Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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wohl Freimaurer sein«, sprach er; er sprach von dem Abbé, den er auf der Abendgesellschaft kennengelernt hatte.

      »Das ist ja alles Torheit«, unterbrach ihn Fürst An drei wieder in seinem Gedankengang. »Laß uns doch lieber von etwas Ernstem reden! Bist du in der Gardekavalleriekaserne gewesen?«

      »Nein, ich bin nicht dagewesen. Aber da ist mir etwas durch den Kopf gegangen; das wollte ich Ihnen sagen. Wir haben jetzt Krieg gegen Napoleon. Wäre das ein Krieg für die Freiheit, dann würde ich für ihn Verständnis haben und würde der erste sein, der in den Kriegsdienst träte; aber den Engländern und Österreichern gegen den größten Mann der Welt beizustehen ... das ist nicht schön.«

      Fürst Andrei zuckte zu Pierres kindlichen Reden nur die Achseln. Er machte ein Gesicht, welches besagte, daß man auf solche Dummheiten eigentlich nicht antworten könne; und wirklich war es schwer, auf diese naive Äußerung etwas anderes zu erwidern als das, was Fürst Andrei zur Antwort gab:

      »Wenn alle Menschen nur nach Maßgabe ihrer Überzeugungen Krieg führten, so würde es keinen Krieg geben«, sagte er.

      »Das wäre ja aber wunderschön«, erwiderte Pierre.

      Fürst Andrei lächelte.

      »Wunderschön wäre es vielleicht; aber dahin wird es niemals kommen.«

      »Nun, warum ziehen Sie denn in den Krieg?« fragte Pierre.

      »Warum ich in den Krieg ziehe? Das weiß ich nicht. Ich muß eben. Außerdem ziehe ich in den Krieg ...« Er stockte. »Ich ziehe in den Krieg, weil das Leben, das ich hier führe, nicht nach meinem Geschmack ist.«

      VII

      Im Nebenzimmer raschelte ein Frauenkleid. Wie wenn er plötzlich aus dem Schlaf aufwachte, schüttelte sich Fürst Andrei, und sein Gesicht nahm denselben Ausdruck an, den es in Anna Pawlownas Salon gehabt hatte. Pierre schob seine Beine vom Sofa herunter. Die Fürstin trat ein. Sie hatte sich bereits umgezogen und trug jetzt ein Hauskleid, das aber ebenso elegant und frisch war. Fürst Andrei stand auf und rückte ihr höflich einen Sessel heran.

      »Ich denke oft darüber nach«, begann sie, wie immer auf französisch, indem sie sich eilig und eifrig in dem Lehnstuhl zurechtsetzte, »warum Annette sich eigentlich nicht verheiratet hat. Wie dumm ihr Herren doch alle seid, daß ihr sie nicht geheiratet habt. Nehmt es mir nicht übel, aber Frauen könnt ihr absolut nicht beurteilen ... Was sind Sie für ein Kampfhahn, Monsieur Pierre!«

      »Auch mit Ihrem Mann streite ich mich immerzu; ich verstehe nicht, warum er in den Krieg ziehen will«, sagte Pierre, zu der Fürstin gewendet, ohne jede Künstelei, die doch im Verkehr eines jungen Mannes mit einem jungen weiblichen Wesen etwas ganz Gewöhnliches ist.

      Die Fürstin zuckte zusammen; offenbar hatten Pierres Worte bei ihr einen empfindlichen Punkt berührt.

      »Ach, ganz dasselbe sage ich ja auch!« antwortete sie. »Ich verstehe nicht, verstehe schlechterdings nicht, warum die Männer nicht ohne Krieg leben können. Woher kommt es, daß wir Frauen keine Wünsche haben, deren Erfüllung uns Lebensbedürfnis wäre? Nun, seien Sie einmal selbst Richter! Ich sage immer zu ihm: hier ist er Adjutant bei seinem Onkel, eine glänzende Stellung. Jeder Mensch kennt ihn und schätzt ihn hoch. Erst neulich hörte ich bei Aprarins, wie eine Dame sagte: ›Ist das nicht der berühmte Fürst Andrei?‹ Mein Ehrenwort darauf, so hat sie sich ausgedrückt.« Sie lachte. »Er ist überall so beliebt. Selbst Flügeladjutant könnte er mit größter Leichtigkeit werden. Sie wissen, der Kaiser hat sehr gnädig mit ihm gesprochen. Ich habe mit Annette darüber geredet; es ließe sich sehr leicht erreichen. Wie denken Sie darüber?«

      Pierre sah den Fürsten Andrei an, und da er bemerkte, daß dieses Gespräch seinem Freund nicht behagte, so antwortete er nicht.

      »Wann reisen Sie ab?« fragte er.

