Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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sagte er ohne Eile mit seiner klangreichen, festen Stimme. »Ich bitte, mir Gelegenheit zu geben, mein Vergehen wiedergutzumachen und meine Ergebenheit für Seine Majestät den Kaiser und für Rußland zu beweisen.«

      Kutusow wandte sich ab. Über sein Gesicht huschte dasselbe leise Lächeln wie vorher, als er sich von dem Hauptmann Timochin abgewandt hatte. Er wandte sich ab und runzelte die Stirn, als ob er damit ausdrücken wollte, daß er alles, was Dolochow ihm gesagt habe, und alles, was er ihm noch weiter sagen könne, schon längst, längst wisse, daß dies alles ihm bereits bis zum Ekel zuwider sei, und daß dies alles gar nicht das Richtige sei. Er wandte sich ab und ging wieder zu seinem Wagen.

      Das Regiment löste sich in Kompanien auf und begab sich nach den ihm angewiesenen Quartieren nicht weit von Braunau, wo es Schuhwerk und Kleidung zu erhalten und sich nach den schweren Märschen zu erholen hoffte.

      »Sie haben mir doch nichts übelgenommen, Prochor Ignatjitsch?« sagte der Regimentskommandeur, als er zu Pferde die nach ihrem Bestimmungsort marschierende dritte Kompanie eingeholt hatte und zu dem an ihrer Spitze gehenden Hauptmann Timochin gelangt war. (Das Gesicht des Regimentskommandeurs zeigte den unbezwingbaren Ausdruck seiner Freude über den glücklichen Verlauf der Besichtigung.) »Dienst ist eben Dienst ... Es geht nicht anders ... Man schimpft wohl manchmal vor der Front ... Aber nun bitte ich auch um Entschuldigung; Sie kennen mich ja ... Er hat sich sehr anerkennend geäußert!« Er streckte dem Kompanieführer die Hand entgegen.

      »Aber ich bitte Sie, General, wie dürfte ich denn etwas übelnehmen!« antwortete der Hauptmann, dessen Nase noch röter wurde, lächelnd; bei dem Lächeln wurde das Fehlen zweier Vorderzähne sichtbar, die ihm beim Angriff auf Ismaïl mit einem Gewehrkolben ausgeschlagen waren.

      »Und teilen Sie auch Herrn Dolochow zu seiner Beruhigung mit, daß ich ihn nicht vergessen werde. Sagen Sie mir doch, ich wollte Sie schon immer danach fragen, was ist er denn eigentlich für ein Mensch, wie macht er sich, und überhaupt ...«

      »Seinen Dienst tut er durchaus ordnungsmäßig, Euer Exzellenz ... Aber sein Charakter ...«, erwiderte Timochin.

      »Nun, was denn? Was ist denn mit seinem Charakter?« fragte der Regimentskommandeur.

      »Er hat Tage, an denen ein böser Geist über ihn kommt, Euer Exzellenz«, antwortete der Hauptmann. »Mal ist er klug und verständig und gutmütig, und dann mal wieder wie eine wilde Bestie. In Polen hat er einen Juden beinahe totgeschlagen, wie Sie ja wissen ...«

      »Nun ja, nun ja«, sagte der Regimentskommandeur, »aber man muß doch mit so einem jungen Menschen in seinem Unglück Mitleid haben. Er hat ja auch gute Konnexionen ... Also da werden Sie ... hm ...«

      »Zu Befehl, Euer Exzellenz«, erwiderte Timochin und gab durch sein Lächeln zu verstehen, daß er die Wünsche seines Vorgesetzten verstanden hatte.

      »Nun schön, schön.«

      Der Regimentskommandeur hatte in den Reihen Dolochow herausgefunden und hielt sein Pferd bei ihm an.

      »Verdienen Sie sich im ersten Gefecht die Epauletten wieder!« sagte er zu ihm.

      Dolochow wendete sich nach ihm hin; aber er sagte nichts und änderte auch nicht den Ausdruck seines spöttisch lächelnden Mundes.

      »Nun, also abgemacht!« fuhr der Regimentskommandeur fort. »Die Leute sollen jeder ein Glas Branntwein auf meine Kosten bekommen«, fügte er laut hinzu, damit die Soldaten es hörten. »Ich danke euch allen! Es ist ja alles, Gott sei Dank, gutgegangen!« Er ritt an der Kompanie vorbei und zu einer andern hin.

      »Das muß man sagen, er ist wirklich ein guter Mensch; man kann ganz gern unter ihm dienen«, meinte Timochin zu einem neben ihm gehenden Leutnant.

      »Gewiß! Wie sollte denn auch der Herzenkönig« (dies war der Spitzname des Regimentskommandeurs) »kein gutes Herz haben?« erwiderte der Leutnant lachend.

      Die heitere Stimmung, in welcher sich die Vorgesetzten nach der Besichtigung befanden, war auch auf die Gemeinen übergegangen. Die Kompanien marschierten fröhlich einher. Überall hörte man die Soldaten munter untereinander reden.

