Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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wenn nicht Besseres leiste wie er, der dieser Tätigkeit sein ganzes Leben gewidmet hat. Aber die Hauptsache bleibt doch immer die Bildung, und daran fehlt es ihm.«

      Wronski nahm Michailow in Schutz; aber im Grunde seines Herzens glaubte er es selbst, weil nach seiner Anschauung jemand, der einer anderen, niedrigeren Schicht angehörte, notwendigerweise neidisch sein mußte.

      Die beiden Bildnisse von Anna hätten, da es sich um ein und denselben Gegenstand handelte und dieser sowohl von ihm wie von Michailow nach der Natur gemalt war, ihm den Unterschied zeigen müssen, der zwischen seiner und Michailows Kunst bestand; aber er sah diesen Unterschied nicht. Nur nachdem Michailow Anna gemalt hatte, hörte er auf, an seinem eigenen Bildnis von Anna zu malen, indem er erklärte, das sei nun nicht mehr nötig. Aber an seinem Bilde aus dem mittelalterlichen Leben arbeitete er weiter. Und er selbst, auch Golenischtschew, namentlich aber Anna fanden, daß dieses Bild sehr gut wurde, weil es mit berühmten Kunstwerken weit mehr Ähnlichkeit hatte als jenes große Gemälde Michailows.

      Inzwischen war Michailow, obwohl es ihm eine überaus reizvolle Aufgabe gewesen war, Anna zu malen, noch froher als seine Gönner, als die Sitzungen aufhörten und er Golenischtschews Gerede über Kunst nicht mehr anzuhören und an Wronskis Malerei nicht mehr zu denken brauchte. Er wußte, daß man Wronski nicht verbieten könne, zu seinem Vergnügen zu malen; er wußte, daß dieser und alle Kunstliebhaber berechtigt waren zu malen, was ihnen nur beliebte; aber trotzdem hatte er eine unangenehme Empfindung dabei. Man kann jemandem nicht verbieten, sich eine große Wachspuppe zu machen und sie zu küssen. Aber wenn dieser Mensch mit seiner Puppe ankäme und sich vor einen Verliebten hinsetzte und nun anfinge, seine Puppe so zu liebkosen, wie der Verliebte sein geliebtes Mädchen liebkost, so würde das dem Verliebten widerwärtig sein. Dieselbe unangenehme Empfindung hatte Michailow beim Anblick von Wronskis Malerei: es war ihm lächerlich, und er ärgerte sich, und er hatte Mitleid, und er fühlte sich verletzt.

      Wronskis Begeisterung für die Malerei und das Mittelalter dauerte nicht lange. Er besaß doch so viel Geschmack für Malerei, daß er es nicht über sich brachte, sein Bild fertigzumalen. Es blieb unvollendet stehen. Er hatte die dunkle Empfindung, daß seine Mängel, die jetzt beim Anfang der Arbeit sich nur wenig spürbar machten, immer stärker hervortreten würden, wenn er in der Arbeit fortführe. Es ging ihm ähnlich wie Golenischtschew, der auch fühlte, daß er der Welt nichts Bedeutendes mitzuteilen habe, und sich beständig selbst vorredete, seine Idee sei noch nicht ausgereift, er müsse sie noch austragen, müsse Material sammeln. Aber während Golenischtschew im Gefühl seiner geringen Leistungsfähigkeit sich abquälte und verbittert wurde, war es bei Wronski nach seinem ganzen Wesen unmöglich, daß er sich selbst zu täuschen gesucht oder sich abgequält hätte oder gar verbittert worden wäre. Mit der ihm eigenen Entschiedenheit des Charakters hörte er ohne ein Wort der Erklärung oder der Rechtfertigung auf, sich mit der Malerei zu beschäftigen.

      Aber ohne diese Beschäftigung erschien sowohl ihm wie auch Anna, die über seinen Verzicht erstaunt war, das Leben in dieser italienischen Stadt so langweilig, der Palazzo war auf einmal so augenfällig alt und schmutzig geworden, die Flecken auf den Gardinen, die Spalten in den Fußböden, die abgestoßenen Stellen im Stuck der Karniese sahen so widerwärtig aus, dieser ewige Golenischtschew, dieser ewige italienische Professor und diese ewigen deutschen Reisenden waren ihnen so langweilig geworden, daß eine Änderung ihrer Lebensweise ein Ding der Notwendigkeit wurde. Sie beschlossen nach Rußland zu fahren, aufs Land. In Petersburg beabsichtigte Wronski, die Erbteilung mit seinem Bruder vorzunehmen, und Anna, ihren Sohn wiederzusehen. Den Sommer aber wollten sie auf Wronskis großem Familiengut verleben.

      14

      Ljewin war nun fast drei Monate verheiratet. Er war glücklich, aber in ganz anderer Weise, als er es erwartet hatte. Auf Schritt und Tritt begegnete ihm bald eine Enttäuschung gegenüber seinen früheren Träumereien, bald ein neues, unerwartetes Entzücken. Er war glücklich; aber nachdem er jetzt in das Eheleben eingetreten war, sah er in all und jeder Hinsicht, wie ganz anders es beschaffen war, als er es sich vorgestellt hatte. Er hatte fortwährend die Empfindung wie jemand, der sich von weitem an dem Anblick eines sanft und glücklich dahinfahrenden Kahnes ergötzt hat, nun selbst in diesen Kahn eingestiegen ist. Da sieht er denn, daß es keineswegs genügt, still und ohne zu schaukeln dazusitzen, sondern daß er auch den Umständen gemäß selbst handeln muß, daß er keinen Augenblick des Zieles seiner Fahrt uneingedenk sein darf, und daß sich unter seinen Füßen Wasser befindet, und daß er rudern muß, und daß das ungewohnten Händen weh tut, und daß das zwar sehr leicht anzusehen, aber, wenn es auch sehr viel Freude macht, doch recht schwer zu tun ist.