      »Ach, reden Sie mir nicht von dieser Abreise, reden Sie nicht davon! Ich mag davon gar nichts hören!« sagte die Fürstin in demselben launischen, scherzenden Ton, dessen sie sich im Salon dem Fürsten Ippolit gegenüber bedient hatte, der aber in den Familienkreis, zu welchem auch Pierre gewissermaßen als Mitglied gehörte, augenscheinlich nicht hineinpaßte. »Als ich heute daran dachte, daß ich diesen ganzen mir so lieb gewordenen Verkehr aufgeben muß ... Und dann, weißt du, Andrei?« Sie blinzelte ihrem Mann bedeutsam zu. »Ich ängstige mich, ich ängstige mich!« flüsterte sie und krümmte wie schaudernd den Rücken zusammen.

      Ihr Mann blickte sie mit einem Gesicht an, als ob er erstaunt wäre zu bemerken, daß sich außer ihm und Pierre noch jemand im Zimmer befinde, und sagte zu ihr mit kühler Höflichkeit und fragender Miene:

      »Wovor fürchtest du dich, Lisa? Ich kann das nicht verstehen.«

      »Ja, da sieht man recht, was für Egoisten die Männer sind; alle, alle sind sie Egoisten! Aus reiner Laune, Gott weiß warum, verläßt er mich und verbannt mich auf das Land, wo ich ganz allein bin.«

      »Mein Vater und meine Schwester sind da bei dir; das solltest du nicht vergessen«, sagte Fürst Andrei leise.

      »Allein bin ich da doch, da ich von meinen Freunden fern bin ... Und da will er, daß ich mich nicht ängstigen soll!«

      Ihr Ton war jetzt mürrisch und zänkisch; die Oberlippe zog sich in die Höhe, was dem Gesicht in diesem Fall keinen fröhlichen Ausdruck verlieh, sondern den eines erregten Eichhörnchens. Sie schwieg und deutete dadurch an, daß sie es unpassend finde, in Pierres Gegenwart über ihre Schwangerschaft zu sprechen, was doch den eigentlichen Kern der Sache bilde.

      »Ich habe dich immer noch nicht verstanden. Wovor ängstigst du dich?« fragte Fürst Andrei langsam, ohne die Augen von seiner Frau wegzuwenden. Die Fürstin errötete und hob wie in Verzweiflung die Arme in die Höhe.

      »Nein, Andrei, du hast dich so sehr verändert, so sehr verändert ...«

      »Dein Arzt verlangt, daß du dich früher schlafen legen sollst«, sagte Fürst Andrei. »Du solltest zu Bett gehen.«

      Die Fürstin erwiderte nichts; aber auf einmal fing ihre kurze Oberlippe mit dem Schnurrbärtchen an zu zittern. Fürst Andrei stand auf, zuckte mit den Achseln und ging im Zimmer hin und her.

      Pierre sah mit naivem Erstaunen durch seine Brille bald ihn, bald die Fürstin an und rührte sich, als ob er gleichfalls aufstehen wollte, besann sich dann aber doch eines anderen.

      »Was mache ich mir daraus, daß Monsieur Pierre zugegen ist«, sagte die kleine Fürstin plötzlich, und ihr hübsches Gesicht verzog sich zu einer weinerlichen Grimasse. »Ich habe dir das schon lange sagen wollen, Andrei: warum hast du dich mir gegenüber so sehr verändert? Was habe ich dir getan? Du gehst zur Armee, und mit mir hast du kein Mitleid. Warum bist du so zu mir?«

      »Lisa!« sagte Fürst Andrei nur; aber in diesem Wort lag eine Bitte und eine Drohung und vor allem die Versicherung, daß sie selbst ihre Worte bereuen werde. Sie jedoch redete eilig weiter:

      »Du behandelst mich wie eine Kranke oder wie ein Kind. Ich merke das alles. Vor einem halben Jahr warst du ein ganz anderer!«

      »Lisa, ich bitte Sie aufzuhören«, sagte Fürst Andrei noch nachdrücklicher.

      Pierre, der während dieses Gespräches in immer größere Aufregung gekommen war, stand auf und trat zu der Fürstin hin. Es machte den Eindruck, als ob er den Anblick von Tränen nicht ertragen könne und selbst nahe daran sei loszuweinen.

      »Beruhigen Sie sich, Fürstin. Das scheint Ihnen nur so, weil ... Aber ich versichere Ihnen, ich weiß aus seinem eigenen Mund ... Weswegen denn ...? Weil ... Nein, entschuldigen Sie, ein Fremder ist hier überflüssig. Nein, beruhigen Sie sich ... Adieu!«

      Fürst Andrei hielt ihn am Arm zurück und sagte:

      »Nicht doch, bleibe hier, Pierre. Die Fürstin hat ein so gutes Herz, daß sie mich nicht wird des Vergnügens berauben wollen, den Abend mit dir zuzubringen.«

      »Nein, er denkt immer nur an sich selbst!« murmelte die Fürstin, ohne die Tränen des Zornes


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