wobei Tichon hinter ihm herlief und ihm die einzelnen Stücke seines Anzuges zureichte. »Und wie wird sich Schweden verhalten? Wie werden sie durch Pommern hindurchkommen?«

      Da Fürst Andrei sah, daß der Vater hartnäckig auf seinem Verlangen bestand, so begann er, anfangs nur ungern, aber dann allmählich lebhafter werdend (dies zeigte sich auch darin, daß er mitten in der Erzählung unwillkürlich vom Russischen zu dem ihm geläufigeren Französischen überging), den Operationsplan des bevorstehenden Feldzuges auseinanderzusetzen. Er berichtete, eine Armee von neunzigtausend Mann solle Preußen bedrohen, um es zur Aufgabe seiner Neutralität zu veranlassen und es in den Krieg mit hineinzuziehen; ein Teil dieser Truppen solle sich in Stralsund mit den schwedischen Truppen vereinigen; zweihundertzwanzigtausend Österreicher nebst hunderttausend Russen seien für die Operationen in Italien und am Rhein bestimmt; fünfzigtausend Russen und fünfzigtausend Engländer würden in Neapel landen; so würden im ganzen fünfhunderttausend Mann von verschiedenen Seiten auf die Franzosen losgehen. Der alte Fürst bekundete auch nicht durch das geringste Zeichen ein Interesse für diese Darlegung, als ob er gar nicht danach hinhörte, und während er fortfuhr, sich im Auf- und Abgehen anzukleiden, unterbrach er den Redenden dreimal in recht unerwarteter Weise. Das erstemal zwang er ihn innezuhalten, indem er rief:

      »Die weiße, die weiße!«

      Dies bedeutete, Tichon habe ihm nicht die Weste gegeben, die er anziehen wolle. Das zweitemal blieb er stehen und fragte:

      »Steht ihre Entbindung bald bevor?« Und auf Fürst Andreis bejahende Antwort sagte er: »Schlimm, schlimm! Aber sprich nur weiter!«

      Das drittemal fing der Alte, als Fürst Andrei seine Auseinandersetzung beendigt hatte, mit seiner Greisenstimme und mit mancher falschen Note an zu singen: »Marlborough s'en va-t-en guerre; dieu sait quand reviendra.«

      Der Sohn lächelte nur.

      »Ich sage nicht, daß dieser Plan mir besonders gut schiene«, sagte der Sohn. »Ich habe Ihnen nur berichtet, was man tatsächlich beabsichtigt. Napoleon hat gewiß auch schon seinen Feldzugsplan fertig, und der wird nicht schlechter sein als der unsrige.«

      »Na, Neues hast du mir nichts gesagt.« Und dann murmelte der Alte, sich seinen Gedanken überlassend, schnell vor sich hin: »Dieu sait quand reviendra.«

      »Geh nur jetzt ins Eßzimmer«, fügte er laut hinzu.

      XXVII

      Zur bestimmten Stunde trat der alte Fürst, gepudert und rasiert, in das Eßzimmer, wo ihn seine Schwiegertochter, die Prinzessin Marja, sein Sohn, Mademoiselle Bourienne und der Baumeister erwarteten, welcher letztere zufolge einer sonderbaren Laune des alten Herrn zur Tafel zugelassen war, obgleich er nach seiner unbedeutenden sozialen Stellung in keiner Weise auf eine solche Ehre einen Anspruch hatte. Der Fürst, der sonst streng auf die Standesunterschiede hielt und sogar hohen Gouvernementsbeamten nur selten einen Platz an seinem Tisch vergönnte, hatte auf einmal an der Person des Baumeisters Michail Iwanowitsch, der sich immer in der Zimmerecke in sein kariertes Taschentuch schneuzte, den Beweis führen wollen, daß alle Menschen gleich seien, und seiner Tochter gegenüber wiederholentlich betont, daß Michail Iwanowitsch in keiner Hinsicht etwas Geringeres sei als sie und er, der Fürst, selbst. Und bei Tisch wandte sich der Fürst besonders oft an diesen schweigsamen Michail Iwanowitsch.