      Oft, wenn er als Junggeselle auf das Eheleben anderer Leute hingeblickt hatte, auf die kleinlichen Sorgen, die Streitigkeiten, die Eifersüchteleien, dann hatte er im stillen nur geringschätzig gelächelt. In seinem eigenen künftigen Eheleben konnte seiner festen Überzeugung nach nichts Derartiges vorkommen; ja er war der Meinung gewesen, auch die gesamten äußeren Formen des Ehelebens würden bei ihm mit Notwendigkeit in allen Stücken ganz anders sein. Und statt dessen gestaltete sich nun sein eigenes Zusammenleben mit seiner Frau zu seiner Überraschung ganz und gar nicht in irgendwelcher besonderen Weise; im Gegenteil, sein ganzes Eheleben setzte sich aus denselben nichtigen Kleinigkeiten zusammen, die er früher so geringgeschätzt hatte, die aber jetzt, ganz gegen seinen Willen, eine außerordentliche, unbestreitbare Bedeutung erlangt hatten. Und Ljewin sah, daß die richtige Erledigung aller dieser Kleinigkeiten durchaus nicht so leicht war, wie er sich das gedacht hatte. Obgleich er gemeint hatte, die zutreffendsten Begriffe vom Eheleben zu haben, hatte er sich, wie alle Männer, die Vorstellung gemacht, dieses bestehe lediglich darin, daß man sich dem Genusse seiner Liebe hingebe, den nichts beeinträchtigen dürfe und von dem man sich durch kleinliche Sorgen nicht dürfe ablenken lassen. Er würde, so hatte er sich das ausgemalt, zuerst seine Arbeit verrichten und sich dann in den Armen der Liebe davon erholen. Seine Gattin aber würde nur die eine Aufgabe haben, sich lieben zu lassen. Aber wie alle Männer hatte er vergessen, daß auch sie werde arbeiten müssen. Und er war ganz erstaunt, daß sie, diese poetische, reizende Kitty, gleich in den ersten Wochen, ja gleich in den ersten Tagen ihres Ehelebens es fertigbrachte, an Tischtücher, an Möbel, an Matratzen für die Fremdenstuben, an ein Präsentierbrett, an den Koch, an das Mittagessen und ähnliche Dinge zu denken und all so etwas zu überlegen und zu besorgen. Schon als er noch Bräutigam war, hatte ihn die Bestimmtheit überrascht, mit der sie eine Reise ins Ausland ablehnte und sich dafür aussprach, gleich nach dem Gute überzusiedeln, als wüßte sie schon Bescheid, was nötig sei; wie hatte sie nur außer an ihre Liebe auch noch an andere Dinge denken können! Das hatte ihn damals gekränkt, und auch jetzt verletzte sie ihn manchmal durch ihre kleinlichen Sorgen und Geschäfte. Aber er sah, daß ihr das ein Herzensbedürfnis war. Und obwohl er nicht recht verstand, wozu diese eifrige Tätigkeit nötig und nütze sei, und sich darüber lustig machte, so konnte er doch, da er seine Frau liebte, nicht umhin, auf ihre Tätigkeit mit Freude und Bewunderung zu blicken. Er machte sich darüber lustig, wie eifrig sie die aus Moskau mitgebrachten Möbel aufstellte, wie sie ihr Zimmer und das seinige neu einrichtete, wie sie die Gardinen aufhängte, wie sie die künftigen Fremdenzimmer und das Zimmer für Dolly zurechtmachte, wie sie für ihre Kammerjungfer eine Stube ausstattete, wie sie dem alten Koch Anweisungen für das Mittagessen gab und wie sie sich in längere Auseinandersetzungen mit Agafja Michailowna einließ, der sie die Verwaltung der Vorratskammer abnehmen wollte. Er sah, daß der alte Koch lächelte und sie mit Wohlgefallen betrachtete, während er ihre ungeschickten, unmöglichen Befehle anhörte; er sah, daß Agafja Michailowna über die neuen Anordnungen der jungen Herrin wegen der Vorratskammer bedenklich und freundlich den Kopf schüttelte; er sah, daß Kitty ganz allerliebst war, wenn sie lachend und weinend zu ihm kam, um sich darüber zu beklagen, daß die Kammerjungfer Mascha immer noch gewohnt sei, sie als das junge Fräulein zu betrachten, und ihr daher niemand recht folgen wolle. All das schien ihm so lieb und nett, aber doch wunderlich, und er meinte, daß es ohne diese materiellen Dinge schöner sein würde.

      Er konnte ihr nicht recht nachfühlen, was sie bei dieser Veränderung ihrer Lebensstellung empfand: daß sie früher zu Hause manchmal Appetit auf Kohl mit Kwaß oder auf Konfekt gehabt hatte und sich weder das eine noch das andere hatte beschaffen können, jetzt aber in der Lage war, sich Konfekt haufenweise


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