      »Wie konntet ihr bloß sagen, daß Kutusow auf einem Auge nicht sehen kann?«

      »Na, ist es etwa nicht so? Er ist einäugig.«

      »Nein, Bruder, der kann besser sehen als du. Die Stiefel und die Fußlappen, alles hat er sich beguckt ...«

      »Wie der mir auf die Füße sah, Bruder ... na, ich dachte ...«

      »Aber der andre, der Österreicher, der mit bei ihm war, der sah doch ganz aus wie mit Kreide beschmiert. Wie weißes Mehl. Ich denke bloß, was mag das für eine Arbeit sein, die Uniform zu reinigen!«

      »Hör mal, Fjodor! Hat er gesagt, wann der Kampf losgehen wird? Du standst ja dichter dran. Es heißt ja, der Bunaparte steht selbst in Brunow.«

      »Der Bunaparte in Brunow! Schwatz nicht solchen Unsinn, du Narr! Was du nicht alles weißt! Jetzt rebelliert der Preuße. Also da wird ihn der Österreicher zur Räson bringen. Wenn der wird Frieden machen, dann fängt der Krieg mit dem Bunaparte an. Und da redest du, Mensch, der Bunaparte steht in Brunow! Da sieht man mal, wie dumm du bist. Hör besser zu, wenn was gesagt wird.«

      »Nein, diese verdammten Quartiermacher! Sieh mal bloß, die fünfte Kompanie schwenkt schon in ein Dorf ein; die kochen nun gleich ihre Grütze, und wir sind noch lange nicht in unserm Quartier.«

      »Gib mir ein Stück Zwieback, du Kerl, du.«

      »Aber hast du mir gestern von deinem Tabak abgegeben? Siehst du wohl, Bruder! Na, da hast du, in Gottes Namen.«

      »Hätten sie uns doch wenigstens Rast machen lassen; aber so können wir noch fünf Werst laufen, ehe wir was zu essen kriegen.«

      »Das wäre eine schöne Sache, wenn uns die Deutschen Kutschen anspannen ließen. Dann könntest du großpreislich fahren!«

      »Aber hier sind wir doch zu einem ganz närrischen Volk gekommen, Bruder. Vorher, das waren lauter Polen, die gehörten wenigstens noch zum russischen Reich; aber hier, Bruder, hier sind überall bloß Deutsche, nichts als Deutsche.«

      »Die Sänger nach vorn!« ertönte das Kommando des Hauptmanns.

      Aus den einzelnen Gliedern traten im ganzen etwa zwanzig Mann heraus und liefen an die Spitze der Kompanie. Der Vorsänger, ein Trommler, wendete sich mit dem Gesicht zu den Sängern zurück, schwenkte den Arm und stimmte die getragene Melodie des Soldatenliedes an, welches anfängt: »Brüder, wenn die Sonne morgens rot und goldig sich erhebt« und mit den Worten schließt: »Und mit Väterchen Kamenski wird uns hoher Ruhm zuteil.« Dieses Lied war ehemals in der Türkei gedichtet und wurde nun jetzt in Österreich gesungen, nur mit der Änderung, daß statt der Worte »Väterchen Kamenski« eingesetzt wurde: »Väterchen Kutusow«.

      Indem der Trommler, ein hagerer, hübscher Mensch von ungefähr vierzig Jahren, bei diesen letzten Worten in soldatischer Manier kurz abbrach, bewegte er die Arme, als ob er etwas auf die Erde schleuderte, warf den andern Sängern einen strengen Blick zu und kniff die Augen zusammen. Dann, nachdem er sich überzeugt hatte, daß alle Augen auf ihn gerichtet waren, machte er eine Gebärde, als ob er vorsichtig mit beiden Händen einen unsichtbaren, wertvollen Gegenstand über seinen Kopf in die Höhe höbe, ihn einige Sekunden lang so hielte und auf einmal mit Energie auf die Erde würfe:

      »Ach, du mein Häuschen klein«, sang er.

      »Mein neues Häuschen ...«, fielen zwanzig Stimmen ein, und der Löffelmacher sprang trotz seines schweren Gepäcks ausgelassen nach vorn, ging vor der Kompanie rückwärts, bewegte die Schultern hin und her und drohte dem einen und dem andern mit seinen Löffeln. Die Soldaten schlenkerten nach dem Takt des Liedes mit den Armen und gingen, unwillkürlich Takt haltend, mit weit ausgreifenden Schritten. Da wurde hinter der Kompanie Räderrollen, das Knistern von Wagenfedern und Pferdegetrappel hörbar. Kutusow kehrte mit seiner Suite nach der Stadt zurück. Der Oberkommandierende gab ein Zeichen, daß die Leute ohne Honneur weitermarschieren möchten, und ihm und seiner gesamten Suite war an den Gesichtern


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