      Im Eßzimmer, das wie alle Zimmer im Haus von gewaltiger Höhe war, erwarteten den Eintritt des alten Fürsten die Hausgenossen sowie die hinter einem jeden Stuhl stehenden Diener; der Haushofmeister, eine Serviette in der Hand, musterte das Arrangement der Tafel, winkte den Dienern mit den Augen und ließ seinen unruhigen Blick beständig zwischen der Wanduhr und der Tür hin und her gehen, durch die der alte Fürst erscheinen mußte. Fürst Andrei betrachtete ein gewaltig großes, in einen goldenen Rahmen eingefaßtes, ihm noch unbekanntes Bild, welches den Stammbaum der Fürsten Bolkonski darstellte, gegenüber hing ein ebenso großes, ebenso eingerahmtes Gemälde, das schlecht gemalte, offenbar von der Hand eines leibeigenen Malers herrührende Porträt eines regierenden Fürsten mit einer Krone auf dem Haupt; dies sollte ein Nachkomme Ruriks und der Ahnherr des Bolkonskischen Geschlechtes sein. Fürst Andrei betrachtete den Stammbaum und wiegte den Kopf mit einer solchen lächelnden Miene hin und her, wie man sie beim Beschauen eines lächerlich ähnlichen Porträts zu machen pflegt.

      »Darin erkenne ich ihn ganz und gar!« sagte er zu der Prinzessin Marja, die zu ihm trat.

      Prinzessin Marja blickte ihren Bruder erstaunt an. Sie begriff nicht, worüber er lächelte. Alles, was ihr Vater tat, erweckte bei ihr eine unbegrenzte, jede Kritik ausschließende Ehrfurcht.

      »Jeder Mensch hat eben seine Achillesferse«, fuhr Fürst Andrei fort. »Daß er mit seinem gewaltigen Verstand so etwas Lächerliches begeht!«

      Der Prinzessin war diese kühne Kritik, die sich der Bruder erlaubte, ganz unfaßbar, und sie schickte sich an, ihm etwas zu erwidern, als sich vom Arbeitszimmer her die erwarteten Schritte hören ließen und der Fürst raschen Schrittes und mit heiterer Miene eintrat; so pflegte er immer zu gehen, wie wenn er absichtlich durch sein eiliges Wesen einen Gegensatz zu der strengen Hausordnung schaffen wollte. In demselben Augenblick schlug die große Uhr zwei, und mit hellem Stimmchen antwortete vom Salon her eine andere. Der Fürst blieb stehen; unter den überhängenden, dichten Brauen hervor musterten seine lebhaften, blitzenden, strengen Augen alle Anwesenden und blieben schließlich auf der jungen Fürstin haften. Die junge Fürstin machte in diesem Augenblick dasselbe Gefühl durch, welches die Hofleute beim Eintreten des Kaisers überkommt, ein Gefühl der Ängstlichkeit und der Ehrfurcht; denn ein solches rief dieser Greis bei allen, die mit ihm in Berührung kamen, hervor. Er streichelte der Fürstin den Kopf und klopfte ihr dann mit einer ungeschickten Bewegung auf den Nacken.

      »Ich freue mich, ich freue mich«, sagte er dabei; dann blickte er ihr noch fest in die Augen, trat schnell von ihr weg und setzte sich auf seinen Platz. »Setzt euch, setzt euch! Michail Iwanowitsch, setzen Sie sich!«

      Er wies der Schwiegertochter ihren Platz neben sich an. Ein Diener rückte den Stuhl für sie zurecht.

      »Hoho!« rief der Alte, indem er einen Blick auf ihre starkgewordene Taille warf. »Du hast dich ja beeilt; das ist nicht gut!«

      Er lachte in einer trockenen, kalten, unangenehmen Manier, so wie er immer lachte, nur mit dem Mund, nicht mit den Augen.

      »Du mußt gehen, möglichst viel gehen, möglichst viel«, setzte er noch hinzu.

      Die kleine Fürstin hatte seine Worte nicht gehört oder nicht hören wollen. Sie schwieg und schien verlegen zu sein. Der Fürst befragte sie nach ihrem Vater, und nun begann die Fürstin zu reden und zu lächeln. Er erkundigte sich bei ihr nach gemeinsamen Bekannten: die Fürstin wurde noch lebhafter; sie begann zu erzählen, bestellte dem Fürsten Grüße und trug Stadtneuigkeiten vor.

      »Die Gräfin Apraxina, die Ärmste, hat ihren Mann verloren und sich fast die Augen darüber ausgeweint«, sagte sie mit immer steigender Lebhaftigkeit.

      Aber in dem Maß, in welchem sie lebhafter wurde, blickte der Fürst sie immer strenger und strenger an, und auf einmal, als ob er sie nun hinreichend kennengelernt und sich ein klares Urteil über sie gebildet habe, wandte er sich von ihr ab und zu Michail Iwanowitsch hin.

      »Nun, hören Sie mal, Michail Iwanowitsch, unserm Bonaparte wird es schlecht ergehen. Wie mir Fürst Andrei« (so nannte er seinen Sohn stets, wenn er zu andern von ihm sprach) »erzählt hat,